28.12.2013 von Michael Volken

Modeselektor — Schnapsidee wird Erfolgsgeschichte

«Sitzste im Studio schon über drei Stunden an einem Track und merkst, daste mal raus musst. Und dann, gerade im richtigen Moment kommt Cosmin mit Kippen rein und erzählt von so übelst krassen Techno Tracks und dass wir jetzt alle aufhören müssen Musik zu machen. Die hörste dir dann mal an und danach ist der Kopf wieder ausgelüftet. Nachher ein bisschen skypen mit Addison Groove, der einsam in Bristol sitzt und dem fast die Decke auf den Kopf fällt, weil er mal für zwei Wochen keine Gigs hat.»
– Gernot Bronsert

Als Ende der Neunziger im Köpenicker Jugendclub unter grossem Red Bull Konsum die ersten Modeselektor Echoschlaufen entstanden, wusste noch niemand, dass später einmal bei denselben Jungs Momente wie diese zum Alltag gehören. Die Berliner Gernot Bronsert und Sebastian Szary mischen die Technoszene heute als Duo Modeselektor und mit Sascha Ring (aka Apparat) in der Formation Moderat so richtig auf. Ihr unverwechselbarer Sound ist eine Technopeitsche, welche ihr Tale vom Dupstep bis zum Hip Hop quer über die Technowelt schlägt.

Anfangs Februar spielten sie im Zürcher Komplex 457 ihre aktuelle Liveshow, welche neben bassgeladenem und fettem Technosound auch visuell ein wahres Meisterwerk war. Michael Volken von zweikommasieben traf die beiden vor ihrem Gig zum Interview.

Michael Volken Ihr spielt heute Abend neben Barker & Baumecker, die wie ihr aus Berlin kommen. Was ist euer Bezug zu den beiden?

Gernot Bronsert Wir kennen natürlich Andy Baumecker, man trifft sich in Berlin immer wieder an Veranstaltungen. Andy war für mich schon immer ein sehr guter DJ, er überzeugt mich schon lange durch seine Auflegerei. Dass er jetzt mit seinem Kumpel Musik macht haben wir in unserem Kosmos natürlich auch mitbekommen. Ich bin immer sehr positiv überrascht, wenn neue Formationen entstehen.

Sebastian Szary Dieser Berlinbezug ist schon ganz abgefahren. Es gibt so viele Künstler, die aus Berlin kommen oder da wohnen. Dadurch könnte man bei gewissen Veranstaltungen im Ausland wirklich meinen, es sei ein Event in Berlin. Natürlich kennt man sich, doch im Endeffekt macht jeder sein eigenes Ding und man hat schlussendlich nicht viel miteinander zu tun.

MV Wäre Barker & Baumecker nicht auch ein Act für euer Label 50Weapons? Vom Sound her würde das ja eigentlich ganz gut passen.

GB Ja ich weiss, es würde noch vieles auf 50Weapons passen. Es ist für uns immer ein Balanceakt, da sich der Kontakt mit praktisch allen Künstler auf dem Label von alleine ergeben hat. Es gibt schon auch Musiker mit denen wir in Kontakt treten, weil uns gefällt, was die machen und man sich so kennengelernt…

SS …aber das hat kein festes System, es passiert und entwickelt sich einfach.

MV Kriegt ihr viel Musik, die ihr ablehnt, weil sie nicht aufs Label passt?

GB Wir kriegen extrem viele Demos, von denen nur ein sehr kleiner Teil interessant ist. Ich merke schnell wie ein Demo-Tape gemeint ist oder was derjenige will.

SS Manchmal frage ich mich wirklich: Wie hat sich dieses Tape zu uns verirrt? Wie kommen die auf die Idee, dass es reinpasst?

GB Es ist wirklich die Ausnahme, dass es darunter Leute gibt, die verstehen, was wir machen. Mit Dark Sky brauchte es einen sehr langen Austausch und wir mussten auch einige EPs ablehnen, bis wir uns gefunden hatten und es zu einem Release auf 50Weapons kam. Mit der ganzen Labelarbeit haben wir die Möglichkeit Künstlern zur Seite zu stehen, vor allem solchen, die noch Hemmungen haben und noch nicht so erfahren sind. Damit sollen ihnen gewisse Fehler erspart bleiben. Natürlich gibt es auch Acts, welche sich überhaupt nicht reinreden lassen, die auch eine ganz eigene Sprache sprechen und wir nur das fertige Produkt absegnen. Shed oder Marcel Dettmann zum Beispiel kennen wir schon sehr lange – wir kommen alle aus derselben Ecke und haben einen Riesenrespekt vor einander.

