25.11.2018 von DeForrest Brown, Jr.

Eartheater – Identität, das über ein Selbst gefaltete Ego

Die in Queens, New York beheimatete Künstlerin Alexandra Drewchin tritt unter dem Pseudonym Eartheater auf – ein betörender Begriff für die letztlich nicht zu beherrschenden Gefühle in uns allen. Exzess, Verschwendung und Erfahrungen des Überflusses sind die zentralen Themen ihres Debüts auf PAN, IRISIRI. Ihre dritte Veröffentlichung verabschiedet sich etwas von der Ästhetik der beiden Vorgänger. Nicht länger werden finden sich im Neuling nur noch als Spuren. Über eine letztgültige Schlüssigkeit hinweg dekontextualisiert das neue Album Dinge, an die man sich vielleicht gerade noch knapp erinnert.

DeForrest Brown, Jr. von zweikommasieben hat Drewchin diesen Sommer in New York getroffen, um mir ihr über das neue Album, ganz grosse Gefühle und die Möglichkeiten von Poesie unter den Bedingungen des Kapitalismus zu sprechen.

DeForrest Brown, Jr. Mir scheint, dass du schon eine ganze Weile lang in New York auftrittst und arbeitest. Wie lange lebst du denn schon hier?

Alexandra Drewchin Seit zehn Jahren ungefähr, aber es gab immer wieder Zeiten, in denen ich mich ausgeklinkt habe, in unterschiedlichen Szenen unterwegs oder weg war…

DBJ Es gab schon einige verschiedene Gruppen, Zirkel und Szenen in den letzten Jahren in New York… Deine letzten beiden Veröffentlichungen, Metalepsis und RIP Chrysalis [beide auf Hausu Mountain, 2015] würde ich jetzt auch nicht unbedingt denjenigen Sounds zuordnen, die Brooklyn geprägt haben. Sie haben beide eine ganz eigene Klangsprache.

AD Es überrascht mich eigentlich, dass es überhaupt so etwas wie eine Richtung gibt, die sich durch meine Arbeiten zieht. Oft habe ich nämlich das Gefühl, dass ich all diese widersprüchlichen und gegensätzlichen Impulse verhandle. Ich mag es, wenn eine brutale Schwere sich an sinnlichen oder eher zarten Klängen reibt. Das kreiert einen sehr detailreichen und manischen Raum innerhalb der Songs – genau so gut kann es aber auch in die völlige Rücksichtslosigkeit führen. Ich liebe Hardcore als Inspiration – aber ich stehe auch total auf klassische Musik.

DBJ In deinem Pressetext findet sich das Wort «rücksichtslos» gleich neben dem Wort romantisch. Das fand ich wirklich lustig… Eine rücksichtslos romantische Musik! Vielleicht macht es tatsächlich total Sinn, das zu verbinden. Aber es ist echt zum Schiessen!

AD Ja, definitiv! Das Ganze hat schon hysterische Momente. Ich habe viel über Romantik nachgedacht und dabei gemerkt, dass ich in meinen späten Zwanzigern zur chronischen Romantikerin geworden bin. Ich schmiede auch kaum Pläne. Ich kann nicht mit Geld umgehen und gehe kaum strategisch vor – wahrscheinlich weil ich mit einem Minimum auskomme und das Romantische in allem finden kann. Die Leute sagen dann immer: «Mann, ist die verplant…»

DBJ Aber nur so kommt man doch durch den Kapitalismus. Man hat die Besitzverhältnisse und die jeweiligen Erfahrungen zu respektieren.

AD Oh Gott! Also wirklich: Gott sei Dank! Andernfalls wäre ich Teil dieser ganzen Roboterarmee… [lacht]. Ich bin nicht abgebrüht genug um das ganze Spiel mitzumachen… Auf der Platte gibt es diese schrägen lyrischen Motive, die ich eingestreut habe. Wahrscheinlich fällt einem das dann erst bei mehrmaligem Hören auf, aber ich sage zum Beispiel ein paar Mal «body a non-profit». Und damit meine ich, dass ich nur das nehme, was ich zum Überleben brauche. Und das ist eigentlich antikapitalistisch…

DBJ Ja, ein Anerkennen der kapitalistischen Zwänge…

AD Es gibt diesen Zwang mit Exzess, den ich wirklich unterdrückerisch finde. Oft finde ich mich nämlich von Selbstzweifeln befallen, weil ich keinerlei finanzielle Sicherheiten vorweisen kann.

