07.11.2019 von Remo Bitzi

LUFF 2019 – «The best we can do»

Das LUFF in Lausanne reiht sich nicht einfach in den europäischen Festivalzirkus für elektronische Musik ein, sondern setzt bewusst auf Eigenheiten – dieses Jahr unter anderem mit der prominenten Position der kanadischen Nihilist Spasm Band im Programm. Ein Plädoyer für keinen Sinn, keine Musik und kein Ende.

Acts, die Musik fernab der Tanzflächen dieser Welt produzieren, eine Dramaturgie innerhalb der einzelnen Abende, die sich von Noise über EBM und Wave zu Ambient und zurück entwickeln kann und dabei explizit nicht Sinn machen will, ein Hauptprogramm, das um 3 Uhr ziemlich konsequent abbricht – die diesjährige Ausgabe des LUFF Festivals strotzt nur so vor Nonkonformität, vergleicht man es mit anderen europäischen Festivals für elektronische Musik. Mitverantwortlich dafür war die Nihilist Spasm Band, die dieses Jahr eine prominente Position im LUFF-Programm einnahm.

Seit Mitte der sechziger Jahre (!) verweigert sich die Band aus dem kanadischen London, Ontario, die vielerorts als Erfinderin der Noise Musik gilt, dem Musizieren – und feiert damit spätestens seit den Neunzigern internationale Erfolge. Der Legende nach kam eine der wenigen Platten, die die Band aufgenommen hatte, in die Hände des japanischen Noise-Musikers, Hijokaidan-Gründungsmitglied und Alchemy Records-Chef Jojo Hiroshige. Dieser lud die Nihilist Spasm Band, die jeden Montag für sich spielt, wobei Publikum stets willkommen ist, nach Japan ein, wo diese zu ihrem Erstaunen auf Fans trafen und Musikerinnen, die ähnliches machten wie sie. Sie trafen auf «ihre» Szene, von der sie, wie es heisst, nichts wussten.

Gut 25 Jahre nach dem Durchbruch der Band in Japan folgte 2019 ein Auftritt am LUFF – ein Festival, das sich seit seinen Anfangstagen unter anderem durch das Huldigen von (japanischen) Noise-Legenden auszeichnet. Mit der Einladung der Band tat das Festival etwas, was längst überfällig war, meint Thibault Walter, der das Musikprogramm verantwortet und mit sechs Mit-Kuratorinnen zusammenstellt, im Nachgang des Festivals: «Es ist, als ob uns der Ansatz der Nihilist Spasm Band seit der ersten Festivalausgabe anno 2002 begleitet hätte, ohne dass wir damals von der Band wussten. Tatsächlich haben wir erst im Laufe der Zeit festgestellt, dass die Band unsere Haltung massgeblich beeinflusst hat. Viele der Noise- und Klangkünstlerinnen, die wir über die Jahre eingeladen hatten, fühlen sich nämlich der Vorstellung von nicht-musikalischem Wissen, auf das sich die Nihilst Spasm Band beruft, verbunden.»

Als nicht explizit ausgewiesener, inoffizieller Headliner des Festivals eröffnete die aktuell aus Art Pratten, Bill Exley, John Boyle, John Clement, Murray Favro und dem permanenten Gastmitglied Aya Onishi bestehende Nihilist Spasm Band den zweiten Festivalabend des LUFF. Dabei wirkte der Auftritt der sechsköpfigen Combo an diesem Donnerstagabend im Tanzsaal des Casino de Montbenon trotz des fortgeschrittenen Alters der Bandmitglieder unfassbar erfrischend. Mit – wie es sich für eine Spasm Band gehört – selbstgebasteltem Bass, Gitarre, Effektgeräten, Violine, Perkussion, dem abermals auf der Bühne vorgestellten Kazoo, Gesang und einer Gelassenheit, die wohl erst im Seniorenalter einsetzt, spielten die Nicht-Musikerinnen, wie sie sich nennen, vor sich hin, spielten miteinander, spielten für sich, für die Band, für das Publikum, spielten entspannt, unbeschwert, frei, dem Alter entsprechend gesetzt. Zwischen den einzelnen Passagen witzelten die alten Herren um Frontmann Bill Exley immer wieder und erzählten Anekdoten wie diese: Nach einem Auftritt der Band wurde Art Pratten, der auf der Bühne jeweils seine selbstgezimmerte Violine zu bändigen versucht, von einem gleichermassen enttäuschten wie verwirrten Konzertbesucher auf das eben Gesehene angesprochen. Auf die Bemerkung, dass das, was die Band da macht, schrecklich sei, habe Pratten trocken geantwortet: «It’s the best we can do.» Diese Antwort wurde, so erzählte Exley auf der LUFF-Bühne, nicht nur zu einem Leitmotiv der Band, sondern betitelte eine vor gut zehn Jahren erschienen Werkschau, auf deren Auslage am Merchstand abermals hingewiesen wurde.

