19.05.2015 von Marc Schwegler, Jamal Al Badri

Kollektive Psychologie – Dam Mantle Und Casque Im Interview

Spätestens mit «Not A Word» (We EP, GetMe! 2011), dieser feinsinnigen Mischung aus Juke-Rhythmus, Electronica und verfremdetem Gesang hat sich Tom Marshall alias Dam Mantle endgültig als «One To Watch» empfohlen. Demnächst erscheint auf dem Schweizer Indie-Label Creaked die nächste 7“. Ebenfalls auf Creaked veröffentlichen Gaspard de la Montagne und Eliyah Reichen alias Casque ihr Debüt.

Das auf ihrem Soundcloud-Account bereitgestellte Material sowie ihre ersten Live-Gigs in Schweizer Clubs lassen erahnen, dass von der jungen Combo aus La-Chaux-de-Fonds ebenfalls noch einiges zu erwarten ist. Wir haben Tom und Eliyah von Casque bei einem sonntäglichen Katerfrühstück zum Gespräch getroffen.

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Marc Schwegler Der Hype um Dubstep scheint momentan europaweit ein grosses Thema zu sein. Würdet ihr eure Musik als Dubstep bezeichnen?

Eliyah Reichen Naja, unsere Musik ist ziemlich weit weg von Dubstep. Es war lustig, als wir vor einem Jahr die ersten Tracks fertig hatten, spielte ich sie einem Bekannten von der Jazzschule vor. Es ist der erste Tune jeweils am Anfang des Konzerts – diese HipHop-beeinflusste Geschichte. Am Anfang ist da nur die Percussion. Dann kommt der Bass, der vielleicht ein klein wenig an die typische Dubstep-Bassline erinnert…

Tom Marshall Naja, was diesen «Dubstep-Bass» angeht: Das ist nur ein Oszillator… Ein Filter, der hin und her wechselt. Und das ist etwas, das schon lange vor dem sogenannten Dubstep rege benutzt wurde…

ER Eben! Der Typ meinte so «Yeah, mir gefällt dieser Tune, ich mag Dubstep» und ich finde halt, das hat doch gar nix mit Dubstep zu tun. Es ist lustig, dieser Dubstep-Sound beginnt für mich halt schon mit Jungle etc. Die hatten doch genau diesen Sound bereits, den du jetzt auch im Dubstep findest – halt einfach in Halftime. Aber die Qualität des Sounds war damals schon gleich gut.

TM Ich fühl mich auf jeden Fall mit Dubstep verbunden. Ich würde definitiv nicht die Musik machen, die ich heute mache, wäre ich nicht an den DMZ-Nächten gewesen als ich jünger war. Obwohl ich das was ich heute mache nicht als Dubstep bezeichnen würde, teilt der Sound gewisse Farben, Texturen und rhythmische Strukturen mit Dubstep. Ich mag die Idee von Polyrhytmik: Dinge, die sich in verschiedenen Geschwindigkeiten fortbewegen – über­einander. Und Dubstep und Artverwandtes haben auch jede Menge Leute, die davor gar nichts damit anfangen konnten, zu elektronischer Musik und Clubkultur gebracht. Ich kann mich noch gut an frühere Drum&Bass-Nächte erinnern, die latent immer einen Machismo implizierten, etwas leicht Gewalttätiges hatten. Was aus Dubstep geworden ist – in den Staaten und an anderen Orten – hat inzwischen leider eine ähnliche Konnotation. Aber glücklicherweise hat sich ein Haufen Leute bereits schnell wieder von dem Ganzen verabschiedet und woanders weitergemacht, mit anderen Einflüssen. Denn sobald du alles 5 BPM schneller machst, oder die Snare woanders hinsetzt, hört sich das Ganze an wie etwas aus Chicago oder Südafrika. Und da wird es interessant – da fühl ich mich sehr wohl.

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MS Wenn wir schon in Chicago sind: Bei deinen aktuellen Sachen («Not A Word» z.B.), ist ein Juke-Einfluss zu finden. Kannst du uns etwas darüber erzählen, Tom?

