24.03.2015 von Remo Bitzi, José Luis Báez

Tim Hecker – Ein Hauch Dunkelheit

Seine Musik kann bei Leuten genauso gut Endorphin-Schübe wie Depressionen auslösen. Trotzdem ist Tim Heckers monumentales Album Ravedeath, 1972 kein Instrument, das zum willkürlichen Spiel mit den Gefühlen seiner Hörer dienen soll, sondern gleicht eher einer Studie. Die bei Kranky erschienene LP erforscht abstrakte Klangwelten und erzählt vom Tod der Musik im digitalen Zeitalter.

Beginnend beim Cover, welches eine Gruppe MIT-Studenten zeigt, die im Begriff sind ein Klavier vom Dach eines Gebäudes zu stossen, ist das Album mit diversen historischen Referenzen gespickt. Vor seinem Konzert im Südpol nahm sich der kanadische Geräuschealchimist Zeit für ein Gespräch.

 

Remo Bitzi Hi. Könntest du dich bitte kurz vorstellen?

Tim Hecker Mein Name ist Tim Hecker und ich komme aus Kanada. Ich mache Musik und bin momentan auf Tour.

RB Wann hast du angefangen Musik zu machen?

TH Daran kann ich mich nicht wirklich erinnern; Musik war irgendwie immer da. Schon als Kind habe ich alles gespielt, was ich finden konnte: Klavier, Ukulele, Trompete,. Vor etwa 15 Jahren habe ich dann angefangen elektronische Musik zu produzieren.

RB Gab es dafür einen bestimmten Grund?

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TH Einerseits weil dies meiner damaligen musikalischen Orientierung entsprach, aber anderseits auch weil Band-Projekte ständig scheiterten. Ich konnte mich nicht wirklich auf andere Bandmitglieder verlassen; deshalb begann ich irgendwann mit Samplern und Drum Machines zu experimentieren.

RB Was hast du zu der Zeit gehört?

TH Alles Mögliche, von Philip Glass bis Independent und Noise Rock – halt was ein Zweiundzwanzigjähriger damals hörte.

RB Was sind deine Inspirationsquellen?

TH Ich lasse mich gerne von Dingen inspirieren, die mit keinen Assoziationen vorbelastet sind. Solche Quellen bieten direkteren Zugang zu physischen Zuständen beispielsweise. Es ist also nicht so, dass ich eine Bergkette sehe, den Himmel anstarre oder mich in Einsamkeit stürze und dann davon inspiriert Musik komponiere. Es ist eher ein Impuls, der von tief drinnen kommt und irgendwie raus muss.

RB Dein letztes Album wurde von unzähligen Magazinen und Blogs besprochen. Den Medien zufolge verbirgt sich hinter Ravedeath, 1972 eine vielschichtige Abhandlung über den Tod der Musik in unserer Zeit. Was war zuerst da, die Musik an sich oder das Konzept?

TH Die Musik. Journalisten und auch Hörer überschätzen die Konzepte hinter meinen Platten oft. Ich mache keine Konzeptalben per se. Mir geht es in erster Linie immer um den Sound als pures Phänomen, darum arbeite ich normalerweise auf abstrakter, konzeptfreier Ebene. Vorstellungen die ich verfolge sind eher ästhetischer Natur: Leichtigkeit, Raum, Spannung, Kraft, Wucht. Erst ganz am Schluss des Aufnahmeprozesses verweben sich diese vagen Ideen mit einem Konzept – im Falle von Ravedeath, 1972 war das nun die Zerstörung der Musik.

RB Würde das Album auch ohne Konzept funktionieren?

TH Sag du es mir! Könntest du die Musik geniessen, ohne etwas über den Künstler und die Arbeit zu wissen? Wärst du davon genauso fasziniert? Würde es dich trotzdem zum Nachdenken anregen?

RB Schwer zu sagen. Persönlich finde ich meistens über eine bestimmte Ästhetik Zugang zu Werken. Manchmal geschieht dies aber auch über Humor, Intelligenz oder Überwältigung. Zugang erlange ich aber quasi nie bloss über das Konzept…

TH In meinen Augen haben gute Arbeiten immer beides, also eine anziehende Erscheinung und ein tiefgründiges Konzept. Bringt man solche Werke in einen gewissen Zusammenhang, kann man sie plötzlich nicht mehr so einfach einordnen und dadurch entsteht eine enigmatische Tiefe. Konzeptionelle Arbeiten gewinnen an Wert, weil sie dich zum Nachdenken bringen.

