25.11.2018 von Abel Vlaanderen

Queeste: Gegenwart ergründen

Es ist das Ende eines heissen Julitages an der niederländischen Küste. Eine kühle, salzige Brise weht vom Meer hinüber, während Abel Vlaanderen für zweikommasieben Gerben de Louw, den Gründer des neuen Plattenlabels Queeste, in einem Strandklub bei Den Haag trifft. Die Beiden sprechen über das Navigieren durchs Informationszeitalter, Experimente im Klubkontext und die Balance zwischen dem Lokalen und Globalen. Dabei wird klar: Queeste ist in erster Linie ein Label für das Hier und Jetzt.

Gerben de Louw hinterliess bereits vor einigen Jahren einen Eindruck. Er und die Grafikdesignerin Fallon Does – die man als Duo auch «Gallon» nannt – betrieben von Den Haag aus den Onlineplattenversand Wichelroede. 2016 erweiterten Does und de Louw den Plattenversand um Kassettenveröffentlichungen von Künstlerinnen wie Beatrice Dillon [siehe zweikommasieben #13], Ben UFO, Cloudface, Powder, CS + Kreme und LNS. Die Kassetten waren Sammlerstücke, nicht zuletzt, weil Does die Veröffentlichungen mit verschiedenen Give-aways versah: Sticker, ausfaltbare Kassettenhüllen oder Jutebeutel. Entsprechend überrascht es wenig, dass de Louw mit seinem neuen Laben Queeste ähnliches plant. «Jede Veröffentlichung besteht aus drei Elementen», erklärt er. «Dem Design von Fallon, der Musik und einem dazugehörigen Text, der ebenfalls visualisiert wird. Diese interdisziplinäre Mischung ist ein zentrales Element unserer Veröffentlichungen. Mir gefällt es, wenn diese Disziplinen sich gegenseitig ergänzen.»

Die Überlegungen hinter dieser Ausrichtung erklärt de Louw wie folgt: «Natürlich können Leute nur die Musik hören, aber durch die visuelle Ebene und den Text entsteht eine Art Leitfaden. Es ist schön, damit mehr Kontext liefern zu können.» Er betont, dass das auf viele Arten geschehen solle. «Wir könnten Musik für eine visuelle Arbeit oder eine Performance produzieren; ein solches Unternehmen könnte als Veröffentlichung von Queeste gelten. Wir könnten auch, zum Beispiel, Musik digital veröffentlichen und diese digitale Veröffentlichung mit einer physischen Broschüre paaren.»

Die Sonne geht langsam unter und die Temperatur am Strand sinkt spürbar. Über die Daseinsberechtigung von Queeste wird also im Pullover geredet: «Ich denke, der Informationsüberfluss ist ein bestimmendes Merkmal unserer Zeit. Es wird einfach zu viel Ausschussware veröffentlicht.» De Louw betont, dass er nicht in überfüllten Gewässern schwimmen möchte. Sein Ziel ist, sich mit Queeste von der Musik abzugrenzen, die es schon gibt – im vollen Bewusstsein, dass dieses Vorhaben eine nahezu unmögliche Herausforderung darstellt. Doch mit Queestes erster Veröffentlichung, Wandelaar von Haron, scheint er auf einem guten Weg zu sein. Laut de Louw ist die LP inspiriert von minimalistischen Schwergewichten wie John Cage und Ryuichi Sakamoto: «Cage und Sakamoto wollen möglichst viel mit möglichst wenig erreichen. Haron hat sich davon für Wandelaar inspirieren lassen und den Fokus auf die Stille zwischen den Tönen gelegt.»

Trotzdem ist Wandelaar ein autonomes Werk. Es ist das Ergebnis davon, dass Haron sich «vom Output für die Tanzfläche wegbewegt, […] hin zum Atmosphärischen seines kürzlich veröffentlichten Mixtapes für Blowing Up The Workshop», wie die niederländische Musikjournalistin Jo Kali es im Begleittext formuliert. Eine Aussage, die Zustimmung bei de Louw auslöst. «Eine Prämisse von Queeste ist, zu untersuchen, wie Klubmusik ausserhalb des Klubs funktionieren kann und vice versa – also wie Musik, die nicht für die Tanzfläche gemacht ist, Einfluss auf den Klub haben kann.» Er führt weiter aus: «Mich fasziniert das Wechselspiel. Es kann sein, dass ich Klubmusik veröffentlichen werde, aber die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sie trotzdem sehr experimentell sein wird. Gleichzeitig interessiert mich, wie das Elektronische in Veröffentlichungen wie die von Haron hineingewoben ist.»

Woher kommt dieses Verlangen, das zurzeit in einigen Umfeldern der Klubmusik populär zu sein scheint? «Ich mag es einfach, zu experimentieren,» erklärt de Louw und führt dieses Statement weiter aus, indem er auf What You See Is What You Get (WYSIWYG) verweist, ein Filmevent, das er gelegentlich veranstaltet. «Ich möchte wissen, was es heisst, einen Film zu sehen, oder ins Kino zu gehen. Und wie man damit spielen kann, welche Alternativen es noch gibt. Ich will herausfinden, was es bedeutet, ein kulturelles Event zu organisieren, denn die Konventionen sind oft sehr klar definiert.» Er glaubt, dass sei ähnlich in der Klubkultur: «In der Musik wird sehr viel experimentiert, aber die Präsentationsform bleibt zumeist gleich: eine DJ-Booth und Lautsprecher an einem dunklen Ort.»