TM Naja – Juke ist eigentlich einfach Rapmusik auf doppelter Geschwindigkeit. Es hat etwas damit zu tun, was ich vorhin gesagt habe: Es gibt diese vorherrschende Uniformität von Dubstep auf 140 BPM und sobald du’s 10 oder 20 BPM hochpitchst tönts halt wie etwas von einem anderen Teil der Welt. Ich bin nicht mit Juke aufgewachsen oder so, habe am ehesten noch eine Zeit lang Ghetto Tech gehört. Das hatte für mich jedoch immer einen schalen Beigeschmack: Die Musik kam von einer so kleinen, hermetischen Szene, zu der wir absolut keinen Bezug hatten – man liest davon nur bei Simon Reynolds… Ich würde meine Musik definitiv nicht als Juke bezeichnen – obwohl ich die Idee mögen würde, wenn jemand meine Sachen mit Juke mischte.

MS Kennst du Shangaan Electro? Wir waren an einem Konzert in der Usine in Genf im Sommer (Nozinja, Tshetsha Boys, Tuiselani & Nkata Mawewe). Auf der Heimfahrt diskutierten wir die Idee, einen Abend mit Leuten aus Chicago und aus Südafrika zu kuratieren – weil Juke und Shangaan ja offensichtlich Ähnlichkeiten aufweisen…

Ja… Ich hab mir die Compilation (Shangaan Electro, Honest Jon 2010) grad als sie rausgekommen ist gekauft und war begeistert davon, wirklich cool. Und noch einmal: Das ist genau das, was ich vorhin zu sagen versuchte: In der gleichen Zeit, wo Mike Paradinas von Planet Mu dieses ganze Zeug aus Chicago importiert (u.A. Bangs & Works, Planet Mu 2010) sind da Sachen aus anderen Regionen weltweit, die eine ähnliche Stimmung haben, sich ähnlich anfühlen. Das ist interessant…

MS Wo seht ihr zukünftige Tendenzen im Bereich der elektronischer Musik und Clubkultur? Und inwiefern sind diese auch für euch persönlich relevant?

ER Ich hoffe, dass sich die Leute für Live-Musik insgesamt begeistern lassen. Ich denke, wir haben in der elektronischen Musik einen Punkt erreicht, an dem es einfach ist live Musik zu machen. Und wenn der Abend gut ist, kann man dabei die Energie, die von der Crowd kommt, wieder zurückgeben. Und darum geht’s ja eigentlich: Wenn da eine gute Crowd ist und die Leute tanzen – wie an einem afrikanischen Dorffest, wo alle Leute gemeinsam an einem Ort feiern und spielen – entsteht viel Energie. Die Leute geben dir als Musiker die Möglichkeit, über dein eigentliches Können hinausgehen, auszubrechen. Und ich hoffe, das Publikum kommt vermehrt nicht einfach in den Club um Techno zu konsumieren und sich vollzudröhnen. Ich wünsche mir, dass man Musik als Kunstform respektiert und sie nicht als willkommenen Lärm im Raum ansieht, weil man seinen Freunden nichts zu erzählen hat.

TM Alles vermischt sich – Produktion, Performance, DJing, Konzert. Auch jemand der sich selbst als DJ bezeichnet, kann mit Ableton, Serato und anderen Tools die Musik live dubben, verändern und performen. Was wir gerade erleben ist die nächste Phase in der Post-Production, im Entwickeln von Musik. Ja, vielleicht programmieren wir im Moment gar die Geschichte der Musik neu… Ja. Aber – was war noch mal die ursprüngliche Frage?

MS Die Zukunft?

TM Ja, die Zukunft liegt vor uns… (Lacht). Zwar: Uns geht bald das Öl aus, also sind wir ziemlich gefickt. Aber wenn wir in einem Jahr noch hier sein sollten, werden die meisten von uns immer noch das gleiche machen: Den Soundtrack zur Zeit und Geschichte.

MS Glaubst du wirklich, die Chance besteht, dass in einem Jahr alles den Bach runtergeht?

