05.06.2020 von Arci Friede

Keep It Real – Die Lektion des Robert Owens

In der House-Musik ist Robert Owens was Farinelli im barocken Opernbetrieb war: Die Stimme der Stimmen. Owens spielt im Dezember 2011 im (heute geschlossenen) Club Bonsoir in Bern. Im Rahmen dieses Auftritts wurde der Künstler interviewt und es entstand folgender Text für zweikommasieben #3. 

In über zehn Jahren als Veranstalter, Clubbetreiber und Betreuer sind mir viele Künstlerinnen begegnet. Selten sind aus diesen Begegnungen Freundschaften erwachsen, und wenn doch, dann haben sie kaum je gehalten. Dabei war meine Erwartungshaltung diesbezüglich gross, als ich in dieses Business eingestiegen bin. Damals, als es noch kein Geschäft für mich war, freute ich mich über jede neue Bekanntschaft. Naiv bin ich der Idee gefolgt, Künstler seien von Natur aus interessant und die Nähe zu ihnen berauschend. Inzwischen weiss ich es besser; inzwischen halte ich professionelle Distanz oder versuche – wenn die Situation mir einen Wink gibt – zum menschlichen Kern einer Künstlerin vorzudringen. Das ist in vielen Fällen nicht minder enttäuschend, kann vereinzelt aber in kleinen Sternstunden kulminieren – wie zuletzt mit Robert Owens.

In der House-Musik ist Robert Owens was Farinelli im barocken Opernbetrieb war: Die Stimme der Stimmen. Im Gegensatz zum apulischen Kastraten, der im 18. Jahrhundert so etwas wie die Lady Gaga seiner Zeit war und um dessen Dienste die mächtigen europäischen Königshäuser buhlten, ist Owens ein Mann der Basis geblieben. Er lebt in London, weil Chicago nur noch eine Legende ist. Und Legenden interessieren den 51-Jährigen nicht. Dass seine Kollegen aus den Gründertagen ihre übertriebenen Gagenvorstellungen mit ihrem musikhistorischen Beitrag rechtfertigen, findet er lächerlich. «Ein DJ ist im Heute nicht besser, weil er vor 25 Jahren im Warehouse oder in der Paradise Garage aufgelegt hat». Nach der Single I’ll Be Your Friend, welche 1992 für mehrere Wochen die US Dance Charts anführte, hätte er seine Karriere auf dem damaligen Höhepunkt auch «einfach über die Runden verwalten» können. Fortschritt heisst für ihn aber als Mensch vorwärts kommen, auch wenn das bedeutet sich als Künstler neu erfinden oder gar von vorne anfangen zu müssen. 

Sein demütiges Wesen täuscht beinahe über die ergreifende Tatsache hinweg, dass dieser Mann zu den Zündbrennern eines Musikgenres gehört, dessen Flamme in den vergangenen dreissig Jahren um die Welt getragen wurde. Heute ist House ein industriell organisierter Flächenbrand, angeheizt vom irrerweise sympathisch anmutenden David Guetta. Er und sein geschniegeltes Heer von Nachahmungstätern hinterlassen zur Zeit so viel verbrannte Erde, dass es nicht wundern kann, wenn die nachkommende Generation – gemäss auch dem Gesetz, dass auf jeden Trend ein Gegentrend folgen muss – neuen Boden sucht. Den Vorwurf des Ausverkaufs muss sich der mehrfache Hitparadenstürmer auch von Robert Owens gefallen lassen. Owens war nahe mit Guetta, hat 1994 dessen Debüt-Single Up And Away mitgeschrieben und eingesungen und ist auch schon bei ihm privat abgestiegen, wenn er ein Engagement in Paris hatte. «Guetta ist ein netter und interessierter Mensch, er hat es allerdings verpasst etwas zurückzugeben – mit seinem Einfluss könnte er vieles bewegen». 

