19.05.2018 von Guy Schwegler

Kein Bedarf für Orientalismus – Zuli

Die neu erschienene EP Trigger Finger auf Haunter Records bietet die optimale Gelegenheit, das Interview mit Zuli aus zweikommasieben #14 auch online zu veröffentlichen. Zusätzlich haben der Kairoer sowie Daniele Guerrini vom Mailänder Label die aktuelle zweikommasieben Weekly Spotify-Playlist erstellt.

Im Sommer 2016 nachdem Ahmed El Ghazoly aka Zuli seine Debut EP Bionic Ahmed auf UIQ veröffentlichte, machte er auf seiner kurzen Europa-Tour einen Stopp im Luzerner Klub Kegelbahn. Dabei überraschte er nicht nur mit einem grandiosen Set, sondern auch mit seinem britischen Akzent. Es stellte sich heraus, dass der Ägypter die ersten zehn Jahre nach seiner Geburt in London verbrachte und den Akzent seit dem Umzug zurück nach Kairo anno 1994 wohl noch nicht ganz ablegen konnte oder wollte.

Auch abgesehen von diesem Verwirrungsmoment und der tollen EP auf UIQ gibt es viel Spannendes von Ghazoly zu erfahren. Beispielsweise war er bei der Gründung des Musik-Kollektivs Kairo is Koming (KIK) dabei, betrieb einen Klub neben dem Tahrir-Platz, organisiert ein Austausch-Festival zwischen seiner ehemaligen und seiner aktuellen Heimatstadt und gibt nebenbei Ableton-Lektionen für die aufstrebenden Produzentinnen und DJs der ägyptischen Hauptstadt.

 

Guy Schwegler Wie sehr wurdest du von einer englischen Musik-Erfahrung geprägt, als du noch in London lebtest? Glaubst du, dass davon etwas geblieben ist?

Ahmed El Ghazoly Meine Familie ist mit mir zurück nach Kairo gezogen, als ich zehn Jahre alt war. Aber mit Top of the Pops und MTV aufzuwachsen, bedeutete vielleicht schon etwas. Britisches Fernsehen und britische Musik spielten eine grosse Rolle damals. Eine meiner beiden älteren Schwestern war, als wir noch in London wohnten, schon ein Teenager; sie hatte einen Plattenspieler und all diese cheesy Platten: Gloria Estefan, New Kids On The Block, Michael Jackson, usw. Natürlich hatte sie auch Audio- und Video-Kassetten – ich liebte Musik-Videos. Aber das wäre es dann auch schon hinsichtlich der Musik gewesen, die mich als Kind beeinflusste…

GS Und was spielte Kairo für eine Rolle? Hat dich die Stadt beeinflusst oder ist es im Endeffekt doch einfach das Internet, eine internationale Angelegenheit?

AG Es ist definitiv ein internationales Internet-Ding. Aber die Stadt spielte insofern eine Rolle, als dass ich im Moment der Rückkehr nach Kairo eine gewisse Anti-Haltung entwickelte: gegen ein Establishment, gegen einen Mainstream – gegen alles, was alle anderen machten. So etwas beeinflusst natürlich auch den Musik-Geschmack. Ich habe immer nach Alternativen gesucht. Dabei spielte Kairo eine wichtige Rolle. Aber im Endeffekt war es das Internet. Die Person, die ich heute bin, bin ich aufgrund des Internets. Was ich weiss, weiss ich aufgrund des Internets. Ich hatte nur das Internet – und das war echt toll. Ich will mich überhaupt nicht beklagen.

GS Diesem internationalen Internet-Ding wurden während deiner Tour aber auch die Grenzen aufgezeigt. Du gehörst zwar einer europäischen (oder auch einer globalen) Szene an, hattest aber Probleme wegen eines fehlenden Visums, das du für einen Ersatz-Flug nach einem Streik gebraucht hättest.

AG Ich will nicht die Visum-Karte ausspielen und mich beschweren, wirklich Schuld war ja der Streik: Für meinen Ersatzflug mit Zwischenstopp in London hätte ich noch eine zusätzliche Aufenthaltsbewilligung gebraucht. Aber ja, es ist schon sehr schwierig für Nicht-EU-Bürger. Und die Ironie der Sache ist, dass mein Label und meine Agentur in England sitzen, aber genau ein Visum für England mich daran hinderte, einen Gig in Italien zu spielen[1]

GS Jetzt haben wir über beides gesprochen, sowohl über den Einfluss des Internationalen, als auch über dessen Grenzen… Was denkst du also, spielt der Ort eine Rolle?

