The Body Feels Light And Wants To Fly — Ein Gespräch mit Cyclobe

Cyclobe geniessen Kultstatus. Die Gründe dafür sind nicht zuletzt auch in ihrer vergangenen künstlerischen Schaffenszeit zu suchen. Stephen Thrower war bereits in den frühen Achtziger Jahren Teil der Gruppe Coil, bei der er bis in die Neunziger hinein involviert war. Über Coil entstand dann auch der Kontakt zu seinem Lebens- und Musikpartner Ossian Brown. Auch dieser war Mitmusiker der Band Coil, jedoch zu einem späteren Zeitpunkt.

Seit 1999 sind die beiden nun unter dem Namen Cyclobe musikalisch aktiv. Die Live-Umsetzung dieses Projekts ist ein nahezu spirituelles Erlebnis: Insgesamt sechs Leute stehen auf der Bühne, gespielt wird auf Instrumenten wie der Drehleier, Bodhran Trommeln oder dem Dudelsack; visuelle Unterstützung gibt es unter anderem durch filmische Werke des englischen Regisseurs David Larcher.

Am diesjährigen CTM Festival waren Cyclobe mit einem ihrer seltenen Live-Auftritte zu Gast – es ist gerade mal ihr vierter. Doch Cyclobe scheint sich ohnehin der gängigen Definition von Zeit zu verwehren. Dies zumindest lässt das Gespräch der beiden mit Samuel Savenberg am Tag nach dem Konzert vermuten.

Stephen Thrower Wie war eigentlich der Klang im Raum? Wir hatten ein eher spezielles Monitor-Setting auf der Bühne, womit wir nicht vollends zufrieden waren. Deswegen fiel es uns schwer einzuschätzen, wie es im Saal klang… Naja, ich muss mich wohl gedulden, bis ich mir die Aufnahmen unseres Mischers anhören kann.

Samuel Savenberg Ich fand es toll. Bei einem solch grossen und aussergewöhnlichen Instrumentarium fiel es mir jedoch schwer, die einzelnen Instrumente auseinander­zuhalten. Aber es war eine äusserst eindrückliche Wall of Sound.

Ossian Brown Musikinstrumente wie beispielsweise die Drehleier sind bei uns auch schwer herauszuhören. Wir versuchen diese eher unauffällig im Klangbild einzubetten. Von dem her war das in gewisser Hinsicht schon auch bewusst. Beim gestrigen Konzert kam aber noch dazu, dass wir ein Lautstärke-Limit vorgesehen hatten.

ST Das hat es für uns nicht gerade einfach gemacht. Wir waren mit den flächigen Sounds zuweilen schon am oberen Limit und dann hätte ich noch mit lauten zusätzlichen Schlägen und Klängen über die ganzen Flächen reindonnern wollen [lacht]… Und naja, das hat man dann eben nicht mehr so genau gehört. Aber es scheint im Publikum ja gut funktioniert zu haben. Das freut mich.

CyclobeBühne

OB Es ist schon witzig: Wir haben bis anhin ja nicht wahnsinnig oft live gespielt: Vier Konzerte alles in allem. Wobei es erst das dritte mit einer sechsköpfigen Band ist. Irgendwie wurde alles grösser.

ST Und komplizierter.

OB Wir und die Mitmusiker spielen ja auch alle mehrere Instrumente.

ST Bis zu fünf verschiedene um genau zu sein. Der Soundcheck dauert bei uns in der Regel immer etwas länger. Bis überhaupt mal alle Instrumente einen Klang erzeugt haben…

OB …ist der Soundcheck in der Regel schon durch! Obschon wir dann noch gute vier weitere Stunden gebrauchen könnten [lacht]. Wir sind bestimmt nicht die einfachste Band in dieser Hinsicht.

SS Das war also das vierte Konzert in knapp 15 Jahren?

ST Ja, wobei wir bis 2006 oder 2007 überhaupt nie aufgetreten sind.

OB Wir haben es auch nie wirklich in Erwägung gezogen.

