01.03.2013 von Marc Schwegler

There’s no business like no business – Ein kulturkritisches Plädoyer für die Liebhaberei und gegen die Ökonomie

Etwas mehr als zwanzig Jahre nach dem vermeintlichen Endsieg des Kapitalismus haben sich ökonomische Parameter in allen gesellschaftlichen Feldern zum Gradmesser von Erfolg und Qualität durchgesetzt. Auch die verschiedenen Krisen in den letzten Jahren konnten daran nichts ändern – der Siegeszug der Ökonomie ist scheinbar nicht aufzuhalten. Nachdem unsere Institutionen nach wirtschaftlichen Kriterien durchstrukturiert worden sind, fallen nach und nach auch alle anderen öffentlichen und halböffentlichen Räume. Das Internet, nach dem Zusammenbruch der Dotcom-Blase als Web 2.0 noch verheissungsvoll neu gestartet, ist dank der zu multinationalen Konzernen mutierten Start-Ups und zu reinen Marketingtools verkommenen Algorithmen inzwischen ein panoptischer Konsum- und Werbetempel, den wir freiwillig mit Daten füttern, um ihn noch potenter zu machen. Public-Private-Partnerships, ein halbprivatisierter Service public und vor allem auch der Kulturbereich stehen unter der Fuchtel von Quality Management und Co. Subkulturelle Mikro-Bewegungen, die noch bis vor wenigen Jahren zumindest teilweise der Verwertung entrinnen konnten, verendeten atomisiert als Referenzen von Early Adopters. Was Wunder also, dass auch die Klubs, in die wir uns am Wochenende flüchten, mittlerweile bis tief in den Untergrund vom Markt durchdrungen worden sind. Klubkultur 2013 droht nicht mehr viel mehr als eine Heineken-Werbung zu sein.

Naomi Klein betonte bereits am Anfang dieses Jahrtausends die Allmacht der Marken. Und wie Deleuze richtig bemerkte, bringt man uns bei, dass Unternehmen eine Seele hätten und längst das Marketing das Instrument der sozialen Kontrolle darstellt. Doch wirksame Strategien des Widerstands sind bisher kaum auszumachen: Der Dogmatismus der mehr oder weniger radikal Linken schwankt schon länger nur noch zwischen pubertär und spiessig. Die Geisteswissenschaften als Verlierer der Bologna-Reform beschränken sich in erster Linie auf ihren eigenen Abgesang. Wir selber verdingen uns für schlechtes Geld in Kreativjobs, die nur dann was abwerfen, wenn sie der Industrie zudienen. Darüber aufregen mag man sich schon lange nicht mehr. Und damit läuft frischfröhlich die Verwertungsmaschinerie. Der ehemals subkulturell-marginalisierte Underground ist zur verkaufsträchtigen Oberfläche für den Mainstream der Minderheiten mutiert.

Was Wunder also, dass auch in den Bereichen der Klubkultur, für die noch lange mächtige Torwächter mit komplizierten Codes dafür sorgten, dass man ohne ein relativ dichtes Wissen und eine entsprechend idealistische Haltung keinen Zutritt bekam, schon lange keine harte Türe mehr herrscht. Frisch fröhlich und in immer höherem Tempo herrscht in den Archiven des Undergrounds ein Gedränge wie am Wühltisch – der permanente Ausverkauf. Und es ist keine schwerfällige Industrie mehr, welche die SALE-Schilder in die Schaufenster hängt und als einigermassen eingrenzbares Feindbild eigene Standpunkte erleichtern würde. Die Ökonomie ist flüssig geworden, sie bewegt sich mit Leichtigkeit innerhalb einer Kultur, die den Konsum und die permanente Ermöglichung des Konsums zur inoffiziellen Leitidee erklärt hat und die alles immer und überall verfügbar hält. Und so wird Teil um Teil eines grossen Erbes durch den Fleischwolf gedreht, bis von ursprünglichen Konzepten nur noch ein blasser Abdruck bleibt, eine leere Hülle, die ihre Legitimität nur noch in der Referentialität sucht; weil sie selber nichts mehr zu bieten hat. Die Spiritualität des Dub, die wahnhaften Ausbrüche von Jungle, die dystopische Romantik des Techno, der Sex und die Euphorie von House werden zum schalen Nachgeschmack von EDM: Electronic Dance Music ohne Hintergrund, weichgespültes Gedudel oder stumpfes Spektakel. Dieses Gespenst, das mit massgeschneidertem Anzug im Business-Jet aus den USA zu uns unterwegs ist, hat hier schon Seelenverwandte, die seine Ankunft sehnlichst erwarten. Wo Jungle den Pop früher noch dekontextualisierte und damit zur Fratze degradierte, entsteht heute mit Library-Samples und Ableton produzierter Kitsch. Der Brostep der amerikanischen Stadion-DJs, mit Blockbuster-Spektakel und sinnleerer Effekthascherei trifft auf seinen europäischen Cousin, den geschichtslosen Weichspüler-House – der Soundtrack zum erfolgreichen Wirtschaftsstudium an der HSG.

