08.03.2017 von Samuel Davison

In Bewegung – Carla Dal Forno

Die Debüt-LP von Carla Dal Forno als Solokünstlerin ist ein bewegendes, intimes Album geworden. Es lädt die Zuhörerin in die Schlafzimmer der letzten beiden Wohnorte der Musikerin ein – Melbourne und Berlin. Und es ist ein Album geworden, das auf der feinen Linie zwischen Naivität und Selbstbewusstsein balanciert. Nach einigen Kollaborationen – Mole House, Tarcar und F Ingers – sowie Veröffentlichungen auf Night People und Blackest Ever Black, ist You Know What It’s Like ihr erster Versuch, autark Musik zu schreiben: ein intuitiver Kopfsprung in den Produktionsprozess. Das Ergebnis ist aus dem Lot geratener Pop, getrieben von dubbigen, langsamen Rhythmen und Verweisen auf barocke Popproduktionen.

Im Sommer 2016 sprach Dal Forno in ihrer neuen Wohnung in Berlin mit Samuel Davison über ihren autodidaktischen und experimentellen Kreativprozess und ihre Beziehung zu ihrem neuen Zuhause.

Carla Dal Forno […] Ich versuche, dran zu bleiben. Ich bleibe drinnen, arbeite an Projekten – und fahre selten zum See.

Samuel Davison Ja, ich war erstaunt, dass das Video der zweiten Single nicht damit endet, dass du in die Krumme Lanke springst. Das erste Video endet mit einer Szene, in der du in einen See in Australien springst.

CDF Mit diesem Gedanken spielten wir tatsächlich. Das Video ist allerdings deswegen so, wie es ist, weil wir nur einen halben Tag zum Drehen hatten und Matthew Linde an dem Tag einige Besorgungen machen musste. Also hat er einfach mich gefilmt, wie ich dorthin gehe, wo er hinmusste.

SD Gibt es eine Verbindung zwischen dem ersten und dem zweiten Video?

CDF Ich denke, dass es zwei Kapitel einer Geschichte sind. Das erste Stück bezieht sich auf Australien und wie es ist, dort zu sein; es wurde auch dort gefilmt. Dann die zweite Single – ich bin jetzt hier in Berlin, das ist eine völlig andere Welt.

SD Wenn man sich das neue Album anhört – vor allem die erste Single –, stösst man auf viele Passagen, die Neuanfänge verhandeln und für das Überwinden der Vergangenheit plädieren.

CDF Vermutlich stimmt das. Es macht Sinn, wenn du es sagst, aber ich habe darüber vorher noch nicht nachgedacht.

Carla dal Forno

SD Ich sage das wahrscheinlich deswegen, weil ich deine letzten zwölf Monate kenne. Du hast einige Bandprojekte und einige Beziehungen beendet und bist ein paar Mal umgezogen. Daher rührt möglicherweise meine Interpretation deiner Musik.

CDF Es war eine interessante Zeit. Teile des Albums habe ich schon vor Jahren angefangen, einiges Material schrieb ich aber erst kurz vor der Deadline… Auch die älteren Sachen greifen die von dir angesprochenen Themen auf.

SD Das ist deine erste Soloplatte, richtig?

CDF Ja.

SD Ist es das erste Mal, dass du alleine Musik produzierst oder das erste Mal, dass du alleine Musik veröffentlichst?

CDF Es ist das erste Mal, dass ich alleine Musik produziert habe.

CDF Das hat sich mehr auf die B-Seite der 7“ bezogen und das neue Material, an dem ich momentan arbeite. Die steile Lernkurve gab es für mich eher, was die Postproduktion angeht. Das Mixen zum Beispiel habe ich zuvor noch nie alleine gemacht, auch deswegen waren die Alben koproduziert. Ich hatte jemanden, von dem ich lernen konnte, mit dem ich Ideen austauschen konnte und der mir einige der technischen Dinge beigebracht hat. Jetzt mache ich alles alleine.

SD Tarquin Manek war der Koproduzent?

CDF Genau.

SD Tarquin ist auch dein ehemaliger Partner. Macht ihr noch in irgendeiner Form zusammen Musik?

CDF Nein.

SD Ich finde, es gibt Ähnlichkeiten zwischen deinen Soloproduktionen und dem Material, das du mit ihm, als Tarcar und F Ingers, gemacht hast. Zum Beispiel ist dein neues Album zu Hause entstanden. Es hat aber gleichzeitig eine sehr selbstbewusste Ästhetik, ohne diese unmittelbare Lo-Fi-Qualität zu verlieren. Ich denke, das kann man auch über Tarcar sagen. Es macht also Sinn, dass ihr zwei zusammen produziert habt. Ihr habt Musik gemacht, die der auf deinem neuen Album nicht unähnlich ist.

CDF Die Alben von F Ingers und Tarcar haben wir auch Zuhause produziert, ich habe noch nie in einem Studio gearbeitet. Ich glaube, es gibt auf allen Alben Lo-Fi- und Hi-Fi-Elemente. Die Art, wie ich mein Soloalbum aufgenommen habe, ist sehr Lo-Fi. Die Postproduktion in Ableton hat allerdings viel Zeit in Anspruch genommen, um zu verfeinern, was ich hatte. Es gibt einige virtuelle Instrumente auf der Platte; das sind Hi-Fi-Aspekte, die ich erst später hinzugefügt habe. Ich denke, das ist der Unterschied zu den alten Mole House-Aufnahmen: Die sind alle Lo-Fi und klingen recht ähnlich. Das neue Album hingegen ist eine Kombination aus Sounds, die aus unterschiedlichen Welten stammen.