ST Cyclobe fand immer zuhause im gemeinsamen Studio statt. Das heisst, wir hatten wahnsinnige technische Möglichkeiten. Wir konnten die Stücke schichtenweise mit Details versehen und mussten uns auch nie Gedanken zu einer allfälligen Bühnenumsetzung machen. Es gab schlicht keine Grenzen. Wenn wir also ein spezifisches Instrument verwenden wollten, suchten wir nach dem Instrument und einer Person, die dieses spielen konnte. Oder wir bastelten einfach mit Field-Recordings so lange herum, bis sie irgendwie nach dem klangen, was wir uns vorgestellt hatten. Dies dann mit einer Gruppe Menschen zusammen für die Bühne umzusetzen, hat uns ein wenig abgeschreckt. Denn man fängt als erstes damit an, die einzelnen Stücke bis auf die Knochen zu reduzieren. «Das können wir nicht machen, das ebenfalls nicht, hier fehlt uns das entsprechende Instrument.» Und so weiter. Wenn man dann sozusagen beim Skelett der Komposition angekommen ist, macht das auch gar nicht mehr so viel Spass. Erst seit kurzem und mit der aktuellen Live-Band hat sich dies verändert. Im Sinne von: «Ah, Moment, das funktioniert ja doch!» Endlich haben wir genug Leute auf der Bühne. Und die verstehen auch, was wir zu machen versuchen.

OB Unsere Band besteht aus guten Freunden. Wir vertrauen ihnen.

ST Wobei das die Entwicklung auch nicht gerade schneller vorantrieb. Es ist ja nicht so, dass wir nicht genügend Session- oder Studio-Musiker kennen würden. Die sind dann aber nicht unbedingt die besten Freunde – man kennt sich über gemeinsame Bekannte oder frühere Projekte. Wir hätten uns auch einfach mit einer solchen Situation abfinden und schon wesentlich früher live auftreten können. Aber wir wollten eben richtige Freunde dabei haben. Das kann dauern.

OB Vielleicht ist es auch wichtig zu erwähnen, dass Cyclobe lange Zeit einfach unser Projekt war. Eine sehr intime, persönliche Sache, die Teil unserer Beziehung ist.

SS Hat das Zusammenspielen mit anderen Personen die Produktionsweise verändert?

ST Sicherlich haben wir neue, weitere Optionen. Wir können schon früher mit der konkreten Umsetzung anfangen indem wir sagen: «Das hier spielen wir ab Band, dieser Teil hier wird von Soundso live gespielt.»

OB Es bestehen verschiedene Möglichkeiten, die aber auf eine festgelegte Anzahl Personen verteilt werden müssen. Manchmal hätte ich gerne noch ein paar Leute mehr auf der Bühne. Es gibt Situationen, in denen man einfach noch eine weitere Person gebrauchen könnte, die mal eben kurz auf die Bühne kommt, irgendwo draufschlägt und dann wieder verschwindet.

Cyclobe3

ST Ich könnte noch eine dritte Hand gebrauchen. Die wäre für gewisse Keyboard-Sachen ganz praktisch.

OB Aber um auf die Frage zurückzukommen: Wir ha-ben auch ältere Stücke mit den neuen Musikern umgeschrieben.

ST Wir haben auch angefangen, während den Proben für die Konzerte neue Sachen auszuprobieren – als Band und nicht mehr nur zu zweit. Eine Beobachtung, die ich dabei gemacht habe, ist, dass wir gerade ruhige Parts oft ergänzt haben. Wenn man dann also einen Teil hat, wo man vielleicht gar nicht gebraucht wird, fängt man plötzlich an, dazu zu improvisieren. Das ist wohl immer so, wenn mehrere Leute zusammen in einem Raum Musik machen. Dadurch entstehen viele neue und interessante Dinge.

SS Aber ist das denn nicht eigenartig für euch? Gerade in Bezug darauf, dass Cyclobe anfänglich ja ein sehr persönliches Projekt von euch beiden war?

OB Es ist eine komplett neue Situation für uns, klar. Doch das ist es ohnehin. Wir sind urplötzlich unter Menschen! [Gelächter] Aber in aller Ehrlichkeit: Es ist eine äusserst motivierende Angelegenheit, eine direkte Antwort auf sein Schaffen zu bekommen. Von Mitmusikern und vom Publikum.

SS Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass der Hauptgrund für euer seltenes Auftreten vor allem auf die Umsetzung zurückzuführen ist? Das würde man ja nicht unbedingt vermuten, wenn man sich anschaut, wo und in welchen Rahmen ihr bisher gespielt habt… Oder seid ihr trotzdem sehr wählerisch, was die Konzertzusagen anbelangt?

OB Nach dem ersten Konzert hätte ich nicht gedacht, dass wir je wieder vor Publikum spielen würden. Da gab es dann ja auch eine längere Pause von fast sieben Jahren, bis die nächsten Konzerte folgten.

