18.07.2018 von Kevin Goonewardena

Don’t DJ – Der Process

“Bis zu fünf Tracks spricht man ja gerne von einer EP“ hat Florian Meyer alias Don’t DJ selbst einmal festgehalten – erst darüber werde das Album-Format erreicht. Damit ist auch seine neueste Platte mit dem Titel All Love Affairs Fail But They Never End, die soeben auf Berceuse Heroique veröffentlicht worden ist, nur eine EP – auch wenn sie im Format einer Doppel-LP erscheint. Anlässlich der Veröffentlichung, die vier Stücke umfasst, und kurz nach seinem Auftritt auf dem von zweikommasieben veranstalteten Symposium Ebbing Sounds in San Francisco, laden wir hier ein ursprünglich 2016 in zweikommasieben #13 erschienenes Interview mit dem DJ und Produzenten auf unserer Website hoch. Den Text von Kevin Goonewardena haben wir grösstenteils in der Originalfassung belassen und nur leicht redigiert und gekürzt.

Ein Prozess (oder der Process, wie der Originaltitel des berühmten Buches von Franz Kafka lautet) beschreibt einen sich über eine gewisse Zeit erstreckenden Vorgang, bei dem etwas Komplexes, Umfangreiches nur allmählich entsteht. Das wusste Kafka schon. Ist Don’t DJ hingegen der Mann, der vom Himmel fiel? Zwar erweiterte der deutsche Produzent und… errm… DJ seine bis dato überschaubare Diskografie in den vergangenen zwei Jahren um ein Vielfaches. Unter anderem erschienen die beiden EPs Hexentrix auf Berceuse Heroique und Metasepia auf Travel By Goods, dem Label des Hamburger Künstlers Thomas Baldischwyler, der auch die Fotos für diesen Beitrag knipste. Hinter dem Pseudonym verbirgt sich jedoch alles andere als ein Neuling: Florian Meyer war schon vor seinen Studienzeiten in Karlsruhe (ab 2005) mit Marc Matter als Institut Für Feinmotorik aktiv und pflegt auch enge Verbindungen zur Kunst- und Musikszene um den Düsseldorfer Salon Des Amateurs. Mittlerweile hat es ihn über mehrere Stationen nach Berlin gezogen. Kevin Goonewardena hat mit Meyer über seine Verbindungen in alle Welt sowie den Entstehungsprozess seiner Musik gesprochen.

Picture of Florian Meyer by Thomas Baldischwyler

Kevin Goonewardena Wo kommst du eigentlich her, Florian? Ich bin doch etwas verwirrt, da ich bei der Recherche im Netz nicht genau dahinter kam.

Florian Meyer Mittlerweile lebe ich seit einem Jahr in Berlin. Ich bin die Stadt gezogen, weil es einerseits die Möglichkeit dazu gab, anderseits das Wohnen wie auch das Leben im Allgemeinen in Berlin günstig ist.

KG Ich dachte ja, du würdest in Karlsruhe leben; darauf weist deine E-Mail-Adresse hin. Auch Düsseldorf kam für mich in Frage…

FM Ein bisschen bin ich ja selbst für die Verwirrung verantwortlich, weil über das Diskant Label, das ich zusammen mit Marc Matter und Stefan Schwander [aka Harmonious Thelonious, siehe zweikommasieben Sonderausgabe zum CTM Festival 2012] gründete, eine starke Düsseldorf-Connection besteht. Daraus sind mehrere Sachen hervorgegangen, die mit Düsseldorf assoziiert werden. Beispielsweise habe ich eine enge Verbindung zum dortigen Salon Des Amateurs. Die rührt noch aus dessen Anfangstagen und entstand vor allem durch unser Projekt Institut Für Feinmotorik. Mit dem spielten wir das erste Konzert, das im Salon stattfand. Seitdem lege ich ein paar Mal im Jahr dort auf. Genauso wie Marc. Zudem machen wir etwa drei Mal im Jahr dort Diskant-Abende.

KG Aber jetzt nicht wegen eines einzigen Gigs…

FM Nein, einerseits kannte ich den Detlef [Weinrich aka Tolouse Low Trax] schon lange – der schrieb uns damals, nachdem wir die erste Platte herausgebracht hatten, einen Brief. Andererseits hat Marc dort ein paar Jahre gearbeitet und ein ambitioniertes Programm mit Filmen und Lesungen durchgezogen, was meines Erachtens wesentlich zum Ruf des Ladens beigetragen hat. Inzwischen wohnt Marc nicht mehr in Düsseldorf, wohl aber Stefan und natürlich viele andere Freunde, die ich über die Jahre kennengelernt habe.

KG Diese Verbindung zu Düsseldorf und der dortigen Musik- und Kunstszene kam also nicht durch dein Studium an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe zustande?

