08.02.2019 von Samuel Savenberg

Grebenstein – Klub. Kooperation. Kassel.

Soeben erschien die neuste EP des in Kassel lebenden Produzenten Jan Grebenstein und dessen langjähriger Kooperationspartnerin Christine Seefried. Wie bereits bei «Strong Proud Stupid and Superior» und «Wufferfraction» steht nun bei allen Tracks von Raging Tender – wiederum auf Downwards erschienen – die Verbindung von Grebensteins präzisen, minimalistischen Industrial-Sequenzen und Seefrieds ruhiger Stimme im Zentrum. Die Veröffentlichung der EP ist Anlass für uns, das Interview mit Grebenstein aus Ausgabe #15 von zweikommasieben auch online zugänglich zu machen.

Es ist noch nicht allzu lange her, da rüttelte eine Kombination von Industrial, Techno und ein bisschen Punkrock die Klubszene vorübergehend auf. Inmitten dieser Zeit wurde man auf den Namen Grebenstein aufmerksam: 2014 erschien die unbenannte Debüt-EP des deutschen Produzenten auf dem renommierten britischen Label Downwards.

In der Folge wurde es um Jan Grebenstein ruhig; der Mann aus Kassel scheint keine Eile zu kennen. Erst Ende 2016 erschien die zweite Grebenstein-EP Strong, Proud, Stupid & Superior bei Downwards. Anfang 2017 folgte eine weitere 12“ namens Gloss auf dem Berliner Kinda-Drum’n’Bass-Label Horo, sowie der oben erwähnte Track «Wufferfraction» auf der Downwards-Compliation The Immortal Eye, den der Künstler zusammen mit Christine Seefried aufnahm, die auch die Vocals zum Grebenstein-Zweitling beigesteuert hatte.

Nach einem Rencontre im Luzerner Klub Kegelbahn Ende 2016 unterhielt sich Samuel Savenberg für zweikommasieben mit Grebenstein über Klub, Kooperation und Kassel.

 

Samuel Savenberg Boomkat schrieb zu deiner letzten EP Strong, Proud, Stupid & Superior: «This one’s a total killer, especially recommended if you’re into HTRK, Raime or Fever Ray.» Du meintest, dass du selber ein grosser Pop-Fan seist und dich deswegen besonders über die letzte Referenz gefreut hättest. Nicht zuletzt deswegen möchte ich gerne mit dir über Popmusik reden. Was genau fasziniert dich daran?

Jan Grebenstein Ich würde nicht mal sagen, dass Strong, Proud, Stupid & Superior sonderlich viele Elemente dessen enthält, was ich als Pop begreife. Vielmehr empfand ich während der Entstehung eine gewisse Identifikation mit Popmusik und ihrem Habitus. Die Fever Ray-Referenz hat mich dennoch überrascht. Es war, als hätte jemand nachgefühlt, was ich während der Arbeit an der Platte empfunden hatte, ohne es im eigentlichen Ergebnis hören zu können.
Für mich hat Popmusik etwas Versöhnliches. Ich mag den inkludierenden Moment der Popmusik. Oft folgt Popmusik recht klaren Regeln, die Strukturen sind nahbar. Der Aufbau und die Motive laden ein, mitzufühlen, ohne dass musikalische Vorbildung nötig ist. Das empfinde ich in einer hyperkomplexen Welt als sehr versöhnlich. Pop kann im Blick auf eben genau diese Komplexität mitunter als Antwort dienen.

SS Steht dieses versöhnende Element denn konträr zu dem, was Klubmusik ausmacht?

JG Das kommt auf die Definition von Klubmusik an. «Berghain-Techno» würde ich in seinem Kontext auch eher als Pop bezeichnen. Er erfüllt für mich die Attribute des Pop, da viele Menschen aus ähnlichen Gründen zusammenkommen – das Loslassen und Entgrenzen und bei aller Innerlichkeit doch das Feiern eines sozialen Rituals. Insofern würde ich sagen, dass Pop innerhalb der Klubmusik stattfinden kann. Aber natürlich sehe ich auch Versionen von Klubmusik, die weniger niederschwellig sind, in denen man sich einen Genuss am Hören erst erarbeiten muss oder vielleicht nie erlangen wird, sondern immer die Ausseinandersetzung, den Konflikt und das Fordernde das Ziel bleiben wird. Diese Art von (Klub-)Musik sehe ich dann eher als Spiegel oder Entsprechung des Hyperkomplexen in der «Realwelt». Und ob man das dann versöhnlich finden kann… Ich bin mir nicht sicher. [Lacht]

SS Oder anders gefragt: was frustriert dich an Klubmusik?

