06.04.2016 von Simian Keiser

Klubgeflüster – Outernational

In ihren vielen Versuchen, nicht in einer ewigen Reproduktionsschleife zu landen