10.04.2018 von Remo Bitzi

Premiere: Video zu Chevels «Stay Fly»

Der  italienische Produzent Dario Tronchin aka Chevel veröffentlicht Always Yours auf Different Circle. Wir haben mit ihm über die LP gesprochen und präsentieren hier das Video zu «Stay Fly», einem exklusiven Extra-Edit zum Album.

Always Yours ist Tronchins fünftes Album als Chevel, jedoch ist es die erste LP überhaupt auf Different Circle, dem wegweisenden Label der beiden Neo-Grime-Dons Mumdance und Logos [siehe zweikommasieben #11]. Beachtet man, dass sich Chevel vor allem in der Techno-Szenen einen Namen gemacht hat – mit Veröffentlichungen auf Stroboscopic Artefacts, New York Haunted oder seinem eigenen Enklav.-Label – dann ist dies allemal Grund genug, einige Fragen zu stellen.

Remo Bitzi Obwohl du deine Musik hauptsächlich auf Labels aus dem Techno-Umfeld veröffentlicht hast, hatten einige deiner bisherigenProduktionen einen (Instrumental-)Grime-Vibe (vor allem Blurse auf Stroboscopic Artefacts). Würdest du dem zustimmen?

Dario Tronchin Ja, dem stimme ich zu. Das ist für mich eine natürliche Entwicklung, um ehrlich zu sein. Ich wollte nicht einfach immer und immer wieder das Selbe machen, sondern das Spektrum von Techno für die Leute erweitern und andere Einflüsse und Möglichkeiten in die Klubmusik einführen. Grime könnte eine dieser Möglichkeiten sein, wenn man genau hinhört; obwohl ich eigentlich nur ganz wenig über Grime weiss. Den Vibe dieses Genres mag ich jedoch.

RB Wie und wann hast du (Instrumental-)Grime entdeckt?

DT Ich glaube, zum ersten Mal damit in Kontakt kam ich im Berghain anno 2008 oder 2009, als ich da ein DJ-Set von Mala hörte. Das war nicht wirklich Grime, eher Dubstep, aber dieser UK-Einfluss stammt aus dieser Zeit. Im Anschluss daran hatte ich mich jeweils im Hardwax durch die UK-Importe gearbeitet, später ging ich zu ein paar Different Circles Veranstaltungen in London – das war 2015 – und dann gab es noch diese Grime-Ausgabe von Boiler Room; das alles war sehr einflussreich. Das Selbe lässt sich natürlich über die Arbeit von Mumdance und Logos sagen; lustigerweise veröffentliche ich nun Musik auf dem Label der beiden.

RB Mumdance und Logos haben den Begriff «Weightless» geprägt. Was ist dein Bezug zu diesem Begriff?

DT Ich denke, der Begriff steht für genau das, worum es mir bei elektronischer Musik geht – es soll bei Platten und Performances nicht nur um ein Genre gehen. Ich beziehe mich insofern auf den Begriff, als dass ich Risiken eingehen und die Komfortzone  des crowd-pleasing hinter mir lasse – anders als viele andere, leider.

RB Während die ersten paar Veröffentlichungen auf Different Circle exklusiv von britischen Produzenten stammten (und von Rabit, der in den Staaten wohnt), fanden sich auf Weightless Volume 2, einer Compilation, die im letzten Jahr erschien, Stücke von Shapednoise aus Italien und FIS aus Neuseeland. Breitet sich (Weightless-)Grime in deinen Augen aus? Wie kam die Sache zu dir?