JG Ich finde Diversität sehr wichtig, um ein nachhaltiges Erlebnis zu erzeugen… Wenn Klubmusik – ich bin mir gerade gar nicht sicher, was das eigentlich sein soll – nur aus sich selbst lebt, droht Selbstauflösung. Wenn man unter Klubmusik Techno verstehen will und dieser Techno nur aus seiner eigenen Tradition heraus betrieben wird und dem bestehenden Habitus folgt, dann ist das für mich sehr frustrierend. Interessant fand ich die Vermischung von Metal und Techno, die in den letzten Jahren besprochen wurde. Das gegenseitige Lernen, das mit dem Genre-Mix einhergeht, finde ich sehr wertvoll. Die Musik, die dabei entsteht, birgt Überraschungsmomente, die dem «alten Techno» vermutlich verloren gegangen sind. Ich persönlich bin sehr unruhig, ich halte es nicht lange mit einer Formulierung aus. Auch bei dem «metal meets techno» Thema sehe ich schon bald ein Ende… Beispielsweise hoffe ich, dass die nächsten drei Ausgaben des Atonal-Festivals nicht so gleichgeschaltet klingen werden, wie die letzten drei.

SS Du hast früher in Bands gespielt. Diesen Werdegang – vom Bandmitglied zum Solomusiker – sieht man ja immer wieder. Ich glaube bei vielen – und da nehme ich mich selbst nicht aus – geht das mit einer gewissen Inkompetenz einher, Musik mit anderen Leuten zu machen und seine eigenen Vorstellungen zu kommunizieren. Würdest du dem beipflichten?

JG In erster Linie ist der Wechsel zur Arbeit als Solomusiker der Ursache geschuldet, dass ich für mein Studium umgezogen bin. Die Hälfte der Mitglieder der damaligen Band verblieb in meiner Heimatstadt. Natürlich habe ich mich aber auch verändert. Eine Bandstruktur interessiert mich heute nicht mehr so sehr wie früher. Wenn ich heute Musik mache, dann ist das immer eher Klanglabor als Proberaum-Session. Ich sehe den Vorteil aber eher im Setup als im Unterschied… Die Arbeit mit Synthesizern, Samplern – elektronischen Instrumenten im Allgemeinen – bietet mir eine gewisse Kontrolle. Ich kann selbst im Bett liegend mit Kopfhörern einen Track machen. Im Studio erreichen mich bei angemessenem Monitoring fast alle Frequenzen. Wenn ich allerdings in einem Proberaum stehe, fühlt es sich für mich mittlerweile oft nur noch nach Lärm an. Mich stört es dann zum Beispiel, dass ich nicht genau höre, wie die Snare klingt, wie «voll» die Gitarre wirkt und so weiter. Ich bin da sehr empfindlich geworden. Wenn ich mit meinem Setup zu Hause Jam-Sessions mache, kann ich in etliche Parameter direkt eingreifen. In der Arbeit mit einer Band ist man erst einmal auf ein Instrument begrenzt; dazu braucht es noch viel Kommunikation mit der restlichen Band, um alles abzustimmen – ganz zu schweigen von den mehreren Meinungen, die innerhalb einer Band oft aufeinander treffen.

SS Trotzdem kooperierst du immer mal wieder mit anderen Leuten. Worin liegt da der Reiz für dich?

JG Ich liebe es, mich auf Arbeitsweisen anderer Menschen einzulassen. Joscha Bauer etwa spielt, wenn wir zusammen Musik machen oder aufnehmen, meistens einen Synthesizer hinter den er sein Gitarreneffekt-Board schaltet. Was auch immer er da macht, klingt für mich oft einfach perfekt. Es fehlt dann nicht mehr viel zum fertigen Track. Darüber hinaus kann ich mich gänzlich auf die Drums und Percussion konzentrieren. Hinzu kommt, dass ich seine Arbeit am Synthesizer leichter annehmen kann, als wenn ich diesen selbst bedienen würde.

