21.02.2023 von Jamal Al Badri

Break — Frühstück mit Andy Stott

Was auf Drop The Vowels (Modern Love, 2014), dem Debüt-Album von Miles Whittakers und Andy Stotts Nebenprojekt Millie & Andrea zu hören ist, zeichnete sich bereits in Stotts Live-Sets Ende 2013 ab: Breaks lösen Kicks ab, das Tempo wird angezogen, Dub Techno ade – Hardcore olé! So geschehen an «Nacht #7» am Südpol Luzern, wozu der Brite vom Korsett Kollektiv, TWOETS und zweikommasieben eingeladen wurde. Im ersten Moment überraschte Stott damit, wurde doch aufgrund seiner damals aktuellen Solo-LP Luxury Problems (Modern Love, 2012) ein stoisches, in-sich-gekehrtes und straightes Set erwartet. Schaut man sich aber Stotts musikalische Sozialisierung und sein aktuelles Umfeld in der Boomkat-Ära Manchesters an und zieht seine künstlerische Praxis in Betracht, passt das Set plötzlich wieder ganz gut in sein persönliches Hardcore Continuum.

Beim Frühstück am Tag nach der Nacht, wozu Jamal Al Badri und David Huser von zweikommasieben Stott, einen hervorragenden Geschichtenerzähler, trafen, erklärt der Brite dann auch alles nochmals ganz genau.

Jamal al Badri Lass uns über dein gestriges Set sprechen. Du hast viele unterschiedliche Arten von Musik gespielt. Warum hast du dich für diese Vielfalt entschieden?

Andy Stott Das Set verändert sich ständig. Gestern Nacht spielte ich ausschliesslich neues Material. In erster Linie wollte ich die Reaktion der Leute auf die Tracks testen. Natürlich war es eine bewusste Entscheidung, das Set so aufzubauen, aber schlussendlich war das einfach die Musik, die ich gerade schreibe. Das ist der Grund, warum das Set aus so unterschiedlichen Teilen bestand.

JB Dann setzt du dich momentan also mit vielen unterschiedlichen Arten von Musik auseinander? Oder jammst du einfach herum?

AS Genau. Diese Sachen entstanden beim Jammen. Seit meiner letzten Veröffentlichung habe ich meine Produktionen ein bisschen schneller werden lassen. Das hat sich so ergeben.

JB Hast du eine Ahnung, woher diese Veränderung in Sachen Tempo kommt?

AS Nein… [Denkt nach] Nein, ich weiss es nicht. Ich denke, es sind einfach unterschiedliche Phasen. Die Musik auf Luxury Problems sowie Passed Me By und Stay With Me fühlten sich mit jener Geschwindigkeit richtig an. Und als ich mit den Tracks von gestern rumspielte, fühlten sie sich mit dieser Geschwindigkeit richtig an. Ich versuche immer auch langsamere Versionen der Stücke zu machen, aber die Sachen von gestern sollten wohl einfach so schnell sein.

JB Dann weisst du jeweils auch nicht, mit welcher Geschwindigkeit du arbeiten wirst, bevor du loslegst?

AS Nein. Meine Tracks entwickeln sich meistens um einen Sound herum. Normalerweise experimentiere ich mit einem bestimmen Klang. Daraus entsteht eine Melodie. Die nehme ich auf und anschliessend tüftle ich an der Perkussion herum. Ich spiele das dann mal schneller, mal langsamer. Die Sachen von gestern hatten viele Breaks. Das ist, weil ich in letzter Zeit oft mit Breaks arbeitete. Diese funktionierten irgendwie besser als Kickdrums. All diese Komponenten zusammen, stellen die Ausgangslage eines Tracks dar. Ich füge dann Bass und Effekte hinzu, um dem ganzen einen eigenen Charakter zu verleihen. Wenn ich das Gefühl habe, an etwas dran zu sein, gehe ich mit dem Hund spazieren. [Lacht] Wenn ich zurückkomme und die Sache noch gut klingt, setze ich die Arbeit an dem Stück fort.

Andy Stott

JB In deinem Set gestern gab es Jungle-Referenzen, auch hast du einen Acid Track gespielt. Wann und wie bist du mit jenen Arten von Musik zum ersten Mal in Berührung gekommen?