AG Ich denke – und darüber machen sich meine Freunde immer lustig­, dass Geographie keine Rolle spielt, wenn es um Musik geht. Dabei nenne ich immer dasselbe Beispiel, nämlich jenes von einem unserer Residents im Vent-Klub damals: 1127. Der klingt wie ein Engländer, war aber noch nie in seinem Leben in England. Es ist alles das Internet. Bei ihm ist das sogar noch extremer als bei mir, denn er ist sechs Jahre jünger als ich. Alle seine Einflüsse stammen aus dem Internet und nicht von irgendeiner bestimmen Szene, die in Kairo existieren würde. Die Antwort auf deine Frage ist also: Nein, ich glaube nicht, dass der Ort, dass Geographie eine Rolle spielt. Man wird vielleicht als Person von einem Ort beeinflusst und das kann wiederum einen Einfluss auf die Musik, die man macht, haben – aber nicht wenn es um Sound geht.

GS Du hast bereits Vent erwähnt… Erzähl doch noch etwas davon: Wie hat das Ganze angefangen? Was ist daraus geworden?

AG Vent war wirklich ein verrückter Trip… Mein Freund Asem und ich haben eine Zeit lang ein Magazin namens Awesome Magazine veröffentlicht. Darin ging es um Pop-Kultur in Ägypten und Kairo. Natürlich fühlten wir uns auf keine Weise mit Ägypten oder Kairo verbunden und schrieben Musik-Kritiken über Shabazz Palaces, Shlohmo und ähnliches. Aber wen interessiert das schon in Kairo? Niemanden. Aus irgendeinem dummen Grund war es auch noch ein Print Magazin… [Beide lachen] Da wir also nicht für eine Szene in Kairo sondern über irgendwelche spezifische Dinge schrieben, die niemanden kümmerten, kamen auch keine Werbeanzeigen rein. Wir haben also nur Geld verloren – bis wir bankrott waren. Danach haben wir uns mit einem Anwalt getroffen, um den Papierkram zu erledigen. Ein weiterer Kunde unseres Anwalts leitete diesen Klub, der eine Minute vom Tahrir-Platz entfernt liegt – also dem Ort, wo ein Grossteil der Revolution stattgefunden hatte. Und seit der Revolution lief der Klub immer schlechter. Unser Anwalt wusste sowohl von der Situation des Klub-Pächters, als auch von unseren Interessen. Wir waren nämlich schon länger auf der Suche nach einem Ort, insbesondere nach der Formierung von Kairo Is Koming [aka KIK]. Denn der kleinste gemeinsame Nenner dieses sechsköpfigen Kollektivs war, dass wir alle Musik in Kairo produzierten, aber uns niemand buchen wollte. Eine Szene dafür gab und gibt es ja nicht. Promoter buchen nur jene DJs, die Hits spielen. Wir haben also nach einem Ort gesucht, den wir selber leiten konnten. Einen Ort für Leute wie uns – für Musikerinnen und DJs, die nicht gebucht wurden, aber die Potential hatten und die eine Plattform benötigten. Und der Geschäftsführer des Arabesque – so hiess der Laden früher – suchte jemanden, der den Klub übernehmen würde.

GS Wann war das? Und wieso lief der Klub nach der Revolution nicht mehr gut?

AG Die Revolution begann ja 2011. KIK haben wir 2012 gegründet und mit Vent starteten wir 2013. Der Betreiber des Arabesque versuchte es also noch zwei Jahre mit dem Klub. Das Problem war aber, dass nach der Revolution das ursprüngliche Klientel des Klubs Angst hatte, in die Nähe des Tahrir-Platzes zu gehen. Der Klub war nämlich auf reiche Geschäftsmänner ausgerichtet: Es gab Bauchtänzerinnen und teures Essen. Unser Publikum war aber ein anderes: Junge, abenteuerlustige Leute – und die kamen dann auch ins Vent.

GS Ihr konntet also mit dem ehemaligen Pächter zusammenarbeiten?

