18.03.2022 von Léonard Vonlanthen

Milyma – Intimität > Erfolg

Die Musik von Milena Mayordomo alias Milyma kann wohl am einfachsten als «kontemporär» beschrieben werden – dies zumindest war der Eindruck von zweikommasieben Autor Léonard Vonlanthen. An dieser Stelle veröffentlichen wird die deutsche Verison des Gesprächs der beiden, bevor Milyma dann diesen Freitag 18.03.2022 ein Konzert in der Zürcher Gessneralle zum Besten gibt.

Milena Mayordomo wurde in Mannheim in Deutschland geboren und wuchs dann in Bern auf, weshalb sie wohl als zeitgenössische Schweizer Popkünstlerin bezeichnet werden darf. Durch das Tanzen, so ihre eigene Beschreibung, habe sie schrittweise den Weg in die Produktion ihrer eigenen Musik gefunden. Und nachdem sie bereits mehr als ihr halbes Leben lang Klavier spielte fand sie seit 2012 auch einen Weg zur elektronischen Klangproduktion mit Synthesizers und Looper-Geräten. Mit diesen Instrumenten und Gerätschaften begleitet sie ihre Stimme auf sanfte Weise bei Stücken wie «We Could Have», verzerrt sie etwa auf «Piece 523» oder lässt Wortfragmente in Endlosschleifen wiederholen bei «Why». Seit 2018 erscheinen all diese Stücke unter ihrem Alias Milyma. So auch die letzte EP 321?, die im Juli 2021 auf dem Label Foundation FM Records veröffentlich wurde. An einem der wenigen heissen Tag im vergangenen Sommer traf sich Mayordomo mit Vonlanthen in Basel, um sich über ihre letzte Veröffentlichungen und die davor erfolgten Entwicklungen zu unterhalten.

Léonard Vonlanthen Unser Interview wäre fast nicht zu Stande gekommen. Du meintest im Vorfeld, dass du dich noch in einer Schlussmach-Phase mit deiner letzten Veröffentlichung befindest und etwas Abstand und Zeit bräuchtest, bevor du darüber sprechen möchtest. Wie würdest du diesen Prozess beschreiben bis hin zur Veröffentlichung von 321?, und das Gefühl nun nach dem Schlussmachen?

Milena Mayordomo Das ist schwierig zu beschreiben. Ich tendiere dazu das Endprodukt zu reflektieren. Dann fällt mir oft auf, was ich noch hätte besser machen können oder was mich dabei enttäuscht hat. Das ist die Perfektionistin in mir. Und dann ist da das Gefühl, dass es nun zu Ende ist. Die Veröffentlichung ist draußen, und man kann nichts mehr dran ändern. All die Zeit und Emotionen die reingeflossen sind; die Musik ist eine Momentaufnahme davon. Ein Ende zu finden ist dann oft schwierig und ich tendiere dazu, jeweils am Anfang eines solchen Endes etwas pessimistisch und kritisch zu sein. Jedoch weiss ich, dass jeweils eine Zeit kommen wird, wenn ich glücklicher darauf zurückschauen kann und Gefallen an meinem Werk finde.

LV Du baust also eine Art Beziehung zu deinen Stücken auf?

MM Ja und es ist ein sehr langer Prozess. Der fängt mit der ersten Idee zu einem Stück an.

LV In einem deiner Instagram Posts habe ich gelesen, dass du mehrere Jahre an einem bestimmten Stück auf 321? gearbeitet hast, nämlich «Heaven».

MM Ich habe rund sechs bis sieben verschiedene Aufnahmen von «Heaven» gefunden und dieses Stück gefühlte zweihundertmal für mich gespielt und gesungen. Die älteste Aufnahme ist von 2013. Oft vergisst man den Anfang des Prozesses und findet zum Beispiel alte Aufnahmen auf dem Computer, die komplett anders wirken. Bei diesem Stück hatte ich nie die Intention es zu beenden oder Songtexte dazu zu entwickeln. Mit der Zeit kamen jedoch immer weitere Ideen dazu, wie ich zum Beispiel verschiedene Synthesizer miteinbauen könnte. Irgendwann kam ich zu dem Punkt, wo ich es als fertig empfand, um einen Songtext für das Stück zu dichten und dass dann aufzunehmen.

LV Das heisst du beginnst immer mit der Melodie vor den Songtexten?

MM Ja, zuerst die Melodie, dann folgte eine erste Version von einem freien Gesang. Die Songtexte passe ich dann der gesungenen Melodie an.

LV Das sind spannende, einzelne Komponenten. Wie würdest du deine Melodien, den Gesang und die Songtexte beschreiben? Kann man diese Elemente einzeln oder zusammen einer Musikrichtung zuschreiben?

MM Eine klare Genrezuschreibung finde ich schwierig. Oft sage ich es geht Richtung R’n’B, aber abstrakter; eine Art kontemporärer R’n’B. Dennoch enthält meine Musik auch Popelemente.