SD Wenn diese Aufnahmen Lo-Fi klingen, dann nicht, weil es keine Alternativen geben würde, sondern als bewusste Entscheidung.

CDF Ich hatte schon einige Male die Möglichkeit, in Aufnahmestudios zu arbeiten, aber ich habe mich bewusst dafür entschieden, das Album zuhause zu produzieren. Ich vermute, das liegt daran, dass ein grosser Teil der Musik, die mich interessiert, sich ebenfalls anhört, als wäre sie zuhause aufgenommen worden. Und ich habe volle Kontrolle über das, was ich mache.

SD Was all diese Alben und Projekte für mich vereint, ist die Tatsache, dass sie äusserst intim und nah klingen. Das ging soweit, dass ich das letzte Stück des Albums, «The Same Reply», mehrmals anhören musste, bevor ich sicher sein konnte, dass nicht jemand in meinem Wohnzimmer pfeift, sondern du auf dem Track. Man taucht richtig ab in das Stück.

CDF Ich bin erstaunt, wie leise das Album ist. Es verlangt vom Zuhörer Aufmerksamkeit und genaues Hinhören, um alles mitzubekommen. Das war allerdings nicht geplant, sondern lag auch an meiner Aufnahmetechnik. Ich habe das nicht realisiert, bis ich es über meine Laptopboxen gehört habe. Davor, während der Aufnahme und dem Mixen, habe ich es nur über Kopfhörer gehört. Dadurch verliert das Album möglicherweise eine gewisse Unmittelbarkeit. Es ist schwieriger, es sofort komplett zu erfassen und zu verstehen. Aber die von dir angesprochene Intimität ist eine schöne Qualität, die bedingt durch die Art ist, wie ich es aufgenommen habe.

SD Du hast jetzt mehrmals deine Aufnahmetechnik erwähnt; hattest du eine spezielle?

CDF Nein! Ich hatte seit längerem die Ideen, ich hatte einige Stücke. Ich wollte etwas alleine produzieren, aber wusste nicht, wie ich es aufnehme. Ich habe die Ideen beiseite geschoben, doch irgendwann, da ich keine Soundkarte und kein Audio-Interface hatte, habe ich einfach einige Instrumente auf meinem Küchentisch aufgebaut und die ersten Aufnahmen mit Hilfe des Mikrophons meines Laptops gemacht. Ich dachte, dass die Ergebnisse dieser Technik für mich brauchbar sind – und bin dabei geblieben.

SD Also, am Anfang deiner eigenen Aufnahmen warst du dir noch nicht sicher, was das Technische angeht. Waren denn die Stücke schon ausgefeilt oder wachsen sie und verändern sich während des Aufnahmeprozesses?

CDF Das unterscheidet sich von Stück zu Stück. Zu Beginn gab es zwei zentrale Stücke, «Fast Moving Cars» und «What You Gonna Do Now?», die bereits ausdefinierte Akkorde und Strukturen hatten. Die anderen Stücke habe ich dann um diese zwei herum komponiert. Dort habe ich meist mit einem Drumbeat, einer Bassline oder einer Synthesizerline begonnen und dann eine Melodie oder den Text darüber improvisiert. Aber bei den beiden angesprochenen Stücken hatte ich bereits den Text und die Melodie und habe danach nur noch entschieden, welche zusätzlichen Elemente dazu kommen sollen.

SD Du hast eine ganze Weile in Melbourne Musik gemacht und zu Beginn, vor allem bei Mole House, warst du auch lose mit dem Alberts Basement-Label und -Kollektiv assoziiert. Seit du nach Berlin gezogen bist, sind deine Projekte alle über Blackest Ever Black gelaufen. Das sind unterschiedliche Umgebungen, doch beide haben sie deiner Musik ein Zuhause gegeben. Wie wichtig war es bei deinem Umzug nach Berlin, eine Community zu haben?

CDF Meine Kommunikation mit dem Label hat meist per Mail stattgefunden; in Bezug darauf hat sich auch hier nicht viel geändert. In derselben Stadt zu sein, lässt das jedoch weniger distanziert erscheinen. Es ist gut, ich bin vernetzt und es ist leichter, Shows zu spielen, ob diese jetzt mit dem Label assoziiert sind, oder nicht.

SD Melbourne und Berlin sind nicht so unterschiedlich. In beiden Städten gibt es gut funktionierende, sich unterstützende musikalische Communities. Wie unterscheiden sich, für dich als Musikerin, Berlin und Melbourne?

CDF Ich glaube, der Vorteil von Berlin ist, dass ich aus einem bestimmten Grund hier bin – um Musik zu machen und Shows zu spielen. Dieser Plan ist für mich hier viel präsenter als in Melbourne. Ich kann mich hier besser fokussieren. In Melbourne fühlt man sich immer etwas im Abseits; das macht es leichter, sich oder seinen Fokus zu verlieren.

SD In «Fast Moving Cars» singst du «To stay in one place I have no desire, the world’s so much vaster.» Du bist gerade erst vom einem an das andere Ende der Welt gezogen; wohin gehst du als Nächstes – nicht unbedingt geographisch, sondern in deinem Leben?

CDF Ich weiss es nicht und möchte es auch gar nicht wissen. Ich bin hier momentan glücklich – das ist das Wichtigste. Ich glaube nicht, dass ich nach Australien zurückgehe, jedoch auch nicht, dass ich die nächsten zehn Jahre in Berlin bleibe. Ich freue mich darauf, es irgendwann herauszufinden.