AS Bereits in der Schule hörte ich Jungle. Das war 1994. Ich interessierte mich damals vor allem für diesen langsameren Jungle, der im Norden Grossbritanniens seit 1990 gespielt wurde. Das nannte man Hardcore. Sagt man Hardcore, denken viele Leute an etwas sehr schnelles; tatsächlich aber ist es eine langsamere Spielart von Jungle. Bereits also während meiner Schulzeit, mit 13 Jahren, hörte ich diese Musik. Zu der Zeit hatte man noch Kassetten. Ich musste also oft lange wach bleiben, um die Radioshows aufnehmen zu können. Ich fand die Musik sehr gut, war aber müde. Wenn die erste Seite der Kassette voll war, wechselte ich die Seite und konnte im Anschluss endlich schlafen gehen. Am Morgen danach, auf dem Weg zur Schule, hörte ich mir die Tapes dann an. Die Sendung drehte sich zuerst um Hardcore, wurde aber immer schneller… Irgendwann kam ich in die Sekundarschule und lernte da neue Leute kennen – da war ein Typ namens Kevin, Kevin Stewart, und das war Claro Intelectos jüngerer Bruder. Kev und ich wurden beste Freunde. Darum war ich oft bei ihm zu Hause und Mark [Claro Intelecto] war auch da. Jener wusste, dass ich mich für Musik interessiere und begann mir CDs zu geben. Es war Mark, der mich auf Sachen wie Drexciya, Richie Hawtin und Jeff Mills brachte.

So entdeckte ich Acid. Ich dachte, ich würde mich mit echter Underground-Musik auseinandersetzen, weil ich lange aufblieb und mir die Sachen im Radio anhörte. Aber dann stellte ich fest, dass es Sachen gibt, die nicht einmal im Radio gespielt werden. Ich dachte mir nur: «Was zur Hölle!?»

JB Bist du zu der Zeit schon in Klubs gegangen oder war es eher so, dass man Musik austauschte und sich diese dann zu Hause anhörte?

AS Das war das Ding: Als meine Freunde und ich alt genug waren um in Klubs zu gehen, hörten wir bereits Techno – Aphex Twin und solche Sachen. Viele meiner Freunde hatten ältere Brüder und wir gingen mit denen ich schreckliche Klubs. Die hatten einen fürchterlichen Musikgeschmack. Sie sind auch nur ausgegangen um sich zu betrinken und um Mädchen hinterherzurennen. Das machten wir schlussendlich auch. Das ging ein paar Jahre so, bis wir einen Klub in Manchester entdeckten, wo Sachen gespielt wurden, die wir mochten. Wir hatten ja keine Ahnung, dass es einen Klub geben könnte, wo Jeff Mills, Aphex Twin, Drexciya und all die Sachen gespielt wurden. Es waren zwar nicht viele Mädchen da, aber…

[Gelächter]

JB Was für eine Art Klub war das?

AS Es war ein kleiner Klub in Manchester. Er hiess… [Denkt nach] Wie hiess der nochmals? Wir gingen oft dahin! [Denkt weiter nach, bis er es nach einem Moment sein lässt] Es gab einen anderen Klub namens Music Box. Heute steht da ein Supermarkt. Die haben das Gebäude abgerissen und einen Tesco hingestellt. Das ist grossartig. Ich bin neulich daran vorbeigefahren. Ich hatte keine Ahnung. Wie hiess der andere Klub nochmals? [Denkt wieder nach] Ich kann mich nicht daran erinnern, das nervt mich… [Dann plötzlich] The Park! Es gibt diese Autostrasse namens Mancunian Way, die durch Manchester führt. Der Klub war direkt neben dieser Autostrasse. Da sind wir oft hingegangen, ja. Die hatten gute DJs, gute Vibes. Einmal hat es da gebrannt. Ich glaube es war eine Silvester-Party. Es war definitiv in der Weihnachtszeit. Der Klub füllte sich plötzlich mit Rauch. Die Leute schrien, dass es brennen würde und rannten raus. Die einzige Person, die das nicht mitbekam, war der DJ. Er muss sich wohl gedacht haben, dass die Rauchmaschine verrückt spielte. Wir waren also alle draussen und fragten uns: «Wo ist Darren?» Jemand ging dann wieder rein um ihn zu holen. Er war noch immer am mixen. «Darren, der Klub brennt!»

[Gelächter]

JB Wann hast du angefangen selber Musik zu produzieren?