Die beiden «Bros» haben jede Menge engere und weitere Verwandte, die unter verschiedenen Namen und mit mehr oder weniger Erfolg die gleiche Agenda haben. Sie alle bedienen sich schamlos an Versatzstücken aus dem weltweiten Subkultur-Fundus und können auf ein zahlreich vorhandenes Publikum zählen. Dieses wird inzwischen nicht mehr nur von der Grossindustrie tatkräftig mit spektakulären Events versorgt, sondern kann seine Bedürfnisse auch dank spitzfindigen, kleineren Promotern befriedigen. Diese Experten für gefährliches Halbwissen haben sich zwar nur mehr schlecht als recht durch den Underground-Grundkurs gemogelt, machen ihre fehlenden Kenntnisse aber mit Erfindungsreichtum und Marketing wieder wett. Dass sie mit ihren Veranstaltertätigkeiten letzten Endes eigentlich auch nichts verdienen spielt keine Rolle – unsere Ökonomie ist vor allem auch eine Aufmerksamkeitsökonomie. Diese kleinen Fische und ihre grossen Verwandten im Weltmarkt, die mit Konzentrationsprozessen im Ticketing und Marketing die davonschwimmenden Felle der Neunziger Jahre zu bewahren versuchen, kannibalisieren unsere Kultur. Sie rauben unserer Musik die Seele und entreissen ihr das Erbe, welches nicht das unsere ist, aber welches wir zumindest zu ehren versuch(t)en. Es ist eine Kolonialisierung zweiten Grades, die gerade stattfindet und die es zu bekämpfen gilt.

Der Klub war nie ein machtfreier Ort. Und die Utopien, die in ihn gedeutet wurden, sind wohl nur retrospektiv Wirklichkeit geworden. Der französische Philosoph Michel Foucault lehrt uns, dass es keine machtfreien Räume gibt und auch Sarah Thornton, die in ihren Klubculture-Studien Bourdieus Kapitalbegriffe adaptierte, zeigte auf, dass die Subkultur nie frei von hegemonialen Ansprüchen ist. Und natürlich ging es immer schon um’s Geld – gerade im Klub. Doch macht zum Beispiel Peter Hooks grandioses Buch über das Haçienda in Manchester deutlich, dass der professionelle Umgang mit Geld wohl nicht unbedingt zu den Stärken der Leute hinter den legendärsten Läden gehört hat. Was für das Haçienda gilt, gilt auch für andere, weniger bekannte aber ebenso wichtige Orte der Klubkultur: Immer ging es primär um andere Dinge, als um Geld. Prozessoptimierung war nie sexy – und ist es auch heute nicht. Doch mehr und mehr wird Kultur gemanagt. Nicht mehr nur multinationale Unternehmen betreiben mit Qualitätsmanagement und reiner Oberfläche Imageproduktion – inzwischen ist jedes Kulturhaus und jeder Klub dem Diktat des Marketings unterworfen und plant Ressourcen nach Aufwand und Ertrag. Gerade staatlich subventionierte Institutionen wurden zu Tode reguliert und kämpfen mit den letzten Überresten der staatlichen Gelder auf verlorenem Posten. Ihr Auftrag richtet sich nicht mehr nach Bedürfnissen einer Bevölkerung, sondern nach Überlegungen des Stadtmarketings.

Wo also ist der Funken Hoffnung – was könnten Heilmittel sein? Die Lösung des Problems ist meines Erachtens am selben Ort zu finden wie die Ursache: Bei den so genannten Prosumern. Diese zum Produzenten transzendierenden Konsumenten mögen zwar zu einem Teil mitverantwortlich sein für den unendlichen Strom von profanem Bullshit, der das Internet dominiert. Und auch die Qualität des musikalischen Outputs der westlichen Hemisphäre hat unter proaktiven Lemmingen wohl recht gelitten. Doch ein Teil der Prosumer könnte sich als das probate Gegenmittel gegen eine Pseudoindustrie erweisen: Die Liebhaber. Ohne Rücksicht auf Verluste beschäftigten sie sich exzessiv mit kruden Inhalten, absurden Thesen und verstaubten Winkeln. In der Nische fühlen sie sich wohl, im Gegensatz zum spitzfindigen Promoter kennen sie das 1×1 und den Kanon der grossen Werke der jeweiligen Szene. In Netzwerken und Schwärmen organisiert, machen sie das Rückgrat translokaler Initiativen aus. Dabei greifen die Liebhaber auf ein Potential zurück, dass immer seltener zu werden droht: Auf Idealismus. Dieser Idealismus unterscheidet sie vom Hipster, der sich sein Wissen nur aus Modegründen aneignet und der statt der Liebe zur Sache nur noch über einen abgelöschten Zynismus verfügt. Wir brauchen den Idealismus des Liebhabers dringend, es ist ein Idealismus der Sache und er hat das Potential zum gereiften Nachfolger der Ideologie zu werden. Dieser Idealismus kann uns wieder weg vom Business hin zu spannenderen Dingen führen: Feiern, tanzen, geniessen. Seien wir ehrlich: Lieber unbezahlt für die eigene Sache kämpfen, als sich unterbezahlt für Fremde zu verdingen. Es braucht eine neue Kompromisslosigkeit in Bezug auf Inhalte, eine Verpflichtung zum Unverkäuflichen – kurz: no more Business.