ST Die Zeit geht für uns irgendwie zu schnell vorbei. Leute kommen zu uns und meinen, dass wir so unregelmässig aufträten. Ich bin dann immer etwas irritiert, weil mir das gar nicht so vorkommt. Ein Grund dafür mag sicher auch sein, dass wir nun mal zu zweit sind. Wir [zeigt auf Ossian und sich] sind Cyclobe. Und beide müssen einverstanden sein. Nun ist die Zwei ja eine gerade Zahl, das heisst mit demokratischen Entscheiden kommt man zuweilen nicht sehr weit. Gleichzeitig will man ja die andere Person auch nicht einfach immer überreden.

OB Und ich habe halt immer wieder diese Episoden von…

ST …zähneknirschender Frustration.

OB Tja.

SS Wie geht ihr bei der Auswahl der Filmsequenzen vor? Ihr habt ja verschiedenes Material, welches von unterschiedlichen, auch namhaften Filmemacherinnen und Filmemachern stammt.

OB Gewisse Elemente waren eigentlich von Anfang an gesetzt. So benutzen wir beispielsweise vereinzelte Filmsequenzen aus David Larchers Film Mare’s Tail.

ST David ist ein wahnsinnig unterschätztes Genie im englischen Film – insbesondere in England selber. An David haftete immer schon einen etwas berüchtigten Ruf. Er ist ein radikaler Purist, ein Film-Purist sozusagen. So wollte er seine Filme nicht auf DVD veröffentlichen, weil ihm das Format unangebracht für Film erschien – eben ein kompromissloser Künstler. Wir waren selber überrascht, aber wir haben uns schnell sehr gut mit ihm verstanden. Anfänglich trauten wir uns noch nicht einmal ihn anzufragen. Einer der genaue Vorstellungen hat, wie ein Film präsentiert werden soll. Da überlegt man sich zwei Mal, ob man Teile seiner Filme – gar aus dem Kontext gerissen – während eines Konzertes im Hintergrund laufen lassen kann. Aber wir haben uns dann getraut ihn zu fragen. David war sehr höflich und meinte, das sei doch gar kein Problem: «Macht was ihr wollt!».

OB Er hat in den Sechziger Jahren auch schon mit Pink Floyd zusammengearbeitet. Also hatte er bereits Erfahrung in dem Bereich. Das Visuelle ist uns jedenfalls enorm wichtig.

ST Unsere Musik ist auch nicht gerade dazu geeignet, um wild auf der Bühne herumzurennen. Mal abgesehen davon, dass wir anhand des Instrumentariums ohnehin einen eingeschränkten Bewegungsradius haben. Aber irgendetwas Visuelles will man ja trotzdem bieten. Auf der anderen Seite gibt es momentan fast schon mehr Konzerte mit Visuals als ohne. Und ich glaube, Besucherinnen und Besucher unserer Shows finden auch die Instrumentation spannend zu betrachten. Wir versuchen, das so gut es geht in der Waage zu halten.

OB Ich persönlich finde auch nicht, dass wir von den Filmen abhängig sind. Ich mag die Idee, mal komplett ohne Film zu arbeiten, gerade weil Visuals heute ja ohnehin gang und gäbe sind.

SS Es schien alles sehr gut miteinander zu funktionieren. Eine kompakte Angelegenheit, wobei sich Film und Ton sehr gut ergänzt haben. Es war eben nicht einfach nur ein Konzert mit einer Band vorne und der Leinwand im Rücken.

ST Wichtig ist dabei immer auch Intuition. Wenn man versucht Bewegung und Ton einander anzupassen, muss man sehr darauf achten, wie man vorgeht. Wird es zu synchron, wird es meist ohnehin langweilig. Und dann wirkt das wie die Art von Theaterproduktion mit schlechten Soundeffekten. Wir probieren einfach sehr viel aus und gehen dabei sehr experimentierfreudig und spontan an die Sache heran. Das kann dauern, denn es ist definitiv ein Trial-and-Error Prozess.

Klang an sich hat keine Aussage, aber gerade deswegen kann er bei den Menschen so viel Verschiedenes bewirken. Ossian Brown

OB Letzten Endes ist eine Performance für mich dann erfolgreich, wenn wir es hinbekommen, unser Schaffen mit Emotionen aufzuladen und damit eine Atmosphäre zu kreieren, die die Wahr- nehmung von dem, was darum herum passiert, verändern kann.