De Louw hat Film und Literatur studiert, ist ein grosser Fan des Experimentalkinos und arbeitete für Filmfestivals wie das International Film Festival Rotterdam (IFFR) und Camera Japan. Zusätzlich ist er ein begeisterter Gamer, schon sein ganzes Leben. «Ich habe mich schon immer sehr stark mit virtuellen Räumen identifizieren können», sagt er. «Ich habe ausgiebig das neue Zelda [Breath Of The Wild] auf Nintendo Switch gespielt. Der Soundtrack ist sehr atmosphärisch und minimalistisch – und er ist stets präsent, wenn auch nur im Hintergrund: durch das Blätterrascheln, wenn man durch hohes Gras läuft zum Beispiel. Die Musik des Spiels verändert sich graduell von Phase zu Phase, es gibt keine radikalen oder hektischen Veränderungen. Elemente ebben ab oder ergänzen das Vorhandene. Mir gefällt diese organische Qualität.» Queeste scheint die natürliche Verkörperung der Interessen de Louws zu sein. Offensichtlich durch die Musik, die über die letzten zehn Jahre seines Lebens eine Schlüsselrolle einnahm, aber auch durch die visuellen und textuellen Elemente des Labels. So finden Filme und Videospiele ebenfalls ihren Weg in den Queeste-Output, gefiltert durch de Louws Faible für Abseitiges.

Während der Unterhaltung kommt de Louw immer wieder auf Räume und Orte zu sprechen. Diese sind ein zentraler Aspekt von WYSIWYG, aber auch mit Queeste und de Lows persönlicher Beziehung zu Klubmusik verknüpft. «Es interessiert mich immer weniger, in Klubs zu gehen. Mit der niederländischen Klubkultur kann ich mich kaum noch identifizieren; ich finde viele Konzepte problematisch.» Er erklärt, dass die Orientierung hin zur Rund-um-die-Uhr-Party ihn befremde. «Ich denke, das Konzept des möglichst langen Partymachens, nimmt zu viel Raum ein. Und dies obwohl es eine Menge aufregender DJs und viele interessante Stimmen gibt – mehr als je zuvor. Aber die Kluberfahrung ist mir oft zu eindimensional.»

Ein weiteres Problem der gegenwärtigen Klubkultur ist laut de Louw der zu grosse Fokus auf die Tanzfläche, ohne zu berücksichtigen, dass viele Leute in Klubs gehen würden, um sich zu unterhalten und Leute kennenzulernen. Dieser Tendenz würde oft zu wenig Raum eingeräumt. «Normalerweise ist der einzige Ort, an dem man sich unterhalten kann, das Fumoir. Und dieser Raum ist oft nicht besonders einladend.» De Louw glaubt, dies sei ein Grund, warum so viele Leute auf der Tanzfläche reden würden, was für Ablenkung sorge. «Wenn ich in einen Klub gehe, will ich Musik erfahren. Auf der Tanzfläche.» Neben seiner Unzufriedenheit mit der holländischen Klubkultur, findet er auch den Fokus auf Musik aus vergangenen Zeiten problematisch. «Es ist fast schon ein Fetisch. Natürlich gibt es alte Platten, die sehr gut sind, aber oft hat es einen Grund, warum die Musik sich in den Achtzigern, oder wann auch immer sie produziert wurde, nicht verkauft hatte.» Er betont, dass manche Musik einfach der Vergangenheit angehören sollte. Daraus resultierend soll der Fokus von Queeste auf dem Jetzt liegen, denn «nur die Gegenwart kann etwas darüber aussagen, wie wir unsere Zeit erleben.»

Die Sonne ist jetzt vollständig hinter dem Horizont verschwunden. Die bläuliche Dämmerung läutet subtil das Ende der Konversation ein, die sich ähnlich verhält, wie Links Erkundungen von Hyrule: mäandernd. Das letzte Thema, über das noch gesprochen werden muss, ist die Globalisierung, ein zentraler Aspekt von Queeste. Ein Beispiel dafür ist ein gemeinsames Projekt mit Commend, einem New Yorker Plattenladen mit Verbindungen zu RVNG Intl. Commend wünschte sich von Does, dass 50 Exemplare von Wandelaar ein limitiertes Siebdruck-Poster enthalten sollten, gedruckt in Brooklyn von Keegan Mills Cooke. Das Internet ist in grossem Masse verantwortlich für den Informationsüberfluss, der zuvor thematisiert wurde, bringt Queeste aber auch mit Gleichgesinnten rund um den Globus in Kontakt. Das Label ist hyper-lokal – der Betreiber könnte mit dem Fahrrad von seinem Zuhause zu dem des Künstlers der ersten Veröffentlichung fahren – und gleichzeitig vollständig globalisiert, weil es DJs und Hörerinnen auf der ganzen Welt miteinander verbindet. De Louw sagt: «Mir gefällt es, wenn Labels sich global positionieren und sich Gedanken dazu machen, wie sie sich in die globusumspannende Landschaft elektronischer Musik einordnen können. Das will ich auch mit Queeste versuchen.»

Die Zeit wird zeigen, ob das junge niederländische Label damit Erfolg haben wird. De Louw stimmt dem zu: «Wir stehen ganz am Anfang eines Prozesses und es ist wahrscheinlich besser, diese Frage in einigen Monaten nochmal zu stellen.» Dennoch scheint Queeste ein Label zu sein, dass unserer Zeit entspricht: es hinterfragt Kontexte, strukturiert Veröffentlichungen inter- und transdisziplinär, fokussiert auf neue Musik und operiert lokal und global zugleich – alles Qualitäten, die in der Gegenwart vonnöten sind.