27.02.2016 von Kevin Goonewardena

Más que un DJ – Lena Willikens im Portrait

DJ, Produzentin, Radiohost. Weltweit unterwegs und nicht nur auf Cómeme zu Hause. Soweit ein Teil der Fakten. Die Wahlkölnerin Lena Willikens liesse sich so beschreiben, einordnen, würde ein Bild beim Leser entstehen lassen – kein falsches, aber ein unvollständiges. Um sie greifen zu können und um ihr gerecht zu werden, müssen wir mit der Künstlerin, die auch Plattensammlerin, Punk, Grafikdesignerin für Film und Fernsehen und Musikerin in einer Noise-Band war oder ist, in der Zeit zurückgehen. Erste Station: Düsseldorf.
Dass die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt über eine weit zurückreichende Kunst- und Musiktradition verfügt, bedarf hier sicher keiner Erwähnung – fast jeder hat schon einmal vom Ruf der Stadt gehört, die einschlägigen Namen sind weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Auch zwei entscheidende Abschnitte in Lenas Leben haben sich in dieser Stadt abgespielt. Das Studium an der dortigen Kunsthochschule und die Anfänge ihrer Arbeit als DJ.

In der Kunsthalle beheimatet und immer noch als Besuchercafé eben jener fungierend, hat sich der vor zehn Jahren eröffnete Salon des Amateurs längst zu einem Klub von überregionaler Bekanntheit und Bedeutung entwickelt. Lena Willikens, mittlerweile Resident dort, erinnert sich an dessen Anfänge – und ihre eigenen hinter den Plattentellern: «Letztendlich war der Salon für mich der Anlass, es mit dem Auflegen ernster zu nehmen. Vorher hatte ich zwar schon meine Platten zu Kunstakademiepartys geschleppt, hatte aber nie wirklich Interesse daran Beatmixing zu lernen. Ich bin dann einfach ins kalte Wasser gesprungen, obwohl ich nie die Intention hatte, DJ zu werden wie vielleicht manch andere.»

ZWEI JAHRE (ES GEHT VORAN)

Ins kalte Wasser gesprungen sind damals alle. Als der Salon eröffnete, war Lena jedoch noch in Berlin. Dem Wechsel von der Kunsthochschule der Rheinmetropole an die UDK, folgte nach etwa zwei Jahren der Umzug zurück. Die US-amerikanische Bildhauerin und Installationskünstlerin Rita McBride hatte gerade ihre Professur in Düsseldorf angetreten, was Lena zum Anlass nahm an die Kunstakademie zurückzukehren, bewunderte sie die Künstlerin doch sehr.

McBride war nicht nur äusserst engagiert, sondern vor allem «hat [sie] uns auch strategisch was beibringen wollen, wollte uns fit machen für den Kunstmarkt. Die hat immer gesagt: ‹Ihr müsst einfach wissen was ihr tut, ihr müsst euch alles reinziehen, alle Messen angucken, ihr müsst einfach Bescheid wissen, auf was ihr euch da einlasst.› Und das habe ich dann zwei Jahre gemacht. Ich war überall, in Venedig, in Kassel, in Basel. Das war ein richtiger Fulltime Job.» Doch schon während des Studiums wuchs das Gefühl, dass der Kunstbetrieb doch nicht das Ziel sei, allmählich zur Gewissheit heran. Obschon Lena wegen Rita McBride nach Düsseldorf zurückgekehrt war und sich glücklich schätzte von ihr lernen zu können, schlug sie nach dem Abschluss einen anderen Weg ein. «Die Frage, mit der ich mich beschäftigte, war, was würde ich sein wollen, wenn ich mir etwas aussuchen könnte? Ich wollte die Besitzerin des geilsten Klubs sein. Den habe ich dann auch entworfen – als Abschlussarbeit», erzählt Lena und berichtet weiter: «Ich habe das komplette Design gemacht, mir den Namen ausgedacht – Replik hiess der –, das Logo entworfen, einen Teil der Bar in der Akademie aufgebaut. Alles war düster, nebelig und stinkig. Dazu lief Techno, ganz dumpfer Techno. Das hörte sich so an, wie wenn man im Klub auf Toilette ist und die Musik aus dem Raum nebenan durch die Wand hört.» Die Professoren die ihr die Prüfung abnahmen, waren gespalten, verrät Lena. «Zwei waren super begeistert, eine ist rausgegangen mit dem Satz ‹Das geht ja gar nicht, da wird man noch zeugungsunfähig›. Und ich so ‹Yeah, genau das wollte ich›.» Diese Abschlussarbeit stellte für Lena eine Zäsur dar. «Bei der Prüfung habe ich das auch zum Thema gemacht, dass das keine fixe Idee ist, das machen zu wollen, eine Klubbesitzerin zu sein und eben nach dem Abschluss nichts mit Kunst zu tun zu haben.»