Die Nihilist Spasm Band, deren Konzert ein Highlight am diesjährigen LUFF markierte, machte sich auch ausserhalb des Musikprogramms vorstellig. Einerseits wurde im Filmprogramm erneut What About Me gezeigt – ein äusserst unterhaltsamer Dokumentarfilm des verstorbenen kanadischen Filmemachers Zev Asher über «The Rise Of The Nihilist Spasm Band», worüber die Macherinnen des LUFF anno 2005, als der Film zum ersten Mal im Festivalprogramm lief, die Band entdeckten. Anderseits lud die Nihilist Spasm Band am Samstag zu «No Party» in die Galerie Circuit. Leider, aber wenig überraschend, dauerte das «nihilistische Bankett» weniger lange, als angekündigt, weshalb der Autor dieser Zeilen es verpasste und nichts weiter dazu sagen kann. Darüber hinaus färbte der «No Music» Ansatz der Nihilist Spasm Band auch auf das restliche Musikprogramm ab, wie Walter erklärt: «Nachdem wir uns zusammen mit Circuit dazu entschieden haben, die Nihilist Spasm Band zum diesjährigen Festival einzuladen, haben wir das restliche Programm zusammengestellt. Dabei versuchten wir, den ‹No Music› Ansatz der Nihilist Spasm Band auf Konzertsituationen zu übertragen. Wir fragten uns, warum wir überhaupt noch Konzerte veranstalten sollten? Und was ein Konzert überhaupt als ein Konzert erkennbar macht? Schlussendlich haben wir diesen ‹No Concert› Gedanken genutzt, um uns und unser Publikum zu fragen: Was ist ein Konzert?»

Dies liess bereits die Vielfalt der Ansätze in den Darbietungen von Olivia Block, Robert Aiki Aubrey Lowe, rkss, Vanligt Folk und weiteren am Donnerstag- und Freitagabend ahnen. Eindeutig erkennbar wurde der Gedanke aber am Abschlussabend: Luciano Maggiore und Louie Rice etwa führten eine ihrer minimalistischen Performances auf, im Rahmen derer sie sich pro Stück auf einen einzigen akustischen Sound beschränkten, den sie über mehrere Minuten wiederholten. Teils stationär, teils sich durch den Raum bewegend gaben die beiden identisch gekleideten und frisierten Künstler Laute mit ihren Stimmbändern wieder, klatschten mit ihren Händen oder erzeugten mithilfe von Trillerpfeifen grelle Töne. Dazu flackerte konstant ein Stroboskop, was zu einer kaum zu erwartenden Wahrnehmungsverschiebung – und bei einigen Konzertbesucherinnen zu scheinbar unkontrollierbaren Lachern – führte.

Noch etwas absurder, dafür weniger wirkungsvoll war das letzte «Konzert» des Abends: Als Title TK schloss Experimental-Gitarren-Heavyweight Alan Licht zusammen mit dem bildenden Künstler Cory Arcangel und dem Kurator/Researcher Howie Chen das Festival offiziell ab. Dabei plauderte das mit Gitarren ausgerüstete Trio, Chen via Skype zugeschaltet (!), fröhlich vor sich hin, fragte sich etwa, ob Coldplay das Radiohead von heute ist, kritisierte das Musikbusiness als Business, wunderte sich ob der nicht immer ganz stabilen virtuellen Verbindung zu ihrem zugeschalteten Bandmitglied. Und das, ohne je einen Ton auf ihren Gitarren zu spielen.

Mit der Stand-up-Comedy-artigen Performance von Title TK als Festivalabschluss bewiesen die Macher des LUFF nicht nur Witz und Mut, sondern unterstrichen die Eigenheit des Festivals. Oder andres: LUFF war in diesem Jahr mit der Einladung der Nihilist Spasm Band, der Übertragung des «No Music» Gedankens auf die Kuration des Konzertprogramms und den einzelnen Aufführungen maximal LUFF. Und so drängt sich die Frage auf, ob das Festival sich mit dieser 18. Ausgabe selbst verwirklichen konnte und weitere Festivalausgaben damit hinfällig werden. Walter verneint: «Das Problem ist, dass wir dieses Gefühl nach jeder einzelnen Ausgabe hatten – seit 2002. Und trotzdem entdeckten wir beim Zusammenstellen des Line-up der jeweils nächsten Festivalausgabe immer wieder neue und ältere bahnbrechende Ansätze. Es gibt keinen Anfang und es gibt kein Ende.»

Title TK in Aktion.