AG Ja, Asem, ich und dieser Typ haben uns irgendwie gefunden und wir konnten den Laden während eines Jahres schmeissen. Unser Geschäftsmodell war, dass wir uns während der Woche nicht um Geld kümmerten: Wir machten, was wir wollten und buchten die Leute, die wir mochten. Am Wochenende haben wir dann einen populären DJ gebucht – oder einen internationalen Act. Wenn man jemanden aus dem Ausland bucht, dann kommen die Leute, egal wer es ist und was gespielt wird. Mit dieser Strategie – während der Woche Geld verlieren und dies an den Wochenenden kompensieren – waren wir zufrieden. Aber nach einen Jahr tauchte der Enkel des eigentlichen Besitzers des Gebäudes auf, sah, dass das Ganze Erfolg hatte und wollte einsteigen. Er überzeugte seinen Grossvater, unseren Partner rauszuwerfen und durch sich, den Enkel, zu ersetzen.
Es kam also dieser junge Geschäftsmann aus der ägyptischen Bourgeoisie zu uns ins Vent. Und Klub bedeutete für ihn Tisch-Reservationen und Champagner-Service. Das wollte er auch da durchsetzen. Er dekorierte den Klub neu – zu einer Mischung aus Burger-Bude und Las Vegas-Strip-Schuppen. Schrecklich! Ebenfalls mischte er sich in unsere Tür-Politik ein. Er wollte keine Leute im Klub haben, die nicht gut betucht waren, auch keine Frauen mit Hidschābs oder Homosexuelle. Wir aber hatten diese inoffizielle Gay-Night und das war und ist eben ein heikle Sache in Kairo. Unser neuer Geschäftspartner war natürlich nicht glücklich damit. Endgültig ausgestiegen sind wir, weil der Enkel während der Woche keine Verluste mehr akzeptierte, sondern während der ganzen Zeit Geld machen wollte…
Während der Zeit davor konnten wir aber wirkliche tolle Leute aus dem Ausland buchen, die sonst wohl nie in Kairo hätten spielen können – beispielsweise machten wir ein Opal Tapes-Showcase. Und diese internationalen Gäste wurden mit lokalen Künstlerinnen kombiniert. 40 Acts aus Kairo hatten ihr Debut im Vent. Einige von ihnen werden seither regelmässig gebucht. Die Sache hat also ihren Zweck erfüllt.

 

GS Du hast erwähnt, dass bei internationalen Künstlern der Laden jeweils voll war. Eine Opal Tapes-Nacht oder ähnliches war also jeweils ein Erfolg?

AG Bucht man in Kairo einen internationalen Act, ist die Veranstaltung auf jeden Fall ein Riesenerfolg. An einem Abend spielte zum Beispiel der Londoner Noise-Musiker Wanda Group. Das war bereits während des zweiten Jahres; der Klub sah also schon wie vorhin beschrieben aus und zu unseren Gästen zählten die Freunde unseres neuen Geschäftspartners. An jenem Abend war da eine Frau mit High Heels, einem schönen Kleid, gemachten Haaren – sie war bereit für eine schicke Nacht. Und Wanda Group spielte mit seinem verrückten Fruity Loops-Kassetten-Setup-Ding und es war natürlich einfach Lärm: tsssssssssccccchhh. Die Frau und ihr Freund, der sie schützend umarmte, hatten für Wanda Group nur entgeisterte Blicke übrig. Solche Sachen zu sehen, war schon toll… Aber irgendwann mussten wir einfach gehen. Die Mentalität von Asem und mir sowie jene unseres Geschäftspartners waren zu unterschiedlich. Wir verliessen den Klub daher im zweiten Jahr, etwa im Juli 2015. Anschliessend führten wir noch einzelne Veranstaltungen in verschiedensten Venues durch. Aber unser Geschäftsmodell war in dem Rahmen nicht wirklich praktikabel. Ein anderer Grund, warum wir nicht mehr so viele solche Veranstaltungen durchführen, ist das Masãfãt-Festival[2], das wir letzten Herbst mit den Leuten von Thirty Three Thirty Three[3] lancierten. Dabei brachten wir ägyptische Musikerinnen nach London und umgekehrt – ein Austausch-Festival also. Und ja, auch ein Vent-Label haben wir gestartet…

GS Wohin geht ihr, seit es Vent als Ort nicht mehr gibt? Wie sieht die Kairoer Musik- oder Klub-Szene aus?

