17.08.2013 von Simian Keiser

Klubgeflüster — No Faces

Es ist ein offenes Geheimnis: Jeder DJ, der zum ersten Mal das dritte Stockwerk im zweiten Hinterhof des Paul-Lincke-Ufers 44a in Berlin betritt, hat Lampenfieber wie beim ersten Bewerbungsgespräch. Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Besuch, irgendwann im Jahr 2006: Da war ich also, mitten im Hard Wax, dem vielleicht wichtigsten Plattenladen Europas, und hatte Mühe, mit der Bitte, meine Jacke abzugeben, einigermaßen souverän umzugehen.

Kein Wunder, denn die beiden Herren hinter dem Tresen waren DJ Pete und Marcel Dettmann, zu deren Gigs ich in Zürich bisher immer andächtig gepilgert war, und jetzt, achso, meine Jacke. Mit jedem Besuch mehr stellte sich heraus, dass ich jeden Verkäufer hier als einen meiner Lieblings-DJs identifizieren konnte – fast jeden. Denn eine Person blieb mir lange im Dunkeln. Er war stets unauffällig angezogen, huschte unauffällig durch den Laden und hatte trotzdem irgendwie mehr zu sagen als die anderen. Torsten nannten sie ihn und er besorgte die Einkäufe. Aber wer zum Teufel war dieser Typ?

Einige Zeit später stand es mir dann klar vor Augen, und zwar auf dem Cover der Groove. Da lehnte er im Treppenhaus des Hard Wax Rücken an Rücken an Appleblim und hieß jetzt nicht mehr Torsten, sondern T++. Alles machte plötzlich Sinn. Der großartige Experimental-Künstler, dessen Remixes immer wieder auf Releases der anderen Verkäufer auftauchten, das also war Torsten. T++, den man praktisch nie live zu hören bekam. Selbst dann nicht, wenn es völlig auf der Hand lag.

Es war der Vorabend der Party zum zwanzigsten Jubiläum des Ladens und ich musste dringend noch zwei Platten besorgen. Nur Torsten war da. Warum er nicht auf dem Line-Up stünde, fragte ich ihn. Ach, sagte er, er hätte eigentlich die ersten 20 Minuten spielen wollen, aber jetzt sei es irgendwie sowieso schon zu spät und er sei sich gar nicht sicher, ob er überhaupt noch hingehe – und lächelte. Wahrscheinlich, weil ich gerade ein so langes Gesicht machte wie selten zuvor, auf dem in Großbuchstaben geschrieben stand: 20 Minuten?! Am Anfang?! Nicht hingehen zum eigenen Jubiläum?! Das wollte mir nicht einleuchten.

Wen ich auf der Party dann allerdings auch nicht gesehen habe, waren Moritz von Oswaldund Mark Ernestus, die Besitzer des Ladens. Von Oswald hatte sich gerade für Neu-Arrangements von klassischer Musik mit Carl Craig überhaupt zum ersten Mal fotografieren lassen. Ernestus traf ich zum ersten Mal bei einer Wax-Treatment-Party und musste feststellen, dass man noch unscheinbarer auftreten konnte als T++.

Allen gemein war die Logik der Anti-Selbstinszenierung. Ihr Manifest hängt im Hard Wax rechts oben über den Plattenspielern: ein Underground-Resistance-Plakat, auf dem die Artists ihre Fake-Comic-Gesichter unterschrieben haben. No faces heißt die Ideologie und sie stammt aus einer Zeit, in der Techno-DJs ein Zeichen gegen den Äußerlichkeitswahn der Pop-Musik setzen wollten.

Das mag einem in Zeiten von Cocoon Heroes und World League, nun ja, nicht einleuchten. Das muss es auch nicht, weil der Techno schon lange keinen Underground mehr verteidigt. Und dass die meisten Produzenten den puristischen Glauben, gänzlich auf Fan-Kultur verzichten zu können, aufgegeben haben, ist vielleicht Teil eines Reifeprozesses. Aber die Ideologie bleibt der Geschichte der Musik eingeschrieben. Zum Beispiel auf einer Luv-Jam-Platte auf We Play House: «Some uf us claim to be Detroit or Chicago (but we belong to that one nation under that groove).»