FM Das könnte man meinen. Aber vor allem das Institut Für Feinmotorik und Marc sind dafür verantwortlich. Stefan und Marc wohnten in Düsseldorf, als wir mit The Durian Brothers anfingen. Da bot es sich an, sich in Düsseldorf für Proben und Aufnahmen zu treffen. Die fanden dann meist im Salon statt, wenn dieser geschlossen hatte. Die erste Durian-Platte wurde komplett dort aufgenommen.

KG Was genau hast du eigentlich studiert? Und verdienst du mit diesem erlernten Beruf heute dein Geld?

FM Ganz am Anfang habe ich in Freiburg studiert – Soziologie, Philosophie und Kognitionswissenschaften. Nachdem ich das irgendwann enttäuscht abgebrochen hatte, machte ich eine Zeit lang mit Freunden und Bekannten autonome Seminare. Das war noch vor dem Studium in Karlsruhe. Ich merkte dann irgendwann, dass der Studentenstatus ’ne tolle Sache ist, da man weniger arbeiten muss und mehr Energie für andere Dinge hat. Damals war ich schon eine ganze Weile Teil des Institut Für Feinmotorik. Wir wurden dann eingeladen, damit am ZKM [Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe] etwas zu machen – eine Tanz-Performance Geschichte war das. Bei der Gelegenheit bin ich zum ersten Mal mit der Hochschule für Gestaltung in Kontakt gekommen – die saß nämlich im gleichen Gebäude. Zudem erfuhr ich, dass Boris Groys dort unterrichtet. Den kannte ich bereits – das ist eine ziemlich skurrile Geschichte…

FM Ich habe in einer Stadt aufgelegt, in der ich keinen kannte und dementsprechend in einer Wohnung übernachtet, die mir vermittelt wurde – also eigentlich bekam ich einfach eine Adresse, einen Schlüssel und die Ansage, ich solle nichts anfassen. Das war dann ’ne Wohnung, die komplett leer war, bis auf eine Matratze, eine Kaffeemaschine, eine Pistole, einen Berg von Bargeld – ich rede hier nicht von ein paar gehäuften Bündeln, sondern von ’nem Kubikmeter Scheinen – ein Architekturmodell und ein Buch von Boris Groys. Letzteres hatte ich bis am nächsten Morgen zu weiten Teilen gelesen. Daher kannte ich den Namen und habe mich daraufhin an der Hochschule beworben – für den Studiengang Medienkunst. Im Rahmen des Studiums machte ich dann hauptsächlich von den angebotenen philosophischen Seminaren und den diversen Workshops Gebrauch… Um auf deine Frage zurückzukommen Mein Geld verdiene ich heute eigentlich nicht anders als während des Studiums – ich mache mal dies, mal das. Also mal ist es eine Kollaboration, dann eine Platte – die zwar kein Geld bringt, dafür aber Auftritte – oder andere musikalische Arbeiten, zum Beispiel Remixe und Masterings. Manchmal werde ich auch eingeladen, an einer Uni einen Vortrag zu halten. Hauptsächlich verdiene ich mein Geld aber tatsächlich mit Musik – im weitesten Sinne.

KG Nach deiner Zeit in Karlsruhe und bevor du nach Berlin gezogen bist, hast du mehrere Jahre in Japan gelebt. Wie kam es dazu?

FM Ja, das stimmt. Ich habe ungefähr drei Jahre in Japan gelebt. Da hin gezogen bin ich, nachdem ich mich ein wenig umgeschaut hatte, was ich mit meinem Studentenstatus noch Interessantes anstellen könnte. Ich habe erfahren, dass meine Uni in Japan eine Partnerschule hat, die normalerweise sehr teuer ist, woraufhin ich mich da einschrieb. Ich bin dann etwas länger geblieben, als eigentlich beabsichtigt.

KG Gab es die Überlegung in Japan zu bleiben?

FM Irgendwann gab es diese Überlegung durchaus; nicht zuletzt weil ich mich verliebt habe. Die japanische Gesellschaft macht einem die Integration jedoch nicht gerade leicht und ihre neurotischen Untertöne treten bei feiner werdender Betrachtung deutlicher zu Tage. So war ich irgendwann froh, mich wieder von dort verabschieden zu können – allerdings nicht ohne das Land häufig zu vermissen. Dass es am Ende Berlin wurde, war allerdings auch nicht geplant – ich hatte eigentlich keine deutsche Stadt im Sinn.