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RB Wie sollen deiner Meinung nach die Leute Zugang zu deiner Musik finden?

TH Ich würde niemandem vorschreiben wollen, wie meine Musik zu hören ist. Eigentlich will ich das genaue Gegenteil: Keinen Kontext, keine Bedingungen. Denn mich interessieren die verschiedenen Ansätze in denen meine Musik gehört wird. Ich hätte niemals gedacht, dass eine Yoga-Lehrerin dasselbe Album für ihren Unterricht verwendet, das einem Typen der Heavy Metal hört als profunde Inspirationsquelle dient.

RB Beim Anhören von Ravedeath, 1972 gingen mir immer wieder drei Wörter durch den Kopf. Das erste ist Sehnsucht. Handelt die Musik von etwas, wonach du verlangst?

TH Ich glaube nicht. Ich war ziemlich glücklich, als ich das Album aufgenommen habe. Soviel ich weiss, hat es mir an nichts gefehlt. Zumindest wollte ich mit der Platte keinen biografischen Mangel an was auch immer reflektieren. Psychoanalytiker fänden aber bestimmt etwas, das es zu erforschen und verstehen gäbe.

RB Das zweite Wort ist Dunkelheit…

TH Findest du, dass meine Musik archetypisch dunkel ist?

RB Archetypisch dunkel?

TH Also ein überwältigendes musikalisches Gegenteil von Licht?

RB Nein. Es gibt bloss einige Passagen, die meinem Verständnis von Dunkelheit entsprechen. Gleichzeitig finde ich aber auch, dass es auf dem Album viele heitere, von Licht durchflutete Momente gibt.

TH Gut, denn ich will nicht monochromatisch brutale Musik produzieren.

RB Zu den dunkeln Stellen: Machst du diese absichtlich düster, oder ist das etwas, das einfach passiert?

TH Wir wissen von der Neuro-Wissenschaft, welche Akkorde die höchsten emotionalen Resonanzen erzeugen. Es wäre nun einfach, diese paar Knöpfe zu drücken. Ich aber versuche Musik zu machen, die mich herausfordert und berührt. Meistens entstehen dadurch Sachen, die vage sind, die man nicht eindeutig als düster oder fröhlich kategorisieren kann.

RB Worauf ich hinaus will, ist eine Passage in Ingeborg Bachmanns Malina. Die Erzählerin arbeitet an einem Roman, und als ihr Freund Notizen dazu entdeckt, stellt er sie zur Rede: «Dieses Elend auf den Markt tragen, es noch vermehren auf der Welt, das ist doch widerlich, alle diese Bücher sind widerwärtig. Was ist denn das für eine Obsession, mit dieser Finsternis, alles ist immer traurig und die machen es noch trauriger in diesen Folianten.» Dem gegenwärtigen Witch House-Zirkus, vielen Dubstep-Exponenten, aber auch einigen Ambient- und Drone-Künstlern könnte man den selben Vorwurf machen. Wie siehst du das?

TH Ich mache meine Musik hauptsächlich für mich selber. Sie soll mich auf intellektueller, psychischer und spiritueller Ebene befriedigen. Dass ich dadurch aber auch andere Menschen erreiche, ist mir klar. Schlussendlich stelle ich jedoch keine Pharmazeutika für irgendwelche Hausfrauen in Australien her. Wer auf der Suche nach einfältigen, leeren Formen von Glück ist, der soll American Idol oder sonst irgendeinen Scheiss für Hirntote konsumieren!

RB Würdest du sagen, dass relevante Kunst einen gewissen Grad an Düsterkeit braucht?

TH Ich weiss nicht… Meine persönlichen Lieblingsarbeiten haben alle einen Hauch Dunkelheit. Es gibt jedoch grossartige Werke, die extrem leicht sind und nicht auf den Mechanismen der Schwerfälligkeit basieren. Pop Art ist ein gutes Beispiel. Jeff Koons‘ Arbeit würde ich nicht als düster bezeichnen – ausser man interpretiert riesige, silberne, aufblasbare Hasen als gruslig.