ST Das ist ja etwas vom besten an der Kunstform Musik. Alles passiert so schnell. Man kann die Stimmung in einem Raum innert kürzester Zeit beeinflussen.

OB Klang an sich hat keine Aussage, aber gerade deswegen kann er bei den Menschen so viel Verschiedenes bewirken.

ST Besonders bei instrumenteller Musik funktioniert dies, weil diese nicht von Sprache beeinträchtigt wird. Das heisst, die Leute hören die Musik und nur die Musik.

OB Es bleibt einem nichts anderes übrig, als die Musik aufzusaugen. Natürlich besteht danach die Möglichkeit, alles bis ins Unermessliche zu intellektualisieren. Aber kaum im ersten Moment.

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ST Das ist auch der Grund dafür, warum schlechte Musik so schmerzvoll sein kann. Man geht einkaufen und wird non-stop mit Musik beschallt, die man nicht mag. Und man kann dem nicht entkommen.

OB Auch bei guter Musik. Ich höre ehrlich gesagt nicht sehr gerne Musik nebenbei.

SS Wenn wir schon von Musik an sich sprechen: Habt ihr euch eigentlich Konzerte angeschaut hier an der CTM?

ST Leider nein. Das ist wohl so eine Sache mit Festivals dieser Art. Es besteht ein riesiges Angebot an interessanten Dingen. Gleichzeitig ist man als Performer aber selber zeitlich gebunden.

OB Man will sich eben auch auf seine Sache, also das Konzert, konzentrieren. Aber ich möchte an dieser Stelle doch noch erwähnen, dass es uns sehr gefreut hat, den Abend zusammen mit Lichens zu spielen. Wir mögen seine Kunst und sehen auch viele Ähnlichkeiten in Sachen Herangehensweise und «Spirit». Sehr transzendental und intensiv.

SS Ich stelle diese Frage unter anderem auch deswegen, weil das Festival mit dem diesjährigen Thema «Dis-Continuity» einen gewissen Vibe hat. Es findet eine Auseinandersetzung mit und über Technologie und ihren Auswirkungen statt – die momentan auch andernorts passiert. «Post-Digital» ist eines der dazugehörigen Schlagwörter. Cyclobe – wie auch Lichens – scheinen da gar nicht so recht reinzupassen, was in meinen Augen eine wohltuende Abwechslung ist…

ST Ich tue mich ein bisschen schwer mit dieser Entwicklung. Ich informiere mich auch vereinzelt über jene Themen und es gibt immer wieder Ansichten oder Künstlerinnen und Künstler, die ich spannend finde. Unbeachtet dessen, finde ich es jedoch fraglich, wenn zuerst ein Manifest geschrieben werden muss, damit man danach erst Kunst machen darf.

OB Ich möchte jetzt nicht unbedingt die Rolle des Kulturpessimisten übernehmen, aber manchmal denke ich schon, dass es schade ist, wie besessen die Leute von der Zukunft und dem Neuen sind.

ST Eine Sache, die immer wieder in verschiedenen Kunst-Bewegungen passiert: Sobald man die Grenzen und Abgründe geortet hat, rennt man erst mal geradeaus auf diese los. Ich kann den Reiz davon sehr wohl verstehen. Nicht so ganz nachvollziehen kann ich aber, wenn nur noch nach diesen Grenzen, Tabus und so weiter gesucht wird. Wenn also keine Auseinandersetzung mit dem bereits Vorhandenen mehr stattfindet, weil es von Anfang an schon als alter Hut deklariert wird. Das ist der Kreativität nicht sehr förderlich. Ich meine, nur weil Marcel Duchamp in den Zwanziger Jahren ein Pissoir in eine Kunstgalerie gestellt hat, war moderne Kunst danach ja nicht einfach abgeschlossen.

SS Bands wie Coil, bei der ihr beide zeitweise Mitglieder wart, aber auch andere Projekte aus dem Industrial Umfeld Englands hatten etwas sehr Radikales an sich. Das hatte auch eine provokative Wirkung. Ich wäre jetzt davon ausgegangen, dass da das Thema von Grenz-Auslotung durchaus auch eine Rolle spielte?

OB Klar ging es da auch um Tabu-Bruch und Grenzen. Aber es ging nie darum, die Vergangenheit zu ignorieren. Und ich glaube, die Leute unterschätzten bei Coil oft auch die humoristische Seite – und die Tatsache, dass wir oft einfach nur ausprobiert haben, wonach uns gerade war. Da war auch viel weniger Konzept oder Manifest dahinter, als oft gemutmasst wurde und wird. Mit Cyclobe das Selbe: Wir suchen nach den geeigneten Möglichkeiten, um zu erreichen, was uns angemessen für dieses Cyclobe-Monster erscheint. Ganz einfach.