DBJ Die englische Sprache, wie sie in den USA benutzt wird, überlässt vieles der Vorstellungskraft – es gibt einen Exzess von Worten, die nicht benutzt oder verstanden werden. Vor kurzem habe ich mich mit einem Freund über die chinesische Sprache unterhalten und darüber, wie diese Sprache in mehreren Dimensionen funktioniert, wie sie ein Becken voller Information kreiert, in das man seine mentale Hand tauchen kann. Englisch dagegen funktioniert völlig linear – wie das ABC. Im Zusammenhang mit der Ära der Aufklärung und dem kantianischen Denken bleibt da jede Menge zu wünschen übrig in Bezug auf den Zustand der Welt ausserhalb des eigenen Kopfes.

AD Wir tendieren dazu, Worte einfach so zu gebrauchen – und das kann einem ganz schön wütend machen. Ich fühle mich teilweise auf Zuschreibungen limitiert, die einfach dem Trend folgen. Ich habe angefangen, die Begriffe Poesie oder Gedicht im abstrakten Sinn zu benutzen, als ich darüber nachgedacht habe, wie viel ungeschriebene Poesie eigentlich noch herumschwirrt und dass ich es nie schaffen werde, alles davon zu artikulieren. Das hat mich von einer gewissen Frustration in Bezug auf meine Arbeit befreit, weil ich nicht länger alles bereits verstanden haben muss. Es ist okay – ich kann damit warten. Ich nenne das die Poesie des Wartens auf Bedeutung. Das ist ein Gedicht.

DBJ Alfred North Whitehead hat über die Intuition geschrieben und darüber, dass man sich dem Prozessieren von Realitäten und Möglichkeiten hingeben kann. Und dass es sich dabei um einen poetischen Prozess handelt: Poesie ist was man prozessiert.

AD Schön, dass du hier Intuition erwähnst – weil für mich ist die Intuition ein zentrales Moment. Sie kann einem in rücksichtslose Gefilde führen, in denen man die ganze Trendkultur wirklich herausfordert. Ich weiss zum Beispiel sehr wohl, dass es wahrscheinlich ziemlich dreist ist, all diese scheinbar unmittelbar gefälligen Tracks zu benutzen, die auf einem schon etwas rückständigen Stil von Beats basieren. Vielleicht bin ich diesbezüglich eine Masochistin, aber ich wusste sehr genau, dass dies als «uncool» gelten würde.

DBJ Darüber habe ich auf dem Weg auch nachgedacht. Ich weiss nicht mehr, welcher Track auf dem Album es war – ich meine denjenigen, mit diesem Half-Time Trap Teil, wo du quasi augenzwinkernd sehr schnell über den Beat murmelst [in Anlehnung an die «Mumble-Rap» genannte Variation des Trap aus Atlanta]

AD Der Track, der lyrisch am dichtesten ist, geht über das basalste Instrumental – und das war glaube ich eine wichtige Entscheidung. Obwohl ich jetzt bei PAN bin – inklusive Publikum, das sich sozial schon sehr vertraut ist – würde ich gerne mit Bill nochmals sprechen, um das Ganze noch weiter zu treiben… Und sich über das Album auch etwas lustig zu machen. Weil eigentlich ist es eine der ganz wenigen Veröffentlichungen im PAN-Katalog (ausser etwa dem Yves Tumor Album), die Texte beinhaltet…

DBJ Die einzige andere Person, die mir da noch in den Sinn kommt ist Steven Warwick [siehe zweikommasieben #13], mit dem ich für Elevator to Mezzanine zusammenarbeite… Er hat diesen Fluxus-artigen Zugang zu Texten, eine Art von kybernetische Poesie; er zerreisst wie Burroughs bereits geschriebene Zeilen und fügt sie dann wieder zu einem Thema zusammen.