FM Ich hatte grosses Glück mit den Leuten, die ich kennenlernte; Matoba Hiroshi zum Beispiel, der mich bei meiner Ankunft vom Flughafen abholte. Wir stellten schnell fest, dass wir gemeinsame Interessen haben und reichten nach dem Semester einen Förderantrag für ein Projekt ein, das mir erlaubte, ein weiteres Jahr dort zu leben und mit Hiroshi einen zirkulären Sequenzer für Android Tablets zu entwickeln [TORUKU, unterstützt von der MFG Stiftung und der Kyushu Universität]. Aber um auf deine Frage zurückzukommen, inwiefern mich Japan beeinflusst hat Eigentlich nur insofern, als dass ich ein paar Leute kennenlernte, mit denen ich Interessen vertiefen konnte, die ich aber sowieso schon hatte. Nach meiner Erfahrung geht es immer um die Menschen, mit denen man interagiert, nie um die Orte an sich.

KG Die Menschen sind wichtig, bestimmt aber auch die zur Verfügung stehende Zeit, die finanziellen Mittel – und natürlich die Prioritäten, die man setzt.

FM Ja, genau. Sowohl bei den Durian Brothers als auch beim Institut Für Feinmotorik haben wir sehr viel Zeit darauf verwendet, wirklich alle Aspekte der Releases zu kontrollieren, jeden Schritt nochmals zu überdenken. Bei so einer Arbeitsweise vergeht dann schnell mal ein Jahr zwischen der Aufnahme der Stücke und der Veröffentlichung. Natürlich hat diese Herangehensweise Vor- und Nachteile. Beispielsweise hat sie eben auch etwas Verkrampftes und Einschränkendes. Es wird zudem nicht von Projekt zu Projekt leichter, auch wenn man das meinen sollte. Bei Don’t DJ bin ich die Sache von Anfang an spielerischer angegangen. Ich hatte nicht das Gefühl, das sei nun mein identitätskonstruierendes Vehikel schlechthin, bei dem alles so sein müsste, wie ich es mir in irgendwelchen selbstverliebten Phantasien gedacht hatte.

FM Der Anfang eines Stückes steht bei mir eigentlich immer recht schnell – innerhalb einer halben Stunde oder so. Den Grundstein zu legen ist also nicht das Problem. Der muss mich dann aber so sehr faszinieren, dass ich reingezogen werde – fast wie bei einem Videospiel, bei dem man nicht mehr aufhören will zu zocken. Das vorhandene Material verlangt dann förmlich nach diesem oder jenem Zusatz, so dass eigentlich immer klar ist, was als nächstes gemacht werden muss – oder besser gemacht werden will. Vom Resultat des Arbeitsprozesses überrascht zu werden, das ist ein super befriedigendes Gefühl.

KG Wie hast du herausgefunden, dass diese Art zu arbeiten die richtige für dich ist?

FM Ich hab tatsächlich mit dem Computer angefangen Musik zu machen, weil es mich interessierte und ich es ausprobieren wollte. Vorher habe ich nur mit Plattenspielern Musik gemacht oder auch mal mit einem Didgeridoo. Aber als ich dann begann mit dem Computer an Musik zu arbeiten, da habe ich tatsächlich als erstes versucht, mir die Arbeitsweisen der DAWs, also der Digital Audio Workstations, nahezubringen – diese lineare Notation beispielsweise. Dabei habe ich das Naheliegendste gemacht, also Beat Nr. 1 auf die Eins gesetzt und Beat Nr. 2 auf die Zwei. Danach habe ich angefangen Sachen nachzubauen und durch mein defizitäres Wissen kam dabei natürlich etwas Eigenes raus. Aus der Zeit ist allerdings so gut wie nichts erhalten. Wenn ein Projekt mal zu einem Ende kam, dann haben Crashes von Festplatten das Ergebnis später zunichte gemacht.

KG Und diese Arbeitsweise hast du dann über die Jahre weiter ausgebaut?

KG Also haben wir es hier mit einer Art freiem, kontrolliertem Maschineneinsatz zu tun. Der musikalische Output, aber auch die von dir beschriebene Arbeitsweise verstärken diesen Eindruck Scheinbar ist alles zufällig, man merkt aber, dass dahinter mehr steckt. Das soll nicht heissen, dass das Ergebnis geplant oder gar erzwungen klingt – im Gegenteil. Aber doch wirkt es gesteuert.

FM Auf so einer Metaebene habe ich mir noch nie Gedanken über meine Arbeitsweise gemacht. Allerdings kann ich sagen, dass ich tatsächlich versuche einen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen sich die Maschinen austoben können. Ich gewähre ihnen Freiräume und lasse mich dann überraschen, wie sie diese nutzen. Ist der Output einladend, fange ich an mitzuspielen – wenn nicht, sage ich «Halt» und ändere die Rahmenbedingungen oder die Richtung. Wir sind natürlich keine gleichberechtigten Partner Ich mache keine «ideologische Musik», wie ich sie John Cage und der von ihm beeinflussten Schule unterstellen würde. Ich bin her ein wohlwollender und verspielter Diktator: wenn eine Maschine mir zu widerspenstig ist, wird sie einfach gelöscht [lacht]. Im Gegensatz zur Cage’schen Schule, wo es darum geht, soziale Utopien in der Musik zu verwirklichen, geht es bei mir eher um den Versuch soziale Utopien aus guter Musik abzuleiten.