TM Vielleicht ist das eine pessimistische Haltung, aber ich denke wirklich, dass wir so im Moment nicht weitermachen können. Und dieses Bewusstsein macht einen bedeutenden Teil meiner Musik aus. Ich weiss nicht wann die Welt zu Ende geht und ob dies auf eine Naturkatastrophe oder das Verschwinden der natürlichen Ressourcen zurückzuführen sein wird. Aber etwas wird, etwas muss passieren: Wir können so nicht weitermachen. So einfach ist das. Ganz abgesehen davon: Das Ende des Kapitalismus haben wir bereits miterlebt, wir haben ihn zusammenstürzen sehen.

MS Vor kurzem hat Douglas Coupland, der Autor von «Generation X», in einem Interview gemeint, wir stünden kurz vor einem Grossereignis. Wir wüssten nicht was es sei, fühlten das Kommende aber mit jeder Membran unseres Körpers. Es mehren sich ja auch mögliche Vorzeichen: Die Unruhen in England oder in einem kleineren Masse in Zürich an den vergangenen Wochenenden und bankrotte Länder und Banken. Ich frage mich dann aber jeweils, ob diese Ereignisse wirklich zusammenhängen und ob sie uns etwas mitteilen wollen… Hat das nicht auch etwas grössenwahnsinniges, dass wir denken, unsere Generation erlebe nun den Wandel, sei auf eine Art «auserwählt»? Hat nicht jede Generation das Gefühl, dass alles demnächst kollabiert?

ER Es ist lustig, ich hatte letzte Nacht nach der Show eine ähnliche Diskussion mit jemandem. Ich habe da schon gemeint, dass ich in Geschichte nicht allzu bewandelt bin. Aber was mir auffällt ist, wie schnell, wie vollgepackt das 20. Jahrhundert war. Man hat das Gefühl, innerhalb eines Jahrhunderts sei so viel passiert wie in den zweitausend Jahren davor, in einer unglaublichen Intensität.

TM Ja, genau – und das sagt mir, dass unser Gefühl eben nicht Grössenwahn oder etwas ähnliches ist. Es ist echt. Die Dinge bewegen sich so schnell. Wir haben nie so schnell so viele Informationen konsumiert, wir haben nie so schnell so viele Ressourcen verbraucht… Über was habt ihr gestern noch gesprochen?

ER Wir sprachen auch über Phasen und Zyklen. Wenn man sich das 20. Jahrhundert anschaut, scheint es abwechslungsweise immer Zeiten gegeben zu haben, in denen die Leute euphorisch gefeiert haben und Zeiten, in denen man den Gürtel enger schnallte, weniger ausging, weniger ausgab. Beispielsweise: Nach dem 1. Weltkrieg in den 1920er Jahren hat man gefeiert, ist in Cabarets gegangen usw. Eine Feierkultur sondergleichen. Und dann mit dem Wirtschaftscrash und Depression hat das in den Dreissigern wieder anders ausgesehen…

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TM Ich denke mir das dann immer als eine kollektive Psychologie, das zusammengefasste Innen- und Gefühlsleben der Gesellschaft. Und die hat durchaus Gemeinsamkeiten mit der persönlich-individuellen Psychologie und Gefühlswelt. Ich meine, wir haben gefeiert gestern, haben viel getrunken und heute fühlen wir uns vielleicht ein bisschen leer, traurig. Und genau das geschieht doch auch auf der Makroebene, gesellschaftlich, global.

ER Ja, genau. Und ich habe eben das Gefühl wir befinden uns am Ende einer euphorischen Phase und sind auf dem Weg in eine Zeit, in der die Zurückhaltung und das Innenleben der Menschheit wieder wichtiger werden. Im Moment flüchten sich die Meisten noch in Oberflächlichkeiten, wie ich aussehe, was ich mach, wie ich rede. Ich glaube und hoffe, dass das weniger wichtig wird in Zukunft und die Leute wieder zurück zu einer Emotionalität finden. Zu einem Bewusst-Sein für das Leben und den Körper.