AD Das liebe ich – und ich mache das auch. Es wäre toll, mal mit ihm darüber zu sprechen. Auf gewisse Art und Weise habe ich das Gefühl, dass ich manchmal wie ein Troll bin – obwohl das zu antagonistisch klingt. Wenn ich Sounds auswähle, die schon ein bisschen veraltet sind und ich gleichzeitig mit einem neuen, frischen Stil spiele, dann ist der Informationsaustausch exponentiell höher. Das führt dazu, dass sich die Trends noch schneller wandeln. Gibt es einen Punkt, an dem das mooresche Gesetz auch auf die Trendkultur anwendbar wird? Wann erreichen wir den Punkt, an dem alles zusammenbricht? Ich weiss es nicht – aber ich mag es sehr, damit herumzuspielen. Und oft denke ich daran, was ich denn gerne gehört hätte, als ich ein Teenager war und Musikerin werden wollte.

DBJ Die Pubertät und die damit verbundenen Unsicherheiten sind schon etwas lustiges… Und irgendwie greift man auf die gleichen, intensive Emotionen seiner Teenagerzeit zurück, wenn man 27 und pleite ist…

AD Absolut! Genau danach habe ich mich eigentlich gesehnt. Ich bin völlig in diese Teenie-Unsicherheit zurückgefallen… Vielleicht weil ich gerade eine Post-Quarter-Life-Crisis habe… Dadurch habe ich begonnen, über die Fluidität von Alter nachzudenken – und über den Hang zum Extremen, auch in der Liebe. Ich mag es schon, an die Grenzen dessen zu gehen, was für mich körperlich möglich ist.

DBJ Ja, bei deinen Live-Performances wechselst du zwischen Kopf- und Bruststimme und bewegst dich dabei rückwärts… Das wird dann sehr schnell sehr körperlich.

AD Ja, absolut – superphysisch. Ich benutze diese Kopfstimme mit sehr viel Spannung – und das ist tatsächlich ziemlich schwierig und abhängig von meinem emotionalen Zustand. Wenn ich auch nur ein bisschen nervös bin, dann funktioniert es nicht. Ich muss sehr ruhig sein, weil ich dafür einen langsamen Herzschlag brauche.

DBJ Das klingt etwas nach einer Art von Hysterie, wie sie einem auch im Alltag befallen kann.

AD Genau, weil immer wenn der Adrenalinspiegel steigt, benötigt man mehr Sauerstoff und man muss mehr atmen – und das Herz muss dabei möglichst langsam schlagen, damit man nicht noch mehr Sauerstoff braucht. Ich werde wohl wirklich zur Diva werden müssen, will ich die Songs auf IRISIRI live performen. Wahrscheinlich muss ich einen auf Mariah Carey machen und mich im Rollstuhl auf die Bühne fahren lassen oder so was. [lacht]

DBJ Ich liebe Mariah Carey…

AD Ich auch! Ist doch egal, ob es schwierig ist, mit ihr zusammenzuarbeiten.

DBJ Sie hat hart gearbeitet – und es damit auch verdient, auf die Bühne getragen zu werden. Nur schon ihre Präsenz ist eine Performance.

AD Stimmbänder sind so empfindlich und sensibel. Ich wünschte, ich hätte eine Art Routine… Ich sollte meine Stimme viel mehr schonen, mehr Übungen machen. Es wäre vielleicht schön, eher die sanfte Seite meiner Musik zu stärken, weil ich immer so krass rein gehe. Ich habe diesbezüglich Impulse, denen ich folge – vielleicht, weil es oft sehr befriedigend ist. Ich habe schon diesen Exzess von Emotionen und physischer Energie. Ich habe einen starken, einen grossen Körper. Der Körper ist natürlich – aber wenn man einer Öffentlichkeit ausgesetzt wird, dann muss man dem institutionellen Schema einer richtigen, femininen Form folgen. Ich habe eine Tendenz dazu, meine feminine Sexualität zu überspitzen anstatt sie zu neutralisieren. Das meine ich mit «body non-profit».