LV Wenn du 20 bis 50 Jahre zurückschaust und einen Motown Soul Klassiker aus den 1960ern und einen Nelly Song aus den frühen 2000ern mit deiner Art von R’n’B heute vergleichst, wie würdest du die Unterschiede oder die damit einhergehende Entwicklung beschreiben?

MM R’n’B hat sich stetig weiterentwickelt. Über die Zeit hat mehr elektronische Produktionsmittel Einzug in das Genre gehalten. Wenn man sich z.B. Stücke von Kelela oder FKA Twigs anhört, dann ist das nicht mehr der pure R’n’B, sondern hat viele neue Einflüsse von Pop und ist deutlich schneller und eben elektronischer. «Neu» ist aber ein Ausdruck der vergänglich ist und somit an eine Art Zeitstrang gebunden ist. Gleichzeitig gibt es viele parallele Entwicklungen. Ein klarer Umschwung im Genre und dessen Zeitpunkt ist somit schwierig zu beschreiben. Deshalb lässt sich auch kein einzig klarer Ursprung von R’n’B beschreiben und welche Art davon nun als «pur» angesehen werden kann.

LV In Bezug auf Songtexte geht es bei R’n’B oft um Liebe. Wie definierst du Liebe?

MM Das kann ich nicht definiere, denn oft lässt es sich gar nicht in Worte fassen. Es sind viele Aspekte, die in einer Beziehung erlebt werden, wo man etwas oder jemanden liebt. Aber das Gefühlt an sich unterscheidet sich daran, in welcher Beziehung du gerade bist. Das kann auch eine Beziehung mit sich selbst sein – im Sinne der Selbstliebe.

LV Dieses Gefühl von Liebe finde ich kommt sehr gut rüber in deiner Musik, obschon das immer eine subjektive Auffassung ist. Welchen Einfluss findest du hat die technologische Entwicklung auf das Verständnis und den Ausdruck von Liebe?

MM Das kann ich nur anhand der Liebe beurteilen, die auch ich erhalten oder gegeben habe. Es ist mir daher nicht möglich zu vergleichen, wie es war zu lieben vor diesen technologischen Entwicklungen wie zum Beispiel dem Internet oder anderen neuen Medien, mit denen ich mehrheitlich aufgewachsen bin.

LV Okay, das verstehe ich. Und wenn du über den Begriff oder das Gefühl der Liebe hinausdenkst und dein eigenes Schaffen reflektierst: Wie hat sich beispielsweise dein Verständnis und Ausdruck deiner eigenen Musik über die letzten zehn Jahre verändert?

MM Mein Schaffen ist immer eine Momentaufnahme meiner diesbezüglichen Emotionen. Das Resultat ist meine Musik. Ich könnte deshalb diese Entwicklung nur musikalisch aufzeigen. Dies widerspiegelt sich auch in den Songtexten als Teil meiner Musik. Gewisse Texte würde ich heute klar nicht mehr so schreiben wie vor zehn Jahren. In meiner Musik findet sich daher ein spannender Rückblick auf meine eigene Entwicklung und meine Ausdrucksweise.

LV Kannst du ein Beispiel dazu machen?

MM In «Heaven» sang ich zum Beispiel: «What can I do that you love me like I love you»; der Ausdruck sich ändern zu wollen damit man geliebt wird. Sowas würde ich heute nicht mehr sagen.

LV Deine Musik ist sehr vielschichtig: die Beats, die Melodien, dein Gesang und darin geschachtelt die Songtexte. All das ergibt eine Ausdrucksweise, also quasi die Mitteilung, die du nach aussen trägst. Zu einigen Stücken hast du zusätzlich noch Videoclips oder Bilder, die du auf Instagram oder YouTube stellst. Wie würdest du diese verschiedenen Schichten gewichten: das Klangliche, die Songtexte und das Visuelle?

MM Für mich ist der Klang das Wichtigste. Er bringt mich in mein Kopfkino und zu Ideen für Videos und weiteren visuellen Aspekten – zum Beispiel für ein Cover. Das Klangliche ist der Kern von dem, was drum herum passiert. Die Songtexte haben am wenigsten Gewicht. Es gibt welche die eher füllend sind, sozusagen eine Definition und Präzisierung von freien Versen, die den Klang ergänzen. Deshalb kommen die Texte zum Schluss der Songproduktion. Ich bin auch etwas überfordert, wenn dann Leute fragen, was meine Songtexte bedeuten oder über was ich singe. Meine Arbeit sollte in den meiste Fällen selbsterklärend sein.
Gleichzeitig gibt es aber schon auch Songtexte, die für mich wirklich eine Bedeutung haben. Sie sind eine Mischung wie ich Emotionen aufnehme, sie umschreibe oder überspitze. Deren Wichtigkeit würde ich mit dem Visuellen gleichstellen. Aber die Hauptmitteilung meiner Stückte ist immer im Klang – nicht in den Texten oder den visuellen Aspekten.

LV Welche Mitteilung würdest du generell gerne vermitteln?

