Demaskiert: Holy Other im Interview

Schüchternheit, Scheue, Scham. Alles nichts Neues im Pop. Vielmehr scheint Popmusik zuweilen ein regelrechter Zufluchtsort für Menschen dieser Art zu sein. Sei es vor oder auf der Bühne. In den letzten Jahren hat sich jedoch eine Veränderung bemerkbar gemacht: Der Pop- respektive Rockstar wird zunehmend zu einem Anachronismus. Wo also früher ein David Bowie mit seinen autistischen Tendenzen sein Klischee des unnahbaren Popstars bekräftigten konnte, gibt es heute… – ja was und wen denn eigentlich? Zum Beispiel Holy Other.

Hinter dem Namen steht ein junger Engländer, der sich – so sagt er selber – in seiner Jugend nie sonderlich fürs Musikmachen und -produzieren interessiert hat und dann, als er eine Zeit lang in Berlin lebte, aus Mangel an Alternativen eben damit anfing. Seine ersten Releases sind auf dem Brooklyn-Label Tri Angle herausgekommen und spätestens mit dem Debütalbum Held hat nicht zuletzt er massgeblich zum Popularitätsschub des Imprints beigetragen.

Es ist diese melancholische Mixtur aus verschiedenen musikalischen Strömungen wie R’n’B, House und (zumindest stellenweise) auch UK Garage, die verhältnismässig undogmatisch und unbeschwert ist. Dieser Cocktail kann im erweiterten Kontext auch als Sinnbild für das Konsumverhalten vieler junger Menschen gesehen werden. Entsprechend gross also die Resonanz. Verwunderlich ist denn auch nicht die Tatsache, dass Holy Other genreübergreifend funktioniert – dass eine Support-Tour mit Beach House genauso Sinn macht wie ein Andy Stott-Remix.

Samuel Savenberg traf sich für zweikommasieben mit dem britischen Produzenten am Tag nach dessen Konzert im Südpol Club Ende März 2013 zu einem Gespräch. Marc D’Arrigo fotografierte den Künstler am Tag davor.

Samuel Savenberg Worüber ich als erstes mit dir sprechen möchte ist Anonymität. Was waren deine Beweggründe, ohne Namen und anfänglich gar ohne Gesicht als Holy Other in Erscheinung zu treten?

Holy Other Grösstenteils war es Schüchternheit. Aber ich wollte eben auch nicht, dass ein allzu massives Image mit meiner Musik in Verbindung gebracht wird – das Gesicht des Künstlers zum Beispiel. Meine Musik sollte losgelöst von mir als Person angehört werden können. Aber letzten Endes ist dann besagte Anonymität zu meinem Markenzeichen geworden. Da musste ich mir auch eingestehen: Das hat nicht funktioniert, man kann nicht einfach nichts sein. Die Leute mögen es, Bilder, Menschen, Namen mit Musik oder anderem zu assoziieren. Es scheint so, als ob es nicht möglich sei, einfach nur Musik zu hören.

SS Damit hätte sich auch die Frage erübrigt, warum Holy Other mittlerweile ohne Schleier Konzerte spielt…

HO Genau, ich wollte diese Maskerade nicht zu sehr in den Fokus rücken. Es lenkt zu sehr von der Sache ab. Ausserdem sind meine Promo-Fotos immer noch obskur und ich werde weiterhin ohne Namen genannt… Damit kann ich leben.

Holy Other

SS Inwiefern unterscheidet sich eines deiner Konzerte heute denn von einem zu einem früheren Zeitpunkt?

HO Der grösste Unterschied ist, dass ich die Leute heute im Publikum besser wahrnehme. Der Schleier war so etwas wie eine zusätzliche Barriere zwischen mir und den Zuhörerinnen.

SS Bei der gestrigen Show ist mir auch aufgefallen, dass du extrem auf die Musik konzentriert warst. Dein Blick war immer auf das Equipment gerichtet, fast schon ein bisschen krampfhaft. Es schien als ob du den direkten Kontakt zum Publikum auf diese Art zu umgehen versuchtest.