Erst wenn man seine Vita aufrollt und in Bezug zur frühen House-Kultur stellt, wird klar, was Robert Owens bei Guetta vermisst. 1961 kommt Owens in Ohio zur Welt. Seine Kindheit ist ein Staffellauf durch die Verwandtschaft. Er wächst dort auf, wo man gerade Platz für ihn hat. Als Jugendlicher lebt er bei einer Tante in Los Angeles und singt dort im Chor der Gemeindekirche. Owens entdeckt seine Spiritualität, die heuchlerische Doppelmoral der Kirche stellt er jedoch zunehmend in Frage. Im frühen Erwachsenenalter zieht es ihn nach Chicago. Mit ihrer progressiven Radiolandschaft – das Radio ist damals noch das einflussreichte Musikmedium – zieht die Metropole am Michigansee junge Menschen aus dem ganzen Land an; junge Menschen, die im Mainstream-Amerika der 1980er Jahre an den Rand gedrängt werden – weil sie schwarz, hispanisch oder schwul sind. An den Partys im Warehouse, der offiziellen Geburtsstätte der House-Musik, spielten Herkunft, Hautfarbe und die sexuelle Identität keine Rolle. Es war eine «church for people who have fallen from grace» (eine Kirche für jene, die in Ungnade gefallen waren), wie es Owens’ Weggefährte Frankie Knuckles einst poetisch formulierte. Die von der frühen House-Gemeinde gefeierten Botschaften von Liebe, Toleranz und Fröhlichkeit führe Guetta mit seinem effektvollen Hollywood-House jetzt ad absurdum. 

 «Doch schlussendlich soll jeder tun, was er für richtig hält. Hauptsache er ist im Reinen mit sich selbst». Mit dieser scheinbar abgeschmackten Bemerkung beendet Owens fast jede seiner Geschichten von früher – auch die über Guetta. Seine Gelassenheit und Toleranz kauft man ihm dabei ab. Denn Owens spricht und gestikuliert nicht wie einer, der mahnen oder bekehren will. Mit seiner Glatze und seinem geblähten Wohlstandsbäuchlein gleicht er einem schwarzen Buddha. Mit der Ruhe eines jenen teilt er seine Erfahrungen ohne Urteile zu sprechen. Er fragt nicht, hört aber zu. Er meldet sich nicht von selbst, antwortet aber stets freundlich. Er sagt «der Weg ist das Ziel» und trägt Tank-Tops mit floralen Mustern; er tanzt Vogue auf der Bühne und trinkt Vodka Red Bull beim Auflegen. Art Department findet er so lala. Der Typ ist einfach real – am Boden geblieben. Und darin besteht wohl seine wertvollste Lektion für die Umwelt.

https://robertowenscompost.bandcamp.com/

 

Text Archi Friede 

Illustration Amadeus Waltenspühl 

Beitragsbild via Robert Owens Facebook-Profil 

 

Dieses Interview erschien 2012 zuerst in zweikommasieben #3. Der Upload auf unsere Website ist nicht zuletzt eine unserer Reaktionen auf die Proteste gegen Rassismus, die in der USA (und an anderen Orten) stattfinden, und dieses Problem in der Arbeit der Polizei sowie in der Gesellschaft allgemein anprangern. Wir möchten mit dem Upload von Interviews wie diesem einerseits den Beitrag von schwarzen Künstlerinnen und Musikern im Rahmen der Kultur betonen, die wir mit zweikommasieben seit einigen Jahren nun dokumentieren. Anderseits möchten wir auch dazu aufrufen, Institutionen und Organisationen zu unterstützen, die an diesen Protesten und den damit verbundenen Zielen beteiligt sind. Während es diverse Unterstützungsmöglichkeiten hierfür gibt (siehe etwa hier oder hier spezifisch für die Schweiz), möchten wir an dieser Stelle auf das Southern Poverty Law Center hinweisen und zu einer Spende ermutigen: https://donate.splcenter.org/