27.12.2013 von Marc Schwegler

Performance, Präsentation, Live-Set: Ein Roundtable Zu Hot Knobbing Und Co.

Im September 2013 zeigte der Hamburger Künstler Thomas Baldischwyler im Basler Projektraum Oslo 10 seine Arbeit Hot Knobbing. Die Installation kombinierte typische Einrichtungsgegenstände eines Projektraums – Regale, Trennwände, Kühlschrank, Bar – mit Baldischwylers aktuellen Produktionsmitteln – Bootslack, Spiegelfolie, Pappkartons, Acrylfarbe. Baldischwyler hatte seine Arbeit jedoch nicht als Ausstellung konzipiert, sondern als einen mit digitaler Countdown-Anzeige versehenen Warteraum, der auf die Finissage vorbereitete. Bei dieser Finissage traten Mark Fell (SND, Sensate Focus), Miles Whittaker (Demdike Stare), Ralph Cumbers (Bass Clef, Some Truths) und der Londoner Newcomer Joane Skyler auf.

Marc Schwegler von zweikommasieben hat Baldischwyler und seine Gäste kurz vor Ablauf des Countdowns – also unmittelbar vor Konzertbeginn – im Hinterhof des Projektraums zum Gespräch getroffen.

Marc Schwegler Thomas’ Projekt beschäftigt sich ja mit Fragen rund um Live-Performances. Welchen Platz nehmen Live-Performances in eurer künstlerischen Praxis ein ? Sind sie ein wichtiger Grundpfeiler in eurem Schaffen oder doch eher nur eine Einnahmequelle ?

Miles Whittaker Nun ja, das ist wohl von Person zu Person verschieden. Ich zum Beispiel habe damit angefangen, Platten zu machen – Gigs spielen wollte ich eigentlich nie. Aber irgendwann wird man fast dazu gezwungen, die Leute wollen dich nun mal Shows spielen sehen. Nachdem ich es nun ein paar Jahre gehasst habe, beginne ich den Druck und die Spannung, die Performances mit sich bringen, schon fast zu mögen. Es macht die ganze Sache auf eine Art ja auch interessant. Eigentlich würde ich aber immer noch am liebsten nur Platten veröffentlichen. Nur sind Live-Performances halt eine Einnahmequelle und dementsprechend wichtig – gerade wenn man beschlossen hat, eher nicht-kommerzielle Produkte zu veröffentlichen.

Joan Skyler Ich spiele jetzt schon eine Weile Konzerte, aber Musik war für mich bisher immer nur ein Nebengeleise. Zuvor war ich vor allem mit visuellen Arbeiten erfolgreich, nun habe ich aber das grosse Glück, dass Leute mich buchen und mir Shows anbieten. Dabei habe ich lange keinen grossen Druck verspürt – den merke ich erst seit kurzem und vor allem auch heute Abend. [Zeigt in die Runde] Das sind alles grosse Nummern – das schüchtert einen schon etwas ein.

Mark Fell Naja, live zu spielen ist schon ein wichtiger Teil des Ganzen – allerdings ein Teil, der immer auch etwas anstrengend ist. Ich verdiene halt viel mehr Geld mit Live-Performances als mit Releases. Aber interessieren tut mich die ganze Geschichte eigentlich nicht gross. Natürlich ist es manchmal eine
Erfahrung, die « Spass » machen kann – es ist ja auch super, reisen und mit Leuten rumhängen zu können. Aber ein Grundpfeiler meines Schaffens ist es definitiv nicht. Wenn ich dafür kein Geld bekäme, würd ich’s auch nicht machen.

TB Aber es gibt doch Leute, für die es ein Kick ist, live zu spielen. Die beschreiben es gar als Droge, als aufregend…

MF Aber diese Leute sind Performer.

TB Liegt da also der grosse Unterschied zwischen Performer und Producer ?

MW Der Producer ist ein sehr junges Phänomen und unterscheidet sich sehr stark von einem Performer.

TB Elektronische Musik zu produzieren und ein Instrument zu spielen, sind also zwei komplett verschiedene Dinge ?

MF Alle Arten, Musik zu machen, sind verschieden. Ein Klavier aufzunehmen, ist etwas komplett anderes, als eine Brass Band zu recorden. Das zu generalisieren, halte ich für falsch.

JS Nur schon zwischen uns vier, die heute hier spielen, gibt es grosse Unterschiede. Natürlich spielen wir alle elektronische Musik, aber unsere Klangästhetiken und unsere Arten, zu performen, sind doch sehr unterschiedlich.

MF Ich nenne meine Art nicht mal mehr Performance – ich nenne das, was ich mache eine Präsentation. Ich zeige eine Auswahl von Sachen, die ich gemacht habe oder gerade mache. Weil sobald man das Wort Performance ins Spiel bringt, kommt auch gleich ein ganzer Haufen von Konnotationen und Zusammenhängen dazu, die für mich eher irrelevant sind. Zum Beispiel, ob das jetzt improvisiert oder determiniert ist. Diese Kategorien machen für meine Art zu arbeiten gar keinen Sinn.

