14.06.2014 von Simian Keiser

Klubgeflüster — Public Possession und die Independent-Logik

Es ist eine der fatalen Falsch-Aussagen über den Vinylmarkt: Das Umsteigen vieler DJs auf digitale Formate habe zur reihenweisen Schliessung von Plattenläden geführt. Falsch deshalb, weil die Vinylverkäufe weltweit eher zu- als abnehmen – nur haben die Orte gewechselt, an denen verkauft wird. Der Handel verlagert sich auf grosse Online-Plattenläden, grosse Online-Plattenmärkte und Grosskaufhäuser wie Virgin in Paris oder Dussmann in Berlin, deren Musikabteilungen längst wieder über eigene Vinylbestände verfügen.

Diese Entwicklung verläuft parallel zu anderen Kunstbranchen. Auch im Buchhandel etwa dominieren längst marktwirtschaftliche Prinzipien. Online-Anbieter und kaufhausähnliche Ketten haben viele lokale Betriebe und Fachbuchhandlungen verdrängt. Kaum ein Verlag ist nicht teil einer riesigen Verlagsgruppe. Das kapitalistische Versprechen jedoch, dass die Nachfrage das Angebot reguliert, ist hier wie dort mitnichten eingelöst: Produziert wird nicht, was die Konsumenten am meisten begehren, sondern was sich auch unter schwierigen Bedingungen am besten verkaufen lässt.

Weil dadurch eine Lücke entstanden ist für all jene, deren Konsumverhalten nicht massentauglich ist, schoss in den letzten Jahren eine ganze Reihe an Independent Labels aus dem Boden. Mit viel Liebe zum Material haben sie bewiesen, dass qualitativ hochwertige Produkte selten dann entstehen, wenn es darum geht, sie möglichst gut zu verkaufen. Besteht das Bedürfnis, ein bestimmtes Produkt so gut wie möglich und eben nicht nur so gut wie nötig herzustellen, entsteht häufig auch eine Nachfrage danach.

Marvin Schuhmann und Valentino Betz aus München haben sich genau diesem Gedanken verschrieben. Als die beiden im März 2013 den Plattenladen Public Possession und das gleichnamige Label gründeten, wurden sie von vielen für verrückt erklärt. Doch sahen sie für sich keine Alternative: «Wir haben die Platten, die wir gesucht haben, in München einfach nicht mehr gefunden und wussten, dass das auch anderen so geht», sagt Valentino. Dann hiess es: «Einfach fuck it.» Und tatsächlich: 80 bis 90 Prozent ihrer Kunden sind Leute, die sich zuvor selten bis nie in den grösseren Plattenläden der Stadt aufgehalten haben. Sie sorgen dafür, dass Public Possession sich keine Sorgen über sein Weiterbestehen machen muss. «Im Moment schaut’s so aus, als fänden’s die Leute gut», sagt Valentino.

Was diese Leute bei Public Possession finden, ist eine Auswahl an Sounds, die sich irgendwo zwischen Wackie’s, Workshop und L.I.E.S. bewegen – Get Physical und Konsorten wird man hier vergeblich suchen. Hinzu kommt, dass Marvin und Valentino eng mit den Musikern und Labelmachern, die sie schätzen, zusammenarbeiten. An Freitag- oder Samstagnachmittagen veranstalten sie regelmässig Instore Sessions, bei denen schon Acts wie Ron Morelli, Hunee oder Echovolt-Macher Ilias Pitsios neben Local-DJs gespielt haben, für deren Platten es im Laden auch eine eigene Abteilung gibt. Danach geht es häufig zur monatlichen Public Possesion-Party im Charlie, Münchens zurzeit tollstem Klub. Dessen Gründer, Benjamin Roeder, ist mit Marvin und Valentino zur Schule gegangen.

Im ersten PP Zine, einem Heft, das zum einjährigen Bestehen des Ladens erschienen ist, beschreiben die Public Possession-Macher ihren Antrieb als «fun of creation» – «let it be a sticker, a handout/flyer, the next vinyl or this zine». Das steht für eine Logik, die sich unaufgeregt davon distanziert, sich immer nur als Konsument zu begreifen und stattdessen selbst zu produzieren, worauf man Bock hat. Das Credo der Independent Labels: «Wenn ihr es nicht macht, machen wir es halt selber» ist auch das von Public Possession. Marvin und Valentino setzen damit fort, was viele Only-Vinyl-Labels in den vergangenen Jahren so reizvoll vermacht haben: mit der Liebe zu gutem Sound auch eine Liebe zu einem guten Gesamtprodukt zu verbinden.

Der Katalog von Public Possessions eigenem Label umfasst mittlerweile fünf Releases, darunter zwei Edits. Leftfield House ist wahrscheinlich die Kategorie, die am ehesten darauf zutrifft und die Nachfrage danach ist hoch. Von der ersten Platte wird mittlerweile schon der dritte Repress erstellt und das auch, weil man sich nicht exklusiv machen will. «Natürlich freut man sich insgeheim, dass die Platte auf Discogs Unmengen kostet», sagt Valentino, «aber letztlich hat niemand was davon, ausser irgendein Typ in Belgien». Es geht darum, das, was man liebt, auch gegen Widerstände allen zugänglich zu machen, die es ebenfalls lieben – ein Gedanke, den Public Possession bereits im Namen trägt.

publicpossession.com