21.06.2019 von Anna Froelicher

S S S S – Ein Freund von Ernsthaftigkeit

Unter dem Pseudonym S S S S veröffentlicht der Schweizer Produzent Samuel Savenberg seit 2014 Musik, die sich teilweise noch an Techno orientiert. Darüber hinaus speist sie sich aber auch aus Industrial und Broken Beats, aus Pop und Musique Concrète. Am 28. Juni erscheint sein Album Walls, Corridors, Baffles bei Präsens Editionen. Anna Froelicher hat Savenberg vorab für zweikommasieben zum Gespräch getroffen.

Walls, Corridors, Baffles markiert als LP für Savenberg nach mehreren Veröffentlichungen bei Haunter Records, aufnahme+wiedergabe, Hallow Ground und Lux Records den Versuch, über Zuschreibungen von Düsternis, Härte und Exzess hinaus einen Ausdruck zu finden. Jenseits von konzeptionellen oder symbolischen Ausdeutungen des Klangmaterials soll dieses durch seine Materialität bestechen. Walls, Corridors, Baffles kontrastiert dabei Momente perkussiver Wucht mit einem präzisen Vokabular aus elektroakustischen Klängen. Anna Froelicher hat in einem beschaulichen Café in Luzern mit Savenberg ein Gespräch über das Album geführt, bevor dieser für einen Auftritt im Macao nach Mailand weiter reiste. Ausgangspunkt für eine Diskussion um die Räume, die das Album eröffnet und die Zuschreibungen, denen es sich zu verweigern versuchte, bildete dabei der Titel des Albums.

Anna Froelicher Die Autorin Salomé Voegelin hat vor kurzem in einem Talk über die einmalige Eigenschaft von Klang gesprochen, Wände zu durchdringen. Im Gegensatz zu Bildern können Geräusche und Musik in Räume vordringen, die von der eigentlichen Tonquelle weit entfernt sind. Der Titel deines Albums insistiert mehrfach auf Wände und auf durch Wände begrenzte Räume: Walls, Corridors, Baffles – also Mauern, Korridore und Trennwände. Was war dir daran wichtig?

Samuel Savenberg Raum ist für mich ein grosses Thema. Die Räume von Walls, Corridors, Baffles sind für mich solche, die man durchschreitet. Mir ging es weniger darum, dass Wände diese Räume einengen – sondern welche Bewegung und Zirkulation diese Begrenzungen erlauben. Ich denke, das Album als Ganzes ist so angelegt, dass man durch es hindurch gehen, sich in ihm fortbewegen kann. In dieser Bewegung entspinnt sich eine Art Narrativ zwischen den Tracks. Wenn man die Reihenfolge ändert, oder sich nur einzelne Tracks anhört, verändert sich das ganze Narrativ. Die jetzige Reihenfolge war eigentlich zu Beginn anders geplant, aber das Feedback verschiedenster Leute hat das Album zu dem gemacht, was es ist. Es ist damit zu etwas anderem geworden – und das finde ich spannend.

AF Spielt der Raum, in dem du komponierst und Musik machst für dich eine grosse Rolle?

SS Ich habe das Album beinahe als Ganzes in einer Ferienwohnung in Andermatt [ein beliebter Ferienort in den Schweizer Bergen] produziert. Die Wohnung befindet sich in einem hässlichen Block und Andermatt ist im Dorfkern auch nicht gerade hübsch. Ich dachte aber, dass ich da gut arbeiten könne und bin extra dafür hingefahren. Es war Sommer und morgens war ich meistens zu Fuss in den Bergen unterwegs. Alles war recht spontan und ich habe fast kein zusätzliches Equipment benutzt, um die Tracks zu produzieren. Der Raum war also ein recht beschränkter anfangs, es lief fast alles über Kopfhörer und am Laptop. Später dann, im Studio, wurde alles langsam etwas größer und ich konnte über die Anlage abmischen. Man hat dann Phantasien, wie man das Material aufführen will: Am besten mit Surround Sound, in einem Kino oder Konzertsaal, wo die Leute sitzen können und es die Möglichkeit gibt, die Details in der Musik zu hören. Aus Erfahrung weiss ich aber, dass die Situation in 99% der Räume, in denen ich auftrete, eine andere ist. Die Chance, dass das Album vor allem in kleinen Kellern vor 30 Leuten aufgeführt wird, ist relativ hoch.

AF Die Idealvorstellung, wie deine Musik rezipiert werden soll, ist aber eine andere?