MM Bleibe ehrlich, selbst- und gesellschaftskritisch und handle aus Liebe – etwas kitschig, aber hofft man nicht immer auf Liebe zu stossen?

LV Machen die Songtexte die Mitteilung eher expliziter oder lenken sie davon ab?

MM Wohl eine Mischung von beidem… Es häng vermutlich von der Hörer*in ab. Jedoch möchte ich nicht explizit ablenken. Der Song vermittelt die Emotionen.

LV Was ist die Funktion der visuellen Aspekte in Bezug auf deine Mitteilung?

MM Es gibt einige meiner Lieder, die starke Bilder in mir auslösen. Diese würde ich dann gerne mit visuellen Aspekten betonen. Ich verwende auch Bilder, welche nicht spezifisch auf die Themen eines Stücks bezogen sind, jedoch dessen Gefühl gut vermitteln. Vielleicht hast du den Clip von «We Could Have» gesehen mit dem Computerspiel? Dieses Lied hat mir immer das Gefühl vermittelt einer Verfolgungsjagd, zu Flüchten oder allgemein zu Rennen – so wie die Figur im Spiel, die von der Kamera «verfolgt» wird.

LV Ja dieser Clip hat mich fasziniert. War dieses Spiel schon programmiert und ist dies bestehendes Videomaterial davon, dass du verwendet hast? Oder wie bist du das angegangen?

MM Das Spiel ist aus dem Jahr 2019 und heisst Anthem, ein Online-Actionspiel. Ich habe dessen Welt erkundet, mir angeschaut, was ästhetisch passt und dann eine Choreographie überlegt: wo ich durchfliege und was ich tue. Ich habe dann die Figur selbst zum Lied gesteuert und das Ganze aufgenommen.

LV Konntest du dich mit dieser Spielfigur identifizieren?

MM Ja, irgendwie schon… Insbesondere dieser Fluchtreflex, den man in bestimmten Situationen verspürt. Und die Wut die man teilweise in sich trägt – sowie das Verlangen auszubrechen, dass sich damit verbinden lässt.

LV Diese Empfindungen bringen mich zum Thema Selbstbild. Zuvor erwähntest auch das Thema der Selbstliebe. Wie würdest du diese beiden Aspekte von einer Selbstdarstellung unterscheiden?

MM Selbstliebe ist etwas sehr Ehrliches. Selbstdarstellung kann man hingegen manipulieren und von sich selbst als Privatperson abtrennen. Da hat man mehr Kontrolle und kann sich entsprechend verändern. Selbstliebe ist im Gegensatz dazu etwas Pures.

LV In welchem Medium kann man diese Selbstdarstellung am besten beeinflussen?

MM Gut geht das in einem Musikvideo: Wenn ich zum Beispiel in einem Musikvideo tanze oder mich bewege, kontrolliere ich dies gezielt und setze es entlang des Sounds um. Da kommen viele Elemente der Selbstdarstellung zusammen.

LV Welche Rolle spielt Schönheit bei der Selbstdarstellung und einem damit einhergehenden oder ausbleibenden Erfolg?

MM Ich denke das typische Konzept von Schönheit bricht gerade auf und wird diverser. Es entstehen mehr Seiten von Schönheit. Dazu gehört auch die Realität, dass nicht alles schön ist. Mit dieser Vielseitigkeit und Gegensätzen spiele ich gerne.

LV Und deine eigene Schönheit, trägt diese zu deinem Erfolg hinzu?

MM Wenn Leute mich als schön empfinden – dann ja.

LV Wenn du jemand anders sein könntest, wer wärst du?

MM Diese Frage habe ich mir schon lange nicht mehr gestellt. Wenn, dann wäre ich gerne jemand meiner engen Freundinnen, da ich sie gut kenne und schätze. Ich würde sie wählen, da ich ihren Charakter kenne.

LV Spannend! Andere würden vielleicht jemanden Berühmtes wählen?!

MM Vieleicht gehe ich auf Nummer sicher: Ich möchte lieber eine Person sein, die ich kenne, mit all ihren tollen Charaktereigenschaften, als jemand, von der hauptsächlich die Eigenschaft ,,Berühmtsein“ oder „Erfolgreich-Sein“ nach meinem Wissen bekannt ist.

LV Man könnte also sagen Intimität beziehungsweise Vertrautheit geht über Berühmtheit oder Erfolg.

MM Genau.

 

Kommenden Freitag 18.03.2021 spielt Milyma gemeinsam mit Actress in der Zürcher Gessneralle im Rahmen des Apples & Olives Festivals. Alle Informationen dazu hier: https://www.gessnerallee.ch/#Actress_x_Milyma

Das hier präsentierte Interview erschien ursprünglich in der 24.Ausgabe von zweikommasieben auf Englisch. Das Magazin kann im Webshop von Präsens Editionen gekauft werden. Die verwendeten Fotos wurden von June Amber für den Beitrag im Magazin Fischer geschossen.