Mit Tine [Seefried] ist es insofern spannend, als dass ein Track sich auch mal im unfertigen oder unausgereiften Stadium befinden kann, dann aber durch ihre Stimme eine gewisse Grösse entsteht, die ihn nach etwas Schlüssigem, Fertigem klingen lässt.

Mit Stave [Jonathan Krohn] habe ich letztes Jahr im Oktober angefangen, an Tracks zu arbeiten. In der Regel lief es so, dass er mit seinen Geräten diverse Loops aufnahm, die dann auf meinem Laptop landeten und dort in jeglicher Weise moduliert und transformiert wurden. Daraus wiederum haben wir Songs arrangiert. Ich kann also sagen, dass ich mich freue, wenn man gegenseitig Expertisen nutzen kann. Natürlich ist das im Grunde mit der Struktur, die im Bandraum herrscht, zu vergleichen.

 

 

SS Du bist in Kassel beheimatet. Was kannst du über die Stadt erzählen? Bist du dort aufgewachsen? Und: Was hält dich da?

JG Ich bin unweit von Kassel aufgewachsen; die Stadt war mir somit bekannt. Eine wirkliche Beziehung zu Kassel habe ich durch das Studium an der Kunsthochschule aufgebaut. Eine Vielzahl der Studierenden an der Kunsthochschule verlässt die Stadt nach ihrem Abschluss, um nach Berlin etc. zu ziehen. Für mich ist das momentan keine Option. Ich liebe die Distanz zur «Szene», in der ich mich eigentlich bewege. Hier gibt es kaum Orte für die Musik, die mich interessiert. Das fördert meinen Schaffensdrang. Wenn hier mal etwas passiert, das ich spannend finde, dann ist genügend Raum da, um alles aufzusaugen. In Berlin hätte ich die Sorge, dass die starken Momente, die man erleben kann, zu viele sind und immer wieder durch das schnell Folgende überschrieben werden. Das alles hängt natürlich stark mit meiner Persönlichkeit zusammen. Für einige mag Berlin ein Idyll sein. Ich geniesse es eher, Shows zu spielen und an Wochenenden zu verreisen, dafür aber unter der Woche Raum und Zeit zu haben, um mich zu fokussieren, zu besinnen. Stille zu haben. Das Kleine, das Dörfliche. Der Kontrast oder die Balance im Ganzen betrachtet, ist, denke ich, das Element in dem ich mich recht wohl fühle und von dem aus es mir möglich ist, Dinge zu schaffen, mit denen ich zufrieden bin.

SS Nebst der Musik, bist du ja noch mit diversen anderen Projekten beschäftigt…

JG Die Projekte, die ich neben Grebenstein betreibe, sprechen stark für das, was ich an Kassel mag. Zum einen gibt es das Kollektiv Tokonoma. Wir sind eine Gruppe von Kulturschaffenden aus diversen Disziplinen und betreiben eine Art Off-Space. Wir laden Menschen, meist von ausserhalb, ein, veranstalten Talks, Konzerte, Perfomances oder Klubnächte. Zum andern gibt es die Gruppe Formal, die ich als offenes Kollektiv auffasse. Alles kann mit allen passieren, sofern sich die Zusammenarbeit gut anfühlt. Das Projekt ist noch sehr jung. Ich weiss keineswegs, wo ich damit landen werde. Das erste Event mit Gruppe Formal fand unter dem Titel «Freak Beat Happening» statt. Ich residierte mit zwei Freunden eine Woche in unserem Tokonoma Off-Space. Mit einem 4-Spur Tape-Recorder ausgestattet haben wir alles Mögliche passieren lassen, das in unseren Soloprojekten wohl eher keinen Platz gefunden hätte. Am Ende der Woche stand ein öffentliches Happening. Zugegeben: aus der Idee des Happenings wurde am Ende eher ein Konzert, aber ich denke, dass sich durch die Nachbereitung der 4-Spur- und Videoaufnahmen noch eine weitere Ebene miteinbeziehen lassen wird. Die Ergebnisse der Events und der Zusammenarbeit mit anderen Künstlerinnen als Gruppe Formal will ich danach auf der Plattform Archiv Formal veröffentlichen. Wie der Name bereits sagt, verstehe ich darunter ein Archiv, um die Arbeit der Gruppe Formal zu konservieren und auf Dauer abrufbar zu machen.