SS Interessant ist ja, dass es trotzdem viele jüngere Produzentinnen und Produzenten sowie Musikerinnen und Musiker gibt, die sich genau auf diese Szene – eure Szene, wenn man so will – beziehen. Und gleichzeitig vertreten diese oft einen radikalen Anspruch und stehen dem allgemeinen Retro-Kitsch eher kritisch gegenüber. Bekommt ihr das eigentlich mit, wenn neue Acts sich auf Coil, Nurse With Wound oder Throbbing Gristle beziehen? Interessiert euch dies überhaupt?

OB Ich habe keine Ahnung [lacht]… Ich lese eben auch nie über Musik.

ST Ich kann mich gerade an niemanden erinnern, den ich in letzter Zeit getroffen habe, der mir eröffnet hätte, wie er sich von Coil hätte inspirieren lassen.

OB Ich bin da wohl zu wenig interessiert. Wir kommen schlicht nicht in Kontakt mit diesen Produzenten – wenn es sie denn gibt. Aber es ist schön zu hören, dass man irgendwie auf eine Art und Weise eine andere Person inspirieren konnte.

SS Woher holt ihr denn eure Inspiration?

ST Ehrlich? Ich gehe ins Musikstudio, setze mich an ein x-beliebiges Instrument und fange an zu spielen und… [schnippt mit dem Finger]

OB Meine Herangehensweise: Ich packe mir die Drehleier und fange an zu spielen.

ST Ich sitze dann bei uns zu Hause in der unteren Etage und höre Ossian spielen. Im nächsten Moment renne ich schreiend die Treppe hoch: «Das ist gut! Spiel das nochmals! Aufnehmen!» [Gelächter] Ich weiss, es gibt da verschiede- ne Ansichten, aber es ist doch ein bisschen so: Man kann warten und warten, zig Theorien durchlesen, in der Hoffnung mit Methode zum gewünschten Resultat zu kommen. Das mag funktionieren, aber der einfachste Weg scheint mir nach wie vor der offensichtlichste: Einfach spielen; auch wenn das in der heutigen Zeit sehr banal wirken mag. Ich habe dann auch immer wieder ganz schreckliche Ideen, schlimme Tonabfolgen. Ossian kommt dann schreiend rein und meint, ich solle endlich aufhören.

Ich sitze dann bei uns zu Hause in der unteren Etage und höre Ossian spielen. Im nächsten Moment renne ich schreiend die Treppe hoch: «Das ist gut! Spiel das nochmals! Aufnehmen!» Steven Thrower

OB Also wenn man dann morgens um vier aufwacht… wegen diesem schrecklichem Lärm… [Lacht]

ST Ich spar mir das alles auf für ein Nebenprojekt.

OB Wir befinden uns in einer Situation, in der wir an verschiedenen Projekten und Stücken über lange, lange Zeitspannen arbeiten. Für das nächste Album haben wir ein, zwei Stücke, die in ihrer ursprünglichen Form knapp sieben Jahre alt sind. Die wurden mit der Zeit immer wieder auseinandergenommen, ergänzt, gekürzt… Irgendwann hat man dann etwas komplett Neues. Vielleicht sind es dann vier einzelne Stücke anstatt eines einzigen. Wir gelangen immer wieder an den Punkt, wo wir nicht recht wissen, wo wir überhaupt hin wollen und wie wir weiterfahren sollen. Aber wir gehen in solchen Situationen keine Kompromisse ein. Und wir haben keinen zeitlichen Druck. Dann lassen wir es eben ruhen, bis wir das entscheidende kleine Detail finden, das die Komposition vollendet. Das ist uns lieber, als auf Zeit zu arbeiten und Musik zu veröffentlichen, die in unseren Augen nicht komplett ist.

ST Das ist nun mal die Art und Weise, wie wir arbeiten. Wir mussten auch schon mit Deadlines arbeiten. Das ist bis zu einem gewissen Grad sinnvoll. Aber es ist auch sehr frustrierend, wenn man seine Kreativität derart trimmen muss. Wenn man seine künstlerischen Entscheidungen anhand einer tickenden Uhr machen muss, beinhaltet das viel gegenseitiges Anbrüllen und zuknallende Türen.