HO Es ist mir nicht danach, das Publikum mit meiner Person zum Abgehen zu animieren. Man wird mich auch nie live sehen, wie ich meine Hände in die Luft reisse und die Menge auf den anstehenden Drop vorbereite (lacht). Ich wüsste auch nicht, warum und wie ich mit dem Publikum eine Verbindung während des Livesets aufbauen sollte. Sprich, ich fühle mich wesentlich mehr blossgestellt als früher, was nicht immer ganz angenehm ist. Ich bin direkter mit dem Gast der Party konfrontiert. Mit dem Schleier früher habe ich die Leute nie wirklich gesehen, nur gehört. Jetzt habe ich das Publikum auch visuell vor mir.

SS Gäbe es denn auch andere Möglichkeiten für die Live-Umsetzung deines Projekts, so dass du als Person nicht zu sehr in den Fokus geraten würdest?

HO Ich habe mir schon ein paar Optionen angeschaut. Es gibt ja bereits viele Künstler, die mit verschiedenen Elementen versuchen, von sich selber abzulenken. Vieles davon sagt mir auch zu. Aber ich möchte mich eigentlich nicht hinter physischen Strukturen verstecken. Zumal dies auch immer an zusätzliche Anforderungen an die Clubs und Räumlichkeiten gebunden ist. Wenn du dann in der Ausführung deiner Show eingeschränkt bist, ist das auf eine andere Art genauso unangenehm.

SS Anonymität hat ja eine spannende Geschichte in der Sub- und Popkultur. Auch jetzt wieder mit der Anonymous-Bewegung. Ist dies eine Referenz?

HO Ich habe mich seit jeher für diese Idee interessiert. Natürlich ist mir auch bewusst, dass es schon früher Künstler und DJs gab, die mit einem ähnlichen Image gespielt haben. Auf weitere Symbolik verzichte ich jedoch bewusst. Ich komme ursprünglich eher aus einem literarischen Umfeld, Musik kam erst später. Meine Herangehensweise war immer an ein Gesamtkonzept gebunden. Nicht aber an einen Kontext mit bestimmten Bewegungen oder Ähnlichem. Meine Musik vertritt kein Statement wie beispielsweise jene von Underground Resistance.

SS Auch wenn deine Musik nicht über ein Statement verfügt, so vermittelt sie doch eine Stimmung, einen Gefühlszustand. Magst du erklären, woher diese Stimmung kommt?

HO Gewissermassen ist meine Musik eine Möglichkeit für mich, mit unangenehmen Gefühlen, Trauer oder Unsicherheit umzugehen. Ich denke schon, dass da ein therapeutischer Nutzen vorhanden ist. Aber ich habe sehr strikte Vorstellungen, wie Holy Other zu klingen hat. Also muss ich dabei fokussiert bleiben um dem Konzept zu entsprechen. Es gibt Zeiten, da gibt mir das Musikmachen auf persönlicher Ebene zwar viel, aber das Endresultat ist nutzlos. In solchen Fällen bleibe ich hart. Ich habe meine Vision und weiss, welche Musik dafür geeignet ist und welche nicht. Gewisse Skizzen oder fertige Tracks kann ich später vielleicht trotzdem verwenden. Holy Other darf sich schliesslich auch entwickeln. Aber diese Entwicklung muss für die Hörerschaft nachvollziehbar sein.

SS Wie gehst du vor, wenn du neue Musik produzierst? Hast du einen Songtitel und baust anhand dessen einen Track?

HO Das ist unterschiedlich. In der Regel habe ich am Anfang entweder ein Wort – also einen möglichen Namen für das Stück – oder aber eine Gesangslinie. Aber es geschieht auch oft, dass das Endprodukt mit der ursprünglichen Idee nicht mehr viel am Hut hat.

SS Die von dir erwähnten Gesangslinien sind ja durchaus so etwas wie dein Markenzeichen. Ich mag die Tatsache, dass du die Stimme eher als eingebettetes Instrument verwendest. Auch deshalb, weil du dadurch die Textzeilen de facto unkenntlich machst. Könntest du dir vorstellen, die Texte zu erklären respektive verständlicher erklingen zu lassen?