MS Ralph, wie siehst du das ?

Ralph Cumbers Nun, ich bin wohl eher auf der Gegenseite einzuordnen. Ich kenne die jeweiligen Hintergründe der anderen hier nicht, aber ich habe als Kind angefangen Posaune zu spielen. So bin ich zur Musik gekommen. In der Folge bin ich dann Schritt für Schritt in die elektronische Musik gerutscht. Ich habe Musik immer gemeinsam mit anderen Leuten gespielt – in einem Orchester oder wie auch immer – und sogar wenn ich zu Hause im Studio aufnehme, handelt es sich dabei immer um die Aufnahme einer Live-Performance. Ich bin kein guter Komponist. Aber während des Improvisierens können magische Dinge passieren. Diese führen teils zu etwas, das jenseits meiner Möglichkeiten und Fähigkeiten liegt; Sachen, die ich mir nie hätte ausdenken können. Natürlich ist es immer noch ein Unterschied, ob man allein in seinem Studio ist oder in einem Raum voller Leute.

MF Aber warum siehst du in der Improvisation nicht auch eine Form der Komposition ?

RC Nun ja, es handelt sich dabei wohl schon um eine Form des Komponierens. Was ich meinte war: Wenn ich mich hinsetze und versuche eine Melodie oder einen Song zu schreiben, würde nichts Gutes dabei herauskommen. Das Some-Truths-Projekt setze ich live jeweils so um, dass ich dabei nicht in die Leute blicke, sondern ihnen den Rücken zuwende. Das finde ich sehr befreiend: So kann ich die Gesichter nicht lesen und versuche nicht permanent, die Reaktion der Leute zu beurteilen. Ich kann mich in meine eigene Höhle verkriechen. Das ist super.

MS Es ist ja eigentlich schon erstaunlich: Einerseits scheint das ganze musikalische Schaffen der Menschheit online verfügbar zu sein, andererseits besteht aber ein riesiges Bedürfnis nach Musik-Events: Leute wollen ihre Lieblings-Acts live sehen – und haben entsprechend grosse Erwartungen an diese Live-Shows…

RC Es kommt ja schon sehr drauf an, wo man ist. Ich meine, ich hab schon Gigs gespielt, wo es aus meiner Sicht klar war, dass ich live performe und die Leute haben mich trotzdem für einen DJ gehalten und sich Songs gewünscht… Gewisse Leute haben ein Interesse, anderen ist alles scheissegal.

TB Letztes Wochenende haben Plaid in der Zukunft in Zürich gespielt. Sogar bei deren Live-Set haben sich Leute Songs gewünscht…

MF Naja, wäre interessant gewesen, Plaid bei ihrem Auftritt zu filmen um zu schauen, was sie tatsächlich während der Performance gemacht haben… Es gibt ja einige bekannte Künstler – ich sage nicht, dass Plaid dazugehören – die nur auf die Bühne gehen und Play drücken. Ich habe damit eigentlich auch kein Problem. Womit ich aber ein Problem habe, ist, wenn jemand so tut, als würde er mehr machen. Und ich habe tatsächlich schon Leute dabei beobachtet, wie sie die Bühne betreten, Play drücken und dann so tun, als würden sie performen.

TB Genau ! – das so genannte Hot Knobbing, das dieser Veranstaltung hier den Titel gegeben hat.

MF Hm. Hot Knobbing. Wenn ich das höre, denke ich aber an Sex. Weil « Knobbing », das ist ein ein Ausdruck fürs Ficken…

Alle lachen

MS Wollen also die Leute nur den Event ? Ist die Live-Musik gar nicht das Entscheidende ? Denn offensichtlich boomen doch die ganzen Festivals.

MW Nun, Festivals sind ein schräges Beispiel. Im Normalfall gehen doch Leute an Festivals um sich für zwei oder drei Tage komplett abzuschiessen. Die sagen zwar hinterher, dass sie diesen oder jenen Act gesehen hätten – aber eigentlich erinnern sie sich an gar nichts mehr.

MF Es gibt schon auch Leute, die sich noch an Acts erinnern, da pauschalisierst du jetzt aber…

MW Ja, klar pauschalisiere ich – es gibt immer Ausnahmen von der Regel. Aber an den letzten paar Festivals, die ich gespielt habe, waren die Leute komplett von der Rolle. Das Dimensions in Kroatien – nun, das war schon desaströs.

MF Dann spielst du offensichtlich die falschen Festivals…

MW Ich weiss ! Wir sind einfach immer am komplett anderen Ende der Skala.
Mit Demdike Stare haben wir letztes Jahr auch das Latitude-Festival gespielt – eine Veranstaltung für die Guardian-Leserschaft. Da gab’s dann vielleicht einen Besoffenen auf 30’000 Leute. Die haben sich alle so brav verhalten, dass ich mir auch schon fast wieder Sorgen gemacht hab.