RB Das dritte Wort, das ich mit Ravedeath, 1972 in Verbindung bringe, ist Sakralität. Inwiefern beeinflusst dich Kirchenmusik?

TH Kirchen haben eine Wirkung auf mich, genauso wie abstruse, sakrale Musik. Wie das genau passiert und was dieser Einfluss auslöst, kann ich aber nicht sagen.

RB Wenn ich sehe, wie Leute zu Konzerten und in Clubs pilgern, offensichtlich auf der Suche nach etwas (um es mit Terre Thaemlitz‘ Worten auf DJ Sprinkles’ Midtown 120 Blues zu sagen) Hyperspezifischem und wie Musiker hinter Altar-ähnlichen Tischen stehen und das Publikum zu beschwören scheinen, dann kann ich eine gewisse Analogie zur Religion nicht übersehen…

TH Gerhard Richter schrieb in den Sechzigern in sein Tagebuch, dass Künstler die neuen Priester wären. Ich glaube nicht wirklich daran. Aber was du sagst, hat etwas, das auch in Richters Aussage widerspiegelt wird. In unserer von Sinnlosigkeit geprägten Gesellschaft mag Kunst tatsächlich eine spirituelle Aufgabe haben.

RB Findest du, dass du als Musiker eine gewisse Verantwortung für das Seelenwohl der Menschen trägst?

TH Verantwortung gewissermassen ja; aber eher für jemanden, der viel Aufwand betreibt um eines meiner Konzerte zu sehen. Da geht es wohl eher darum, den Erwartungen gerecht zu werden und einen guten Job zu machen, als um einer spirituellen Verantwortung nachzukommen.

RB Ich denke oft über den Unterschied zwischen Musik und Lärm nach. Paradoxerweise wird ja auch gewisse Musik als Noise gelabelt. Wo ziehst du persönlich die Grenze?

TH Die Diskussion über die Grenze zwischen Musik und Lärm geht bis ins 19. Jahrhundert zurück. Der deutsche Physiker Hermann von Helmholtz versuchte bereits damals Musik anhand von harmonischen Obertönen und Klangfarben zu definieren. Dissonanzen, also alles was nicht seiner Definition von Musik entspricht, sind Helmholtz zufolge Lärm. Seine Untersuchungen haben eine semantische Debatte über diese Thematik ausgelöst, welche noch immer anhält; persönlich bin ich aber nicht daran interessiert eine Position zu beziehen. Als Folge dessen versuche ich keine Trennlinie zu ziehen und zwischen diesen beiden Polen, also in der Übergangsphase zwischen Musik und Lärm, zu arbeiten.

RB Du warst bereits einige Male mit Ben Frost auf der Bühne und ihr arbeitet gerade an einer Kollaboration…

TH Ja, so in etwa. Wir arbeiten aber an nichts konkretem.

RB …neulich sagte er in einem Interview: «Ich verstehe nicht, warum ich den Leuten vorgeben sollte, wie meine Musik aussieht. Ich würde sie so der Möglichkeit berauben, eigene Bilder zu produzieren.» Ich nehme an, als Folge dessen nutzt er keine Visuals an seinen Konzerten…

TH Es ist nicht so, dass Bens Konzerte keine visuellen Aspekte hätten. Einerseits ist da seine Präsenz, anderseits setzt er ein kleines Licht ein.

TH …du spielst momentan auch im Dunkeln. Machst du dies aus ähnlichen Beweggründen?

TH Für Künstler, die ihrem Publikum ein Erlebnis auf verschiedenen sinnlichen Ebenen bieten wollen, funktioniert Video ganz gut. Aber für mich ist die Ablehnung von Visuals, also Dunkelheit, momentan die beste Lösung. Die Dunkelheit erschwert das Sehen von Gestik und Mimik, aber auch den Manövern des Performers und wirkt darum als ein Verstärker des Hörorgans. Dadurch kann der Zuschauer sich voll und ganz auf den akustischen Output konzentrieren und endlich aufhören sich ständig zu fragen, was der Typ auf der Bühne tut.

RB Das erinnert irgendwie an Moodymann, der Gerüchten zufolge eine Zeit lang hinter einem Vorhang spielte… Wie auch immer, das war’s. Vielen Dank für deine Zeit. Wir sehen uns wohl gleich im Club.

TH Du wirst mich nicht sehen. Nur hören.

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