MS Glaubt ihr – das ist eine Frage, die ich mir persön­lich oft stelle – gesellschaftliche Entwicklungen, grosse Themen, können auch in einem Clubumfeld, ja gar auf dem Dancefloor, reflektiert werden? Ich finde es logisch, dass Kunst die Gesellschaft reflektiert – doch kann das «Club»-Musik auch?

TM Gute Frage. Naja, ich mag es zum Beispiel an Dub-Nächte zu gehen. Da gibt es wirklich diese beinahe rituelle Stimmung. Dub war ursprünglich ja auch als die Erlösung von Baby­lon gedacht. Das hat etwas transzendentales, man flüchtet… Meine Hoffnung ist, dass meine Wahrnehmung von dem wo wir sind, in meiner Musik durchdringt. Darum ist es wohl auch keine leichtverdaulich-fröhliche Dance-Musik. Natürlich soll man sich dazu bewegen können, dazu tanzen können, aber es soll aus einer Vision unserer Zeit herauswachsen, beeinflusst von allem, was uns umgibt. Ob das im kleineren oder grösseren Rahmen spürbar wird, ist nicht entscheidend.

MS Was meinst du, Eliyah?

ER Ich höre viel komplexe oder abstrakte Musik – und so vielleicht auch andere Dinge, also Inhalte, die nicht in den ewig gleichen Bahnen, den gleichen Klischees verlaufen. Die Elemente die mir gefallen, versuche ich dann auch in eine Art Musik einfliessen zu lassen, die für die Leute vielleicht zugänglicher ist. Wenn du in die Clubs gehst wo das grosse Geld verdient wird, hörst du eigentlich nur eine simplifizierte Version von Musik. Natürlich ist das alles immer noch gut produziert – nur ist es halt eine Zusammenfassung.

TM Wir haben doch letzte Nacht noch über den Unterschied von Unterhaltung und Kunst geredet. Entertainment, das einer konsumistischen Logik und Zielsetzung folgt, und Kunst, die hoffentlich zurückgibt und nicht nur nimmt. Spannend wird’s dann, wenn die Felder in einen Austausch geraten, wenn man mit Main­stream-Material arbeitet und es verfremdet. Nur schon wenn man ein R&B-Vocal nimmt und es runterpitcht, geschieht schon einiges. So wird vielleicht auch eine Reflexion von Entertainment ermöglicht.

ER Ja, das stimmt. Die Grenze zwischen Unterhaltung und Kunst ist in der elektronischen Musik langsam aber sicher obsolet, und das ist etwas wundervolles!

MS Genau das liebe ich ja auch an Clams Casino. Dass er diese absolut avantgardistischen Beats programmiert und gleichzeitig schickt er diese Teile an Leute wie Soulja Boy…

TM Ja, Clams Casino ist ein gutes Beispiel.

MS Ja, und manche R&B-Sachen, da hab ich teilweise ein ähnliches Gefühl. Es ist zwar ein unterhaltsames Mainstream-Ding, aber trotzdem hat es eine gewisse Tiefe.

TM Ja, definitiv. Ich meine – nimm bei gewissen Timbaland-Tracks die Vocals raus, dann sind die Beats der Hammer.

MS Eine letzte Frage noch an dich Tom – das Video für «Not A Word»: Von wem ist das?

TM Von einem Freund aus Edinburgh. Eigentlich sollte ich darin vorkommen, aber weil die Zeit drängte, haben wir es etwas anders gelöst als geplant.

MS Ich mag das Video sehr. Es hat hier auch einiges an Reaktionen ausgelöst – die Leute schienen es zu mögen.

TM Hm, ja ist komisch, ich schau mir nicht viele Musikvideos an. Ich finde es auch schwer verständlich, dass sich Leute ganze Musikvideos auf You Tube sogar mehrmals anschauen. Vielleicht liegt’s an mir – ich habe keine sehr lange Aufmerksamkeitsspanne im Internet. Ich mach was ich machen muss und dann schau ich, dass ich so schnell wie möglich wieder rauskomme. Es ist das neue Opium der Massen, das Internet.

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