HO Nein, das kann ich mir nicht wirklich vorstellen. Es würde die Songs selber mitunter in einem anderen Kontext aufzeigen, daran habe ich aber kein grosses Interesse. Ich weiss nicht… ich mag es nicht wirklich, wenn die Musik erklärt oder re-interpretiert wird. Deshalb habe ich manchmal auch meine liebe Mühe mit Remixes. Versteh mich nicht falsch, es gibt auch Remixes von meinen eigenen Songs, die ich sehr mag. Aber das sind diejenigen, die eine gewisse Radikalität aufweisen oder eben von Musikern stammen, von welchen ich ohnehin schon positiv voreingenommen bin.

SS Du hast ja verhältnismässig spät angefangen, Musik zu produzieren. Wenn man dich so hört, scheint es jedoch, als ob du dir sehr konkrete Gedanken gemacht hättest und früh wusstest, wie du vorzugehen hast…

HO Ja, es war irgendwie von Anfang an klar für mich, wie die Musik zu klingen hat. Angefangen habe ich eigentlich aus purer Neugierde. Ich lebte damals in Berlin und entsprechend waren viele meiner Freunde Musiker respektive DJs. Ich habe dann angefangen, Songs die ich mag mit Gratisprogrammen zu editieren. Das war die Initialzündung. Der erste selbstgeschriebene Song war dann auch schon «We Over».

Holy Other

SS War das nicht ziemlich schwierig ohne entsprechendes Know How?

HO Wie gesagt, ich hatte eine Idee, wie der Output zu klingen hat, noch bevor ich angefangen habe zu produzieren. Es ist auch nicht so, dass ich meinen Sound finden musste. Zu dem Zeitpunkt hörte ich eine Menge DJ Screw Sachen, irgendwann dann wollte mir die Idee nicht mehr aus dem Kopf, Chopped and Screwed House Music zu machen. Und dann ging’s los. Bei bereits bestehender Musik habe ich mich früher oft dabei ertappt, wie ich genau wusste, wie ich sie produziert hätte, wo ich eine zusätzliche Gesangslinie eingefügt und das Tempo verändert hätte. So gesehen, auch wenn ich noch nicht lange Musik mache, haben sich die Ideen in meinem Kopf schon länger angehäuft.

SS Mir scheint, dass du ziemlich viel unterwegs bist, auch mit anderen Acts als Tour-Support. Ist dieses Unterwegs-Sein etwas, das dir Freude bereitet oder ist das mehr einfach ein Teil des Musikmachens, den du als solchen akzeptierst und hinnimmst?

HO Ich geniesse das Touren, wenn alles gut läuft. Logischerweise ist das nicht immer der Fall. Lange Fahrten über mehrere Tage oder Wochen gefallen mir am meisten. Gerade wenn man mit mehreren Leuten unterwegs ist, kommt man irgendwann in diesen Rhythmus. Es entsteht ein… ich weiss nicht, wie ich dem sagen soll… eine Art von Groove oder Tour-Attitüde unter einander, das mochte ich bis anhin sehr. Ohne Live-Auftritte wäre es zudem noch schwieriger von der Musik leben zu können, aber ich betrachte diesen Aspekt trotzdem nicht als Müssen, sondern freue mich auch immer wieder darauf.

SS Gibt es neben Touring weitere anstehende Projekte für Holy Other?

HO Vollends konkret ist nichts geplant. Es gibt jedoch ein paar Dinge, die mich interessieren würden. Ich würde gerne einmal Musik für einen Film machen. Das wäre der Wahnsinn. Jedoch habe ich bei solchen intermedialen Zusammenarbeiten ziemlich hohe Anforderungen und Erwartungen an die Künstler… Aber ja, das würde ich gerne mal machen. Schliesslich war das immer auch die Vorgehensweise von mir. Sachen zu machen, die ich noch nie ausprobiert habe. Das war ja auch die Initialzündung für Holy Other.

SS Vielen Dank für das Gespräch.