SS Für mich ist es auf jeden Fall wichtig, mir Gedanken darüber zu machen, wie ich das Album live präsentieren will, damit ich es so rüberbringen kann, wie ich es im Kopf habe. Ich frage mich, was mit den Tracks passiert, wenn man z.B. in das Stockwerk über dem Konzertraum geht. Wie werden sie dann gefiltert, wie wandelt sich damit auch die Bedeutung der Musik? Gleichzeitig versuche ich aber, dabei Mass zu halten. Legt man ein zu grosses Augenmerk auf die räumliche Komponente der Aufführung, geht das der Musik Immanente teilweise vergessen. Es werden ja auch schon eigentlich langweilige Kompositionen derart gross und wuchtig aufgezogen, dass niemand mehr merkt, wie langweilig sie tatsächlich sind. Die Entscheidung, wie und wann etwas rezipiert wird, liegt schlussendlich so oder so auch nur bedingt bei mir.

AF Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) haben vor einigen Monaten einen kleinen Skandal in der Welt der neuen Musik losgetreten: Sie wollten die Musik des Komponisten György Ligeti dazu benutzen, um unerwünschte Personen an S-Bahnhöfen zu vertreiben. Hätte die BVG dafür eine öffentliche Ausschreibung gemacht, für die man eigene Musik hätte einsenden können – hättest du dich da beworben?

SS Nein! Schon nur deswegen nicht, weil ich nicht möchte, dass meine Musik zur Abschreckung benutzt wird. So oder so ist mir das Abschreckende und Schreckliche, das meiner Musik zugeschrieben wird, etwas zuwider. Du wirst an ein Festival gebucht und der Veranstalter sabbert schon vor sich hin, weil er es wahnsinnig gut findet, dass er dich mitten am Nachmittag platziert hat – zwischen zwei Folk-Rock Acts. Weil er findet, dass das eben so sein muss, damit man diesen Schock-Effekt hat. Seit ich Musik mache habe ich das Gefühl, dass sie diese Art von Schock-Effekt zu erzeugen hat – früher in den Punk-Bands, in denen ich gespielt habe, und heute mit S S S S. Ich finde diese Zuschreibung unglaublich langweilig. Es interessiert mich nicht, edgy zu sein. Als Konzept funktioniert das auch nicht – weder für gestandene Institutionen, noch für Festivals und auch nicht für Kuratorinnen. Wenn man sich mal umhört und sich darauf achtet, wie experimentelle elektronischer Musik oder auch neue, avantgardistische Musik in der populären Musik weiterverarbeitet werden, dann sind diese Elemente doch längst omnipräsent. Ich glaube, in einer Zeit wo sowieso überall konstant Lärm ist und wir vieles gar nicht mitbekommen, kann man auch Ligeti über Bahnhofslautsprecher spielen, ohne dass es einen Unterschied macht.

AF Beim Hören von Walls, Corridors, Baffles könnte man annehmen, dass du eine Faszination für das Dystopische hast. Siehst du das auch so?

SS Auch dieser Begriff des Dystopischen wird im Zusammenhang mit meiner Musik immer wieder verwendet – verbunden mit der Frage danach, woher das wohl kommt. Wenn ich Musik mache, dann eigentlich nie bewusst mit dem Konzept, Dystopien zu erzeugen. Ich glaube eigentlich nicht, dass man aus der Musik die Einstellung, Haltung und Stimmung derjenigen heraushören kann, die sie gemacht hat. Bei diesem Album war es aber das Erste mal etwas anders. Ich war mir plötzlich nicht mehr so sicher, ob das wirklich stimmt. Vielleicht hört man der Musik doch an, wo mich die eigenen Dämonen eingeholt haben.

AF Mir scheint, dass du zumindest den Erwartungen in deinem musikalischen Umfeld mit viel Humor begegnest – ob man das der Musik dann anhört oder nicht. Zum zweitletzten Track, «And All of This Can Be Broken», hatte ich mir auf jeden Fall notiert, dass der irgendwie witzig sei. Wie stehst du zu Humor?

SS Humor in der Musik hat mich persönlich nie gross interessiert. Zu schnell greift man auf trashige, absurde Elemente zurück. Aber nur weil man sein Konzert in einem Boxring abhält heisst das nicht, dass es als Konzert nicht mehr überzeugen muss. Natürlich ist Humor eine Kunst, ich liebe z.B. gute amerikanische Stand-Up Comedy. Aber wenn es in der Musik nur darum gehen soll, dass man sich selbst und alles andere nicht zu ernst nimmt, finde ich das schade. Ich bin ein Freund von Ernsthaftigkeit und die Art von Musik, die mich am meisten berührt, ist nicht Musik, die ich lustig finde…. Jetzt müsste eigentlich ein guter Free-Jazz Witz kommen, aber leider fällt mir gerade keiner ein (lacht).

S S S S – Walls, Corridors, Baffles erscheint am 28. Juni 2019 bei Präsens Editionen. Das Album vorbestellen kann man ab sofort – hier.