MV Wie ist der Labelname 50Weapons entstanden?

GB 50Weapons hat eigentlich eine ganz einfache Geschichte, das ist kein Produkt oder so…

SS Schnapsidee!

GB Ja genau, eigentlich war das Ganze eine ziemliche Schnapsidee. Angefangen hat es in Manchester, als wir uns mit unserem Kumpel Shlom getroffen hatten, der schon seit langem unsere England Connection ist. Wir wollten damals irgendwas Abgefahrenes machen und so entstand die Idee, ein Label zu gründen, wo nur 50Cent-Bootlegs erscheinen. Von den geplanten Fünfzig haben wir eines dann auch gemacht, welches aber nicht wirklich ein Bootleg war. Der Beat stammte von Dabrye, noch bevor er sich James T. Cotton nannte, der früher einmal mit uns in einer WG wohnte. Artig wie wir waren, hatten wir ihn angefragt, ob wir den Beat klauen dürfen. Er meinte, dass es natürlich OK sei, wir ihn aber eigentlich nicht fragen dürften, wenn das ein richtiges Bootleg sein sollte. Danach lief auf dem Label lange nichts, da wir viele Gigs hatten und ständig unterwegs waren. In der ersten Moderat-Phase 2009, wurde das Label wieder reanimiert. Wir hatten damals ein paar fette Remixes von Shackleton, T++ und Headhunter erhalten, welche Ellen [Alien, Labelboss und Gründerin von BPitch Control] nicht auf BPitch Control veröffentlichen wollte. So hatten wir entschlossen, diese auf 50Weapons herauszugeben.

SS Fussnote: Wir hatten vom ersten Release noch jede Menge Blancosleeves mit dem 50Weapons Logo drauf.

GB Ja, und dann nahm alles so seinen Lauf.

MV Und wie ist 50Weapons zu verstehen, hört ihr nach fünfzig Releases auf?

GB Wir erhalten sehr viel gute Musik, die wir auch rausbringen wollen. Durch die Begrenzung auf fünfzig Stück können wir aber nicht alles auf 50Weapons rausgeben, weil so die Katalognummern für bestehende Künstler gebraucht werden, von welchen auch ständig neue Sachen kommen. Wir sind jetzt gerade bei der Hälfte angelangt und wenn wir jetzt alles mit neuen Acts zuhauen bis zur Fünfzig, würde Addison Groove sicher ein langes Gesicht machen, weil er sein neues Album nicht mehr rausgeben kann. Zur Zeit sind alle Künstler die auf dem Label vertreten sind extrem produktiv. Bambounou zum Beispiel schickt uns jede Woche ein paar neue Tracks. Daher müssen wir generell schauen, wie wir mit dem Label weiterfahren. Aber im Grunde ist ja keiner sauer, wenn wir das Ganze weitermachen – eher im Gegenteil.

MV Warum führt ihr zwei Labels: 50Weapons und Monkeytown Records?

GB Als wir von BPitch Control weggegangen sind und Monkeytown Records gründeten, haben wir gemerkt, dass wir für den Sound, den wir bedienen wollen, zwei Spielwiesen brauchen. Uns verbindet ganz ursprünglich diese Hard Wax-Schule, welche mit Modeselektor nicht viel zu tun hat und das wollten wir ganz klar trennen. Als Basis für Künstler wie Mouse On Mars oder Lazer Sword, die ja eine ganz eigene Sprache sprechen, wie auch für Siriusmo, eLan und Otto von Schirach, ist Monkeytown unser Mutterschiff. Die besagten Acts sind alles Musiker, die schon eine gewisse Erfahrung haben, etablierter sind und ihr eigenes Konzept durchziehen. 50Weapons hat sich zu einer «Label-Label» Sache entwickelt, welche eher als Crew-Ding funktioniert. Der Grossteil der Künstler auf dem Label gehört mittlerweile zu unserem festen Stamm. Mit Phon.o, Cosmin TRG, Addison Groove, Shed und neuerdings auch Bambounou pflegen wir einen sehr engen Kontakt.

