20.03.2018

Vorhören: Amuleto – «Urlicht»

Das italienische Experimental-Duo Amuleto veröffentlicht Anfang April ihr drittes Album Misztériumok. Als gemeinsamer Ausgangspunkt der darauf zu findenden fünf Kompositionen dienten Negative von Fotografien in Form von Silberbromid-Platten. Wir zeigen exklusiv die Scans dieser Platten und prämieren den zweiten Track des Albums, «Urlicht».

Nach dem Debütalbum auf Die Schachtel (11h15 local weather forecast, 2010) und einem selbst-veröffentlichten Monumentalwerk (No para siempre en la tierra sólo un poco aquí, 2015) erscheint Misztériumok Anfang April auf Three:Four Records. Das 2008 zwischen Frankreich und der Schweiz gegründete und mittlerweile in Lausanne ansässige Label präsentiert schon seit zehn Jahren Platten irgendwo zwischen Folk und Noise. Die Kompositionen von Francesco Dillon und Riccardo Wanke, den beiden Köpfen hinter Amuleto, passen da sehr gut, wobei sie einen stärkeren Fokus auf letzteres legen. So auch bei «Urlicht»: Die anfänglich rein akustische Cello-Komposition geht im Verlauf des Stücks über zu harscheren, abstrakten Klängen, verliert dabei aber über die 14 Minuten nie ihren hypnotischen Drone-Charakter. Ausgangspunkt für «Urlicht», wie für die anderen vier Stücke auf dem Album, bildeten die Negative von alten Familienbildern. Diese Fotografien – aufgenommen irgendwo in Europa zu Beginn des 20. Jahrhunderts – wurden von Amuleto in Form von Silberbromid-Platten auf dem Feira Da Ladra Flohmarkt in Lissabon gefunden.

Das Interessante an diesen Silberbromid-Glasplatten (und ähnlicher Techniken zur Herstellung von Negativen) ist ihr ambivalentes Verhältnis zur Realität. Denn obwohl die teilweise bis in die fünfziger Jahre angewendete Technik über grössere Lichtempfindlichkeit und höheres Auflösungsvermögen gegenüber älteren Verfahren verfügt[1], erweisen sich die Glasplatten genauso als Medium zur Abbildung einer uns zugänglichen Realität als auch zur Entdeckung von Neuem. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass Licht nur ein Faktor ist, der auf die verwendete Silberbromid-Emulsion einwirken kann[2].
Um die Jahrhundertwende entsteht so dank der Produktion dieser Negative eine eigentliche «Fotografie des Unsichtbaren»[3]. Sie beschäftigt sich mit den chemischen-physikalischen Prozessen und deren (störende) Wirkung bei der Herstellung der Negative. Zugeschrieben werden die Veränderungen bei der Entwicklung – und damit eine Abbildung von etwas, das man beim Fotografieren nicht gesehen hat – etwa Magnetismus, Elektrizität, Wärme, Röntgenstrahlung, Phosphoreszenz, Fluoreszenz, sowie mechanische Kräften und chemische Wirkungen von Festkörpern, Flüssigkeiten und Gasen. Dies eröffnet nicht nur Möglichkeiten, die Negativ-Herstellung zu verbessern und mögliche Fehler auszuschliessen, sondern bringt auch neue Erkenntnisse mittels der Empfindlichkeit der Platten: «Irgend etwas kann man immer auf einer fotografischen Platte erscheinen lassen»[4]. Neben der Abbildung von physikalischen Effekten entstehen damit im Rahmen einer okkulten Fotografie auch Bilder von «körpereigenen» Ausstrahlungen bis hin zu eigentlichen Geistern auf der Platte (neben den bereits anwesenden). Alles kann auf den Platten gelesen werden, solange es sich abbildet; ein wirklicher Übergang zwischen «Fakt und Artefakt, Fall und Unfall» wird problematisch[5]. Vor dem Hintergrund der Vermischung von akustischen und elektronischen Elementen bei Amuleto stellt sich dann schon fast die Frage, was hier noch Inspiration für Misztériumok und was bereits Abbild für das Album ist.

 

 

Amuleto’s Misztériumok is released on April 6, 2018 by Three:Four Records

 

[1] Vgl. den Wikipedia-Artikel zu «Trockenes Gelatineverfahren».

[2] Geimer, Peter. 2002. «Was ist kein Bild? Zur ‹Störung der Verweisung›». In Ordnungen der Sichtbarkeit. Frankfurt am Main: Suhrkamp. S.313 – 341.

[3] ebd:328

[4] Fontenay, Guillaume de, 1911. «Le rôle de la plaque sensible dans l’etude de phenomenes psychiques. Troisieme Partie. – Les trahisons de la plaque sensible». In: Annales des Science Psychiques. 21. S.351. Via Geimer 2002.

[5] Geimer 2002:340.