30.04.2017 von Guy Schwegler

Einwegkamera – DJ Overdose

Ein Jahr nach dem Besuch von DJ TLR schaute ein weiterer OG der Westküste Hollands in Luzern vorbei um ein paar Platten zu spielen: Jeroen Warmenhoven aka DJ Overdose. Während TLRs musikalischer Fokus bei seinem Set im Südpol auf den klassischen Rave-Sounds von Chicago bis London lag, präsentierte Overdose auf dem Dancefloor des Klub Kegelbahn seine Auswahl aus Miami Bass und Electro. Nach diesem riesen Spass stellte Guy Schwegler dem Holländer ein paar Fragen und bat ihn, für zweikommasieben eine Einwegkamera in die Hand zu nehmen.

Sehr oft verweist man auf eine Verbindung zwischen einer Musikrichtung und einem Ort. Man hat eine Vorstellung von Chicago, Detroit, London, Bristol, Berlin und ihrem jeweiligen Stil. Warmenhoven hingegen scheint diese Verweise mit seinem Schaffen als DJ Overdose und seinen weiteren Projekten [2] zu vermischen und Verbindungen in Frage zu stellen. Zum einen ist er in Den Haag aufgewachsen, umgeben von der «we still kill the old way»[3] -West-Coast-Szene. Dann ist er berühmt berüchtigt für seine Miami-Bass-Kollektion und stellt deren Potential mit Vergnügen zur Schau. Zurzeit lebt er in Rotterdam – in jener Stadt also, die seinerzeit das Epizentrum der Gabber-Szene bildete.
Gabber mag in Rotterdam keine wichtige Rolle mehr spielen, trotzdem scheint in der neuen Homebase des DJ Overdose musikalisch einiges los zu sein.

«In den letzten Jahren ist in Rotterdam vieles entstanden und das Ganze scheint immer grösser und grösser zu werden. Es gibt kleine Partys in verschiedenen Klubs, meistens im Zusammenhang mit Labels wie Bordello A Parigi, Midlight und den Sachen von Marsman [4]. Ich kenne nicht alle und alles, aber es scheint eine Menge Leute in Rotterdam zu geben, die elektronische Musik machen.»
Doch was war/ist mit Gabber, dem vermeintlichen «Schreckgespenst aus den Neunzigern» [5], das seit langem nur noch vereinzelt mit grossen Reunions und 1000-Seiten-umfassenden Forumsdiskussionen bezüglich der besten Kickdrum gehuldigt wird? Bei Warmenhoven und seinem Umfeld spielt die Bewegung damals wie heute keine Rolle. Zumindest ist sie nicht relevanter, als irgendeine Rock-Szene oder sonstiges; obwohl die Gabber- und die West-CoastSzene mehr oder weniger während der gleichen Zeit aktiv waren und es durchaus Berührungspunkte gab:

«Gabber war ziemlich beliebt und einige der wichtigen DJs stammten aus meiner Heimatstadt Den Haag – Dark Raver und Gizmo zum Beispiel. Gizmo spielte auch schon vor der Gabber-Welle eine Rolle in der Den Haager Szene. Er war Resident DJ am Hip-Hop-Sonntag im Klub Paard van Trojes. Die Leute kamen jeweils aus ganz Holland an diese Veranstaltung.»

Macht es also keinen Sinn, bestimmte Musik mit einem Ort zu verbinden, gerade jetzt im Zeitalter von Internet, Bedroom-Producers und dem «Raum für Heimatloses»?

Das Paard van Trojes war dann auch ein Startpunkt für Warmenhoven und dessen Klub-Erfahrungen. Als DJ Overdose aktiv wurde er an Orten wie dem Disco2000, dem Blauwe Aanslag und in Kunstgalerien, wo er Partys mit DJ Technician organisierte.

«DJ Technician und ich spielten zuerst überall ein wenig. Dann hatten wir die Chance eine regelmässig stattfindende Nacht im Disco2000 durchzuführen. Wir veranstalteten dann jeweils Electro- und Hip-Hop-Nächte, während andere Chicago- und Detroit-Sachen machten. Wieder andere spielten nur Jungle. Weiter legten wir auch auf, wenn Acts wie Orgue Electronique oder Legowelt live spielten. Dort lernten wir uns alle kennen.»
Und heute, spürt man das Erbe der West-Coast-Szene noch?

«In Den Haag gibt es fast keine Wertschätzung für all die Mühen, die wir in die Szene gesteckt haben. Es ist fast so, als ob die Westküste Hollands den West-Coast-Sound gar nicht kennen würde.»
Macht es also keinen Sinn, bestimmte Musik mit einem Ort zu verbinden, gerade jetzt im Zeitalter von Internet, Bedroom-Producers und dem «Raum für Heimatloses»[6]?

«Eine solche Verbindung wird immer Sinn machen. Das beste Beispiel dafür ist Miami Bass und obwohl ich nie da war, weiss ich, dass es dort ebenso abgegangen ist. Es gibt immer eine lokale Musik, die sich ein wenig von allem anderen unterscheidet. Und so kann es eben ein eigener, lokaler Sound sein. Prince Paul hat gesagt, dass er den Mid-West-Sound nicht verstanden hat, bis er dort war. Es gibt einen regionsspezifischen Groove für den jeweiligen Sound, was ich extrem cool finde.»
Die Verbindung zwischen Musik und Ort existiert also doch. Es stellt sich die Frage, wie eine solche Verbindung funktioniert, wo sie genau entsteht und was den Sound schlussendlich definiert. Diese Punkte gilt es vorerst jedoch selbst zu klären und erfahren.

[1] Jeroen Van der Star aka DJ TLR, der Gründer des Labels Crème Organisation, wurde für zweikommasieben #10 interviewt.
[2] Neben dem Alias Overdose verwendet Warmenhoven die Namen Model Man oder Dream Disco. Zudem veröffentlicht er Musik im Rahmen der Kollaborationen Novamen und Get It Boyz.
[3] Vermaat, Joep (2002): „Family Clone“. Global Darkness. (https://www.globaldarkness.com/articles/west_coast_sound_of_holland.htm, 28.08.2015)
[4] Ein weiteres Beispiel aus Rotterdam ist das Mord Label.
[5] Savenberg 2015, zum Beispiel in zweikommasieben #11.
[6] vgl. das M.E.S.H. Interview in zweikommasieben #10.