AS Ich hätte gesagt, das war 2004. Als Kind hatte ich einen kleinen Roland Synth, mit dem ich übrigens noch immer arbeite. Mit der Zeit lernte ich Mark [Claro Intelecto] besser kennen, weil ich oft mit Kev, seinem jüngeren Bruder, abhing. Irgendwann kaufte ich ein anderes Gerät von Mark, einen weiteren Synth. Über die Jahre hinweg häuften sich so Geräte an, mit denen ich Sound machen konnte. Ich dachte aber nie daran, dass ich irgendwann selber Musik veröffentlichen würde. Ich spielte einfach mit diesen Geräten. Irgendwann kaufte ich einen Computer mit einer Musiksoftware. Ich nahm etwas auf und zeigte es meinen Freunden. Diese sagten, «das klingt wie die Sachen, die wir uns anhören.» Etwa zur gleichen Zeit war Mark mit einem Label namens Ai Records in Kontakt. Die hatten ihre Distribution in Manchester und Mark ging bei denen vorbei um etwas wegen seiner eigenen Platte zu klären. Dabei stellte sich heraus, dass einer der Typen im Büro ein eigenes Label aufbauen wollte. Mark sagte dem dann, er hätte einen Freund, der Musik machen würde. Nach dem Treffen meinte er zu mir, ich solle sechs oder sieben Tracks auf eine CD brennen und sie dem Typen geben, weil er eben ein Label mache. Eines Abends waren wir dann in der Music Box, diesem Klub, den ich vorhin erwähnt habe, und mir wurde dieser Typ vorgestellt. Ich gab ihm die CD und nicht lange danach erhielt ich eine Mail: «Willst du mal im Büro vorbeischauen? Wir sollten reden.» Auf dieser CD waren vielleicht zwei Tracks, die nicht weiter bearbeitet werden mussten. Der Typ sagte, ich bräuchte zwei weitere Tracks und dann hätte ich einen Release. Das war die Replace EP, die, wenn ich mich recht erinnere, 2005 veröffentlicht wurde. So begann das alles.

JB Und ab dem Punkt wolltest du das Vollzeit machen? Oder war es nach wie vor eher ein Herumspielen?

Ich meinte: «Es ist unmöglich, ein Kind grosszuziehen, von 9 bis 5 zu arbeiten und auch noch ernsthaft Musik zu machen.» Andy Stott

AS Immer noch ein Herumspielen. Ich hatte mehr und mehr Veröffentlichungen und wurde auch öfters gebucht. Ich dachte: «So wird es nun bleiben: Ich arbeite Montag bis Freitag und vielleicht einmal pro Monat spiele ich am Wochenende eine Show.» Ich wurde schon ab und zu gebucht, bevor Passed Me By rauskam. Aber nach dieser Veröffentlichung schoss die Nachfrage durch die Decke. Ich habe gestern jemandem erzählt, es wäre schwierig gewesen, weil ich eben tagsüber arbeitete, dann am Abend zu Hause Tracks und Remixe fertigstellte, wieder zur Arbeit ging, nach Hause kam… Gleichzeitig versuchte ich meine Freundin ab und zu zu sehen und mich mit meinen Freunden zu treffen. Und ursprünglich waren es auch ein Auftritt in Manchester, einer in London – nicht weit weg. Aber dann wurde ich des Öfteren auch in Europa gebucht. Ich arbeitete also bis Freitag, flog dann ins Ausland, spielte eine Show und musste dann gleich wieder zurück zur Arbeit. Am verrücktesten war ein Booking in Japan: Ich war länger im Flugzeug, als ich tatsächlich vor Ort war. Irgendwann wurde meine Freundin schwanger und wir mussten die Sache besprechen. Ich meinte: «Es ist unmöglich, ein Kind grosszuziehen, von 9 bis 5 zu arbeiten und auch noch ernsthaft Musik zu machen.» Zum Glück bewies ich Mut und kündigte meinen Job. Das war im letzten Oktober. Ich habe also ein Jahr als Vollzeit-Produzent hinter mir, was sehr aufregend ist.

JB Lass uns noch kurz über Modern Love sprechen. Findet ein aktiver Austausch unter den Künstlern statt oder macht da jeder sein eigenes Ding?

AS Nein, die Jungs von Demdike Stare und ich zum Beispiel, wir kennen uns ziemlich gut wegen dem Label – darüber haben wir uns kennengelernt. Miles war früher bei Pendle Coven dabei, zusammen mit… Kennst du G.H.?

JB Ja, ich liebe seine EP!

AS Gary, der hinter G.H. steckt, ist die andere Hälfte von Pendle Coven. Als ich anfing mit Modern Love zusammenzuarbeiten ging ich oft zu den beiden ins Studio um mit ihnen Musik zu machen. Erinnerst du dich an die Veröffentlichungen auf Hate? Miles, G.H. und ich haben die gemacht. Es ging um das, worüber wir vorhin gesprochen haben: Hardcore. Durch dieses Projekt wurden wir gute Freunde. Sean, der zusammen mit Miles Demdike Stare macht, habe ich ebenfalls über das Label kennengelernt. Mittlerweile wohnt er bei mir um die Ecke. Wir sehen uns ziemlich oft. Jeder kennt jeden beim Label. Es sind auch nicht viele Leute dabei. Anderseits gibt es Künstler wie Dominick [Vatican Shadow] –  er ist eigentlich nicht Teil des Labels, aber ich habe ihn so oft beim Touren getroffen, Sean und Miles ebenfalls. Nun gehört er quasi zur Familie. Und das ist echt super…