KG Du greifst dann also nur korrigierend ein, wenn du das Gefühl hast, dass es nötig ist?

FM So in der Art. Wobei von «nur» kann natürlich nicht die Rede sein. Das klingt nach weniger, als meine Arbeit letztendlich ist. Dennoch sehe ich mich nicht als alleinigen Verantwortlichen. Das Zusammenspiel der Maschinen ist nicht nur ein wichtiger Teil meines Arbeitsprozesses, sondern mir auch persönlich wichtig. Alles können, beziehungsweise sollen, die Maschinen aber auch nicht leisten. Sie spielen nicht nur miteinander, sondern auch mit mir. Meiner Interpretation nach äussern sie zum Beispiel ihre Wünsche, sagen mir, was noch fehlt – eine Clap zum Beispiel. Ich setze den dann ein, aber nicht zwingend an einer mir genehmen Stelle, sondern da, wo die Maschinen ihn haben wollen. Natürlich «wollen» die Maschinen nicht wirklich den Clap, es sind aber tatsächlich sie, die mir Vorschläge machen. Wenn ich allerdings der Meinung bin, dass nichts von den Vorschlägen gut funktioniert, kommt der Clap auf die Zwei und die Vier und die Maschinen akzeptieren das ohne Widerworte.

FM Ja, genau, mein erstes Album mit mehr als fünf Tracks – bis fünf Tracks spricht man ja gerne von einer EP. Auf dem kommenden Release sind neun Stücke drauf, das geht wohl als Album durch. Es ist auch keine Compilation von Singles, wie man das manchen Pop-Grössen heute unterstellen könnte, sondern schon der Versuch einer Annäherung an ein klassisches Album. Es wird einen Titel haben, der für mich nicht unwichtig ist Musique Acéphale. Ob die Musik diesen Titel verdient, das sei dahingestellt. Es geht vielmehr um dieses Konzept, das mich schon lange fasziniert – eigentlich schon seit den Institut Für Feinmotorik-Tagen.

KG Welche Bedeutung steckt hinter dem Namen beziehungsweise dem Konzept?

FM Ich habe festgestellt, dass wenn ein Takt nicht deutlich als 4/4 erkennbar ist – also mit dem Becken auf der Eins und der Snare auf der Zwei sowie der Vier und dem Beat auf jedem Viertel –, man dennoch eine Eins wahrnimmt. Wenn man zum Beispiel die Nadel des Plattenspielers über das Label einer Platte laufen lässt und an einer beliebigen Stelle den Lautstärkeregler herunternimmt und kurz darauf wieder hoch haut, dann setzt der Hörer höchstwahrscheinlich eine neue Eins an den Punkt, an dem man den Lautstärkeregler wieder hochgehauen hat. Vorausgesetzt der zugrundeliegende Loop ist divers genug. Und dann hört sich das Ganze völlig anders an. Soweit verstanden?

FM Ok, dann habe ich mich gefragt, ob es nicht eine Musik geben könnte, bei der man sich bei der Eins nie ganz sicher ist und sie daraufhin die ganze Zeit shiftet, sie also ständig an eine neue Stelle setzt und das Stück somit eine Mannigfaltigkeit an möglichen Taktvariationen enthält. Diese Musik würde keinen Anfang vorgeben, auch keinen strikten Rahmen. Im Gegenteil, es würden viele Perspektiven ermöglicht, nicht nur die eine vorgegebene. Diese Musik oder diese Idee von Musik könnte man eben als «Musique Acéphale» bezeichnen.

KG Wird die Geschichte dahinter irgendwo erklärt – im Booklet zum Beispiel?

FM Nein.

KG Da muss man dich also schon fragen, was es damit auf sich hat?

FM Genau. Es ist eines der vielen Geheimnisse, die in solche Produktionen einfliessen und dort ihrer Entdeckung harren. Letzten Endes spricht die Musik zu einem oder nicht. Natürlich kann man versuchen herauszufinden, was den Musiker umgetrieben hat, aber für das Verständnis der Musik selbst ist das irrelevant. Es könnte ja sein, dass ich sie selbst nicht richtig verstanden habe…

Don’t DJ All Love Affairs Fail But They Never End ist diese Woche bei Berceuse Heroique erschienen — und kann bei Honest Jon’s bestellt werden.