MF Wenn man an Konzerte mit klassischer Musik denkt: Da passiert eigentlich nicht viel, das interessant wäre. Aber man macht eine unglaublich intensive, klangliche Erfahrung. Dem ist so, weil das Orchester räumlich so organisiert ist, dass eine einzigartige Hör-Erfahrung möglich wird. Ich glaube, dass der schlechte Klang oft ein Hauptgrund ist, weshalb Leute elektronische Musik nicht mögen. Der Sound ist oft einfach Scheisse. Wie gut etwas klingt, ist für mich viel entscheidender, als die Frage danach, ob das jetzt « live » ist oder nicht.

MS Aber ist für die Leute der visuelle Aspekt nicht genauso wichtig ? Erwarten sie nicht, dass sie was zu sehen bekommen ?

MF Naja, wenn sie das erwarten, ist das ihr Problem.

MW Es ist eine seltsame Erwartungshaltung. Einer der Gründe, weshalb wir bei Demdike-Stare-Shows Visuals verwenden, ist, weil wir es hassen, angestarrt zu werden. Es sieht auch aus, als würden wir auf der Bühne gar nichts machen. Aber wir machen tatsächlich etwas.

MF Ich mag es eigentlich, wenn die Leute mich anstarren und denken: « Der Typ macht ja gar nichts ! » Habt ihr die Boiler-Room Performance gesehen, die ich und Matt [Anm. d. Red.: Die andere Hälfte von SND] gemacht haben ? Wir haben die wohl groteskeste Musik gemacht, die man sich vorstellen kann. Ich habe zu Matt gesagt, dass wir etwas machen sollen, dass die Leute ans Limit dessen, was sie geniessen können, bringt. Und dass wir dann einfach da stehen und es so weit treiben wie möglich. Habt ihr die Kommentare zu dieser Performance gelesen ? Die Leute waren schockiert ! « Wieso stehen die still ? » « Wieso sind sie nicht begeistert ? » « Wie sollen wir begeistert sein, wenn die beiden nicht begeisternd sind ? »

RC Ich hab zwar Matt bei einer Gelegenheit mit einem Bein zucken sehen. Dabei habe ich mir gedacht: « Oh-oh, dafür wird er gefeuert… » [lacht]

MF Die Leute wollen, dass man ihnen Begeisterung vorzeigt. Sie wollen ja auch ausgehen und eine tolle Erfahrung machen. Für mich geht es also darum, wie das Publikum auf eine bestimmte Reaktion hin getrimmt wird. Ich glaube, dies ist auch eine wichtige Frage für Terre Thaemlitz [Anm. d. Red.: vgl. Interview in zweikommasieben #7], die oft Erwartungshaltungen untergräbt. Meine Position ist: Ich hab die Leute lieber verstört und verwirrt, als glücklich und befreit. Weil sich verwirrt und unglücklich zu fühlen am Ende vielleicht produktiver ist.

MW Nun ja, es ist auf jeden Fall denkwürdiger…

MF An den meisten Konzerten, die ich besuche, rege ich mich auf. Und das ist wahrscheinlich der Grund, warum ich angefangen habe, Musik zu machen. Nicht zufrieden zu sein oder sich über etwas nicht sicher zu sein, das ist doch viel produktiver, als zu denken, man hätte alles verstanden. Dieser Unterschied hat viel damit zu tun, wie ich Live-Performances angehe und was ich darüber denke.

RC Hm, lustig – ich habe deine Sets eigentlich immer total fröhlich gefunden.

MF Genau das meine ich ja: Es gibt einen Unterschied zwischen dem Klang und dem Weg, wie er präsentiert wird. Ehrlich gesagt: Ich höre sehr gerne cheesy Pop-Musik und wenn ich für Leute Mixes mache, dann ist das meistens auch eine Zusammenstellung von Charts-Dance-Musik. Und die Leute fragen sich dann, ob das jetzt ironisch gemeint ist…

MS Wo du den Boiler Room erwähnst, Mark – gibt’s da nicht noch eine zusätzliche Aufforderung, Dinge zu visualisieren ? Hören Leute eigentlich Boiler Room oder schauen sie eher nur ?

MW Hm, ja – da geht’s wohl schon eher um ein Spektakel, würde ich meinen. Es ist schon etwas anderes, als einfach einen Podcast mit Musik zu machen.

RC Boiler Room ist ja auch unglaublich erfolgreich…

MW Ja, unglaublich. Es ist schon fast unheimlich.

RC Ich versteh’s nicht.

TB Niemand versteht, warum das so erfolgreich ist. Aber alle schauen es…

Michi Zaugg vom Oslo 10 [Eilt herbei und sagt dringend] Hey ! Ihr müsst kommen, es geht gleich los !