SS Obwohl wir mit unseren eigenen Projekten schon sehr viel zu tun haben, ist uns die Zusammenarbeit und der Austausch mit den Künstlern sehr wichtig. Es macht Spass, mit so vielen Leuten auf diese Weise verbunden zu sein. Schlussendlich profitieren alle, die im Kosmos von 50Weapons verwickelt sind – es ist manchmal wie eine Therapie.

MV Ihr habt ja beide Frau und Kinder. Wie passt das mit euerer Arbeit und dem ständigen Partyleben zusammen?

GB Das ist eine interessante Frage. Eigentlich solltest du diese an unsere Frauen stellen, die würden dir eine ganz andere Antwort geben als wir. Es ist natürlich nicht einfach. Wir sind alle völlig unterschiedliche Menschen und haben untereinander ganz unterschiedliche Beziehungen. Damit unser Job mit dem Familienleben gut harmoniert braucht es viel Koordination und klare Regeln. Wir planen unsere Bookings immer ein Jahr im voraus, was heute nur noch mit unseren Frauen passieren kann. Letztendlich wären wir ohne unsere Frauen nicht so, wie wir jetzt sind. Sie halten uns wahnsinnig den Rücken frei und organisieren das gemeinsame Sozialleben. Szary und ich sind ja immer in irgendwelchen Paralleluniversen unterwegs und haben für so etwas auch gar keine Zeit. Zu Hause ist der Job ein absolutes Tabu-Thema. Unsere Frauen haben mittlerweile gar keinen Bock mehr in irgendwelcher Form darüber zu reden.

MV Sind die Frauen mit dabei, wenn ihr auf Tour geht?

GB Szary ist mit seiner Frau schon seit zwanzig Jahren zusammen und ich mit meiner jetzt auch schon seit zehn. Die haben das Ganze schon tausend Mal gesehen und sind deswegen sehr selten dabei.

SS Das ist ja auch immer eine logistische Herausforderung, mit den Kindern und so.

GB Klar kommen sie, wenn wir zum Beispiel mit Moderat ein neues Konzert in Berlin spielen oder sonst einen grossen Event organisieren – aber gross mit auf Tour kommen die Frauen eigentlich nicht.

MV Ihr arbeitet momentan an eurem neuen Moderat-Album. Macht ihr damit dem Sascha nicht sein Rockstar-Dasein kaputt?

GB Hat er ein Rockstar-Dasein?

SS Sascha hatte tatsächlich so ein Rock-Band-Ding gestartet. Aber schlussendlich hatten wir alle wieder Bock auf Moderat. Nach einer langen Modeselektor-Phase ist die Zusammenarbeit mit Sascha für uns wie ein Befreiungsschlag. Mit ihm ist das Arbeiten im Studio immer sehr spannend. Sascha macht als Apparat komplett andere Musik als wir und hat auch eine völlig andere Herangehensweise und Vorstellung vom Produzieren. Es entsteht dann so ein wahnsinniges Geflecht von unseren beiden Welten, bei dem man merkt, dass das Musikverstehen im Endeffekt doch sehr ähnlich ist.

GB Wir tun uns gegenseitig sehr gut. Sascha hat einen ganz anderen Lebenswandel – der ist ja immer irgendwo auf der Welt und macht sein Ding. Ich glaube, wenn ich so wie er keine Familie hätte, dann wäre ich schon längst tot oder so.

MV Was können wir vom neuen Album erwarten?

SS Seit der ersten Moderat-Phase vor fünf Jahren ist technisch sehr viel gegangen und auch Saschas Stimme hat sich extrem weiterentwickelt…

GB Es wird eine richtige Moderat-Platte, welche man vom ersten Ton an wiederkennt. Wir brauchten eine Weile bis es Klick gemacht hatte, da es von Modeselektor auf Moderat eine gewisse musikalische Umstellung ist. Die Studioarbeiten hatten wir im Oktober begonnen und nach einer langen Winterpause vor kurzem wieder fortgesetzt. Jetzt sind wir eigentlich so gut wie fertig und das Release wird dann irgendwann im August veröffentlicht.

MV Besten Dank für das Interview und für eure Zeit.