6.76667/E 6° 46’ 0“ / 51.2167/N 51° 13’ 0“
— SALON DES AMATEURS

Damals gab es den Salon des Amateurs schon, dessen Eröffnung in Lenas Berliner Zeit fiel. Als sie zurückkam an die Kunstakademie «[…] war das Gröbste schon gemacht. Da standen schon die Schlangen vor dem Salon, um den Laden existierte ein regelrechter Hype. Keiner hat kapiert, was da vor sich ging.» In der im brutalistischen Stil der Fünfziger Jahre errichteten Kunsthalle untergebracht, sollte der Salon eigentlich nur ein Besuchercafé sein – so zumindest hatte es sich der Kunstverein vorgestellt, der Detlef Weinrich [unter anderem von Kreidler und Tolouse Low Trax] und Aron Mehzion ungenutzte Ausstellungsflächen überliess. Die beiden hatten davor einen anderen Laden in Düsseldorf betrieben. Dieser, so Lena, habe den Leuten vom Kunstverein offenbar so gut gefallen, dass man so etwas Ähnliches auch im eigenen Haus haben wollte. «Als ich dort angefangen habe zu arbeiten, hat mich vor allem fasziniert, wie Detlef und Vladimir Ivkovic [Resident im Salon des Amateurs] aufgelegt haben. Ich habe dann zuerst einen Abend unter der Woche gestaltet, dann irgendwann regelmässig einen Freitag. Anfangs habe ich noch überhaupt keine Dance Music aufgelegt, sondern ganz krudes Zeug.» Bis heute ist Lena Willikens nicht «[…] auf ein Genre fixiert. Ich habe mir nie so Gedanken um einen bestimmten Stil gemacht, sondern einfach gespielt, was ich gut fand.» Elektronische Musik war für Lena damals zudem völliges Neuland. «Techno habe ich total verpennt. In meiner Jugend habe ich eigentlich nur Punk, Hardcore und jamaikanische Musik gehört. Weniger Reggea, aber viel Dub. Und die ganz alten Sachen wie Rocksteady fand ich einfach total cool.»
Die Faszination für elektronische Musik entstand dann in Düsseldorf. Mit der dortigen Szene kam Lena Willikens zu Zeiten ihres Studiums in Kontakt. Die Entwicklung des Salons zu der heutigen schwer zu fassenden Mischung aus Café, Ort für Vorträge, Filmvorführungen und eben Klub war zumindest von Seite der Kunsthalle nicht abzusehen – aufhalten liess sie sich freilich nicht. «Der Salon muss auch weiterhin ein Café bleiben, ein Café für die Museumsbesucher, das ist sozusagen die einzige Bedingung. Ansonsten haben die Macher da praktisch alle Freiheiten.» Der Erfolg des Ladens liegt auch im damaligen Zustand der Düsseldorfer Klubszene begründet. Ein solcher Ort wo Kunst und Musik – zwei Disziplinen, die in der Rheinmetropole seit Jahrzehnten eng miteinander verbunden sind – aufeinandertreffen konnten, gab es nicht mehr. Viele unabhängige Läden hatten schliessen müssen und die Zeiten des legendären Ratinger Hof waren damals eh schon längst vorbei.
Lena erzählt von einem illegalen Klub namens Ego, «[…] ein ziemlich legendärer Laden, den aber auch kaum einer kannte». Die richtige Zeit, die Leute, das gewisse Etwas, aber auch Glück – das sind die Faktoren, die den Salon im Allgemeinen entstehen und sich halten liessen, die in der Stadt aber auch neue Impulse freisetzten und bündelten. Mit den schon genannten Weinrich und Ivkovic, Marc Matter und Projekten wie zum Beispiel The Durian Brothers, Stabil Elite, Bar und Wolf Müller, die alle im Salon-Umfeld entstanden sind, seien hier nur einige genannt. «Dadurch, dass sich inzwischen rumgesprochen hat, dass man im Salon legendäre Nächte verbringen kann, kommen auch viele befreundete Musiker und DJs auf uns zu – das ist unser Glück, denn dann spielt Kohle oft keine Rolle mehr.» Die Aussicht auf einen guten Abend mit dem Motto «No bullshit music!» sei da schon wichtiger. Ab und zu arbeitet Lena zudem an Filmprojekten, «vielleicht ein Film im Jahr, wenn’s hochkommt». Mit Credits als Graphic Artist hat sie allerdings wider häufiger Vermutungen nichts mit Plakat- oder dem Coverdesign der DVD-Hülle zu tun, sondern sorgt dafür, dass «[…] im Film zu sehen ist, was es so nicht gibt.» Zum Beispiel musste sie für Only Lovers Left Alive, Jim Jarmuschs jüngster Film, die Drehorte in Nordrein-Westfalen so aussehen lassen, als seien sie in Detroit – wo der Film spielt. «Durch entsprechende Beschilderung und alle möglichen anderen grafisch angefertigten Details, wurde so aus einem leer stehenden Fabrikgebäude ein Detroiter Krankenhaus.» An anderer Stelle sind im Hintergrund Plattencover zu sehen; alle von Lena erdacht, «da die Rechte einzuholen um die Originalen verwenden zu dürfen einfach zu teuer gewesen wäre.»