SS Gruppe Formal beschreibt sich selbst ja als «Gruppe für Diskurs über und Performance von Musik im Kontext». Was ist «Musik im Kontext»?

JG Taugt ein Drone-Ambient-Set in Kleinstädten noch als Punk, während es in Metropolen längst zum Soundtrack von Modeschauen verkommt? Die Musik im Kontext ihrer Umgebung, ihrer Hörerschaft und so weiter… Was sagt es über einen Ort aus, wenn eine bestimmte Musik keinen Platz und keine Hörerschaft findet?

Vielleicht auch Musik im Kontext der Zeit? Ich habe neulich gehört, dass wir in einer Zeit des «depressiven Hedonismus» leben. Negative Gefühle finden weitestgehend im privaten Raum statt. Das spürt man auch in der Musik. Selbst wenn es heute allen scheisse geht, redet man noch vom «feiern gehen». Ich habe das Gefühl, dass heute im öffentlichen Raum weniger Platz für Gefühle besteht. In den Neunzigern war kollektive Wut und Resignation im Grunge hörbar. In den nuller Jahren fand ausgelebte, ja kultivierte Traurigkeit ihre Entsprechung in der Emo-Szene. Das bedeutet für mich Musik im Kontext. Man kann an ihr mehr ablesen, als die Aussage, die sich auf den ersten Blick ergibt.

 

SS Ich frage mich nur, woran man das festmachen kann, dass Genre X mehr authentische Gefühl vermitteln kann als Genre Y… Aber vielleicht liegt das auch an mir. Mich interessiert Authentizität innerhalb einer Komposition nicht so sehr…

JG Ich begebe mich seit meiner letzten Antwort ins Musikwissenschaftliche/historische und damit für meine Verhältnisse auf dünnes Eis. [Schmunzelt] Ganz ehrlich: Ich weiss nicht, ob man in einem historischen Kontext einem Genre mehr Authentizität zuschreiben kann als einem anderen. Ich gehe von einer subjektiven Wahrnehmung aus und damit im Zweifel auch einfach nur von meiner eigenen Nostalgie. Ich vermisse es heutzutage einfach manchmal, mich aufgrund von Musik so fühlen zu können, wie zu der Zeit, in der ich beispielsweise zum ersten Mal Nirvana gehört habe.

SS Ich persönlich finde Kontextualisierung von Musik manchmal eine sehr komplexe Angelegenheit. Gerade, wenn es um elektronische Musik, ja Klubmusik geht. Du hast da, so scheint es mir, weniger Berührungsängste. Strong, Proud, Stupid & Superior ist zum Beispiel ein sehr schöner Titel. Den kann man ja gar nicht nicht-kontextualisieren. Wie kam es dazu?

JG Der Titel ist ein Zitat aus Don DeLillo’s Cosmopolis: «He smoked and watched, feeling strong, proud, stupid and superior». Für mich ist dieser Satz zu einer Art Parole geworden. Die Gruppe von Menschen, die Gesellschaft, die mich direkt umgibt – mich inklusive –, spiegelt sich ziemlich exakt in diesen vier Worten wieder. Auf eine Weise sind wir sehr stark, aufgeklärt, haben einen gewissen Stolz über unsere Errungenschaften als aufgeklärte junge Erwachsene. Wir fühlen uns überlegen – das zeigt sich mir zum Beispiel daran, wie viele Menschen in meinem Umfeld diese «Sprüche mit Bildern»-Seiten auf Facebook liken oder dieses «1elf!!» benutzen… Das sind nur zwei Beispiele dafür, wie sich scheinbar aufgeklärte, reflektierte, sonst nach politischer Korrektheit strebende, junge Erwachsene der absoluten Dummheit preisgeben. Da stellt sich eine ganze «Klasse» über eine andere Schicht der Gesellschaft und lacht über sie, macht sich deren Schwächen zunutze, um sich daran zu ergötzen, dass man ja glücklicherweise nicht so dumm ist.

 

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