AG Kairo? Nun… Die Klub-Szene wird von diesem spezifischen Sound dominiert: Dance-Musik wie zum Beispiel von Dixon oder Damian Lazarus – ich kenn mich da zu wenig aus. Es entspricht also nicht wirklich dem, was mich interessiert. Es herrscht die gängige internationale Norm und das hängt natürlich mit der Tatsache zusammen, dass diejenigen Leute, die das Geld haben, um in Ägypten auszugehen, die Reichen sind. Diese Events sind daher auch ziemlich teuer und es geht wohl mehr ums Ausgehen an sich als um die Musik. Eine der erfolgreichsten Nächte zurzeit ist Nacelle. Dort wird vor allem mit Cover-Bands zusammengearbeitet. Auch gibt es diesen Typen namens Disco Misr. Der macht Remixes von alter ägyptischer Werbung und solchen Sachen… Es handelt sich also tatsächlich eher um Entertainment als um Musik. Aber im Bereich, den wir mit Vent fördern wollten, gibt es wirklich tolle Produzentinnen aller Art… Was jedoch fehlt, sind Hip Hop-Produzenten. Davon gibt es nicht so viele; dafür aber unglaublich viele Rapper. Die sind wirklich gut und niemand kennt die. Alle fokussieren sich nämlich auf die Jungs von Mahraganat, die ja nicht mal versuchen, Rapper zu sein. Ich will nicht über Mahraganat und Electro-Chaabi lästern und respektlos wirken. Leute wie Maurice Louca setzen Chaabi in einer genialen Art und Weise ein; auch Islam Chipsy ist unglaublich kreativ. Chaabi ist ja eine alte Art ägyptischer Musik, gemacht mit diesen Yamaha Keyboards. Diese wurden in Ägypten mit Presets für den «Mittleren Osten» verkauft. Und Electro-Chaabi? Der Unterschied zwischen den beiden ist wohl, dass das eine mit einem Mikrofon und diesen Keyboards gemacht wurde, während beim anderen einfach Fruity Loops und ein Mic mit Auto-Tune eigesetzt wird. Aber die Songtexte… Die reichen nur von «Ohh, ich werde den Typen umbringen und ihm voll in die Nüsse hauen» über «ich liebe Gott, er ist der Grösste» zu «die werd ich ficken». Die Verlierer aus dieser ganzen Electro-Chaabi- und Mahraganat-Sache sind leider die Kairoer Rapper. Denn aus mir unerfindlichen Gründen bestehen westliche Medien darauf, die Mahraganat-Jungs als Rapper zu bezeichnen. Das sind aber keine Rapper, sondern Mahraganat MCs. Hoffentlich konnte unser Festival die Meinungen diesbezüglich ändern…

GS Könnte es ein Problem sein, dass das, was die Rapper machen und wohl auch das, was du machst, nicht als «authentisch genug» betrachtet wird?

AG Ja, das könnte sein – eine Art Neo-Orientalismus. Und das geht gegen meine Philosophie, in der Geographie keine Rolle spielen sollte. Wenn man sich wirklich Instrumente aus dem mittleren Osten anhören will, dann gibt’s ja auch da wirklich tolle Sachen – wie zum Beispiel bei Nadah El Shazly. Sie macht richtig tolle Musik und verwendet auch Chaabi-Elemente. Dabei handelt es sich nicht einfach um irgendeine ägyptische Version von Trap… Aber ja, so in etwa sieht die Szene in Kairo aus. Es macht die Tatsache offensichtlich, dass Räume, Presse und solche Sachen für eine Szene und deren Entwicklung nötig sind. Das gibt es bei uns zurzeit nicht wirklich; es ist schon deprimierend… Aber wir bleiben dran.

GS Letzte Frage: Wie kam es dazu, dass dein erstes Release auf Lee Gambles UIQ-Label veröffentlicht wurde?

AG Irgendwann 2014 sass ich im Auto und hörte Musik. Ich wartete auf meine damalige Freundin, die gerade in einem Laden war. Als sie zurückkam lief ein Track von Lee und sie meinte: «Zuli, ich liebe dich, aber ich hasse deinen Techno». Ich entgegnete, dass das ja nicht meine Musik sei und so weiter. Daraufhin meinte sie, ich solle dem Typen doch meine Sachen schicken. Das habe ich dann auch gemacht und als er letztes Jahr das Label startete, kontaktierte er mich. Es war also das Internet! Und meine Ex-Freundin.

 

 

Seit der Veröffentlichung dieses Interviews ist einiges passiert in der Welt von Zuli. Zur Feier der Veröffentlichung von Trigger Finger der neuen EP auf Haunter Records – haben er und Daniele Guerrini vom Mailänder Label für die zweikommasieben Weekly Playlist einige Musikstücke ausgewählt.

 

 

[1] Das Interview wurde vor dem «Brexit» geführt.

[2] «Thirty Three Thirty Three create exploratory and inventive arts and music events around the globe.» (via ihre Facebook Seite).

[3] Das Masãfãt fand 2016 vom 1. bis 4. September in London und vom 20. bis 24. September in Kairo statt. Neben Zuli spielten Acts wie The Sprawl [siehe zweikommasieben #11], Nadah El Shazly, Mark Fell [siehe zweikommasieben #8], Carl Gari & Abdullah Miniaway, Beatrice Dillon [siehe zweikommasieben #11], Sami Baha, Gaika, uvm.