WAS IST MUSIK

Mittlerweile dreht sich in Lenas Leben fast alles um Musik. Früher war zwar nicht das Gegenteil der Fall, aber Musik wurde von ihr nur konsumiert und nicht gemacht, wie sie erzählt. «Die Kunstszene hat mich etwa zehn Jahre eingenommen. Damit Musik selber zu machen, habe ich erst relativ spät angefangen, Mitte 20 oder so. Vorher habe ich nur Platten gesammelt.» Bei Cómeme hat sie ihre zweite Heimat gefunden, ihre zweite Familie wie sie es nennt – neben der in Düsseldorf. Während sich ihre erste Familie auf den Salon und sein Umfeld konzentriert und dadurch zwangsläufig auch eine räumliche Komponente aufweist, ist die Cómeme-Familie nicht nur internationaler, sondern auch weltweit verstreut – sie konzentriert sich also nicht nur auf Berlin, wo das Label sein Büro hat.
«Dass ich auf einmal Teil von Cómeme war, kam ganz natürlich. Ich hatte anfangs regelmässig mit Christian S und Korkut Elbay Partys in Köln organisiert. Über die beiden habe ich dann auch Matías kennengelernt und wir haben angefangen zusammen auf Cómeme-Partys aufzulegen – wie zum Beispiel in Santiago de Chile, in Paris und natürlich oft in Köln und Düsseldorf. Cómeme ist ein Kollektiv aus Leuten die nicht unbedingt alle Musik machen. Sarah Szesny zum Beispiel, die die wunderbaren Artworks macht, ist Künstlerin und ein genauso wichtiger Teil des Ganzen wie jeder von uns. Als dann Radio Cómeme anfing und ich mit meiner Radio Show Sentimental Flashback von Anfang an dabei war, war es selbstverständlich, dass Cómeme sich immer mehr auch um meine Bookings kümmern würde. Ja, so kam das.» Matías Aguayo, Alejandro Paz, Christian S, Sano und weitere – insgesamt ein Dutzend Künstler, die auf dem Label veröffentlichen oder aus dessen Umfeld stammen –hosten Shows. Doch auch wenn Lena Willikens schon seit Jahren zum Stamm von Cómeme gehört, ist eine Veröffentlichung dort bisher ausgeblieben. Neben ihrer DJ- und Produzententätigkeit, spielt Lena noch in der Noise-Band Titanoboa, macht solo Musik und arbeitet im Kölner Plattenladen a-musik. Lenas Veröffentlichungsübersicht ist bisher aber doch recht überschaubar. Sie weist einen Samplerbeitrag mit Titanoboa [«Ante Sapina» auf Noise of Cologne 2] und einen DJ-Mix auf, viel mehr nicht. Letzterer ist bereits ein paar Jahre alt. Dieser so betitelte «Bubberrand»-Mix ist 2011 als Split-Kassette erschienen. Aufgenommen wurde der Mix auf einer Demo zum Erhalt des AZ Köln. «Die Demo könntest du kennen, die war ziemlich legendär. Ich habe noch nie Leute auf solch schräge Noise-Drone-Musik so abgehen sehen.» Der erste aufgenommene Mix von Lena überhaupt wurde anschliessend auch gleich veröffentlicht, als erster Release des Labels ALARM. «Der, der das Label macht, war damals auch auf der Demo und hatte den Plan ein Kassettenlabel zu gründen. Er hat dann zwei Mixe auf der Demo gehört [der zweite war Jessica Loers’ «Sandale des Amateurs»] und gesagt: ‹So, das wird jetzt mein erster Release›.» Die beiden Stücke erschienen unter der Katalognummer 001. Das Label gibt es heute noch und veröffentlicht mittlerweile auch Vinyl. Lenas erste EP als Produzentin wird Anfang kommenden Jahres auf Cómeme erscheinen, die Arbeit im Studio ist so gut wie abgeschlossen.
Wer Lenas Mixe kennt, weiss, dass man eine reine Danceplatte von ihr nicht erwarten kann. Ihre Arbeitsweise beschreibt Lena als intuitiv. Am Ende derer steht dann oftmals etwas Ungeplantes, nicht aber Ungewolltes. «Ich habe am Anfang zwar auch eine Vorstellung wie ein Track klingen soll, stelle dann aber während der Arbeit daran fest, dass der so ganz anders wird als ich ursprünglich geplant hatte». Korrigierend greift Lena allerdings nicht ein. «Ich muss das dann einfach laufen lassen. Dadurch entstehen ja auch Sachen von einer ganz neuen Qualität, die mir auch gefallen. Wenn ich Platten kaufe, dann freue ich mich immer, wenn die durchwachsen sind – also nicht nur sogenannte klubtaugliche sondern auch ruhigere Stücke drauf haben. Und so wird auch meine EP sein.»