DT Ich denken, dass sich Weighless tatsächlich ausbreitet, eher noch als Grime. Wir Millennials erleben eine komplett andere Klubumgebung als beispielsweise die frühen Raver anno 1988 und 1989 und die danach. Das Internet hat alles verändert und so erreicht mich Musik in den meisten Fällen online. Ich beobachte online, wie Leute die gleiche Leidenschaft teilen und ähnliche Ästhetiken verfolgen, obwohl sie aus ganz unterschiedlichen Teilen der Welt stammen. Und das hat natürlich einen Einfluss auf Live- und Kluberlebnisse. Auch beobachte ich, wie einige Leute daran interessiert sind, sich im Klub experimentelle Sachen anzuhören – Material, das sie sich davor eher zu Hause auf ihren Computern angehört haben.Ich glaube, das ist für alle, die Musik machen und lieben, sehr erfrischend. Damit meine ich das, was Mark Leckey losgetreten hat und was von Mark Fell oder Lorenzo Senni später weitergeführt wurde.

RB Wenn sich etwas ausbreitet, heisst das oft auch, dass die Sache an Kraft verliert. Wie können sich Genres entwickeln, wenn alle einfach neue Sachen einbringen?

DT Ich finde es schwierig, über Genres zu sprechen. Das ist etwas, das mir immer am meisten zu schaffen gemacht hat – Teil von einer Szene zu sein oder mit einem spezifischen Klub oder einer Stadt in Verbindung gebracht zu werden. Ich will eher meinen eigenen Weg finden, an meinem eigenen Sound arbeiten und eine eigene Marke sein. Darum fällt es mir schwer, auf diese Frage zu antworten, wobei es mich sehr freut, dass Klubmusik und experimentelle Musik gemeinsame Wege gehen.

RB Mit Mumdance hatte ich für die 11. Ausgabe unseres Printmagazins darüber gesprochen, wie es für ihn war – mit seinem Pop-Hintergrund – Zugang zur Szene für experimentelle Musik zu finden. Er meinte, er habe «Glück gehabt, dass er in diesen Kreisen akzeptiert wurde», in denen er sich heute bewegt. «Wenn diese Leute finden, man sei nicht real, dann kommt man da nicht rein», sagte er weiter. Du hattest eine Techno-Karriere. Nun veröffentlichst du Musik auf einem Weightless-Label – wie erlebst du das? War es schwierig, den Zugang zu diesem Kreise zu kommen?

DT Ehrlich gesagt, lässt sich diese Frage nur schwer beantworten. Ich glaube, dass Mumdance und Logos mich als real anerkennen – immerhin veröffentlichen sie mein Album. [Lacht] Wie auch immer, ich denke nicht wirklich in Szenen, auch wenn ich mir der Existenz dieser Szenen bewusst bin. Ich möchte nicht Teil von einer spezifischen Sache sein, weil sich meine Musik ständig entwickelt. Aber ja, es fühlt sich erfrischend und zugleich surreal an, einen weiteren Schritt nach vorne zu machen – in Anbetracht meiner Vergangenheit – und das erste Album auf Different Circles zu verantworten.

RB Soviel ich weiss, hast du noch nie einen Track mit einem (Grime) MC produziert. Ist das etwas, was du gerne machen würdest?

DT Korrekt, ich habe noch nie mit einem MC zusammengearbeitete. Aber während meinen Live-Sets setze ich immer wieder Acappellas ein – etwa diese «Flying»- und «And Again»-Acappellas von Wiley.
Das ist aber definitiv etwas, woran ich in Zukunft arbeiten will – mal sehen, was passieren wird. Ich möchte auch gerne mit Mainstream-Rappern zusammenarbieten.

RB …Mainstream-Rapper wie zum Beispiel?

DT Um einige Rapper zu nennen, die ich wirklich mag: Frank Ocean, Kanye West oder Yung Lean.

RB Ist das Verwenden von Samples (wie jenes von «You Da Baddest» von Future feat. Nicki Minaj) eine Vorbereitung auf die Arbeit mit MCs?

DT Ah, ja, das ist tatsächlich ein erster Ansatz, um mit Stimmen umzugehen; das erwähnte Beispiel wurde ein ziemlich melancholisches Liebeslied.

RB Was sind deine Top 3 Grime-Tracks?

DT Novelist und Mumdances «1 Sec», Wileys «Blue Bottle Kiwi» und «Step 2001» von Zomby und Wiley.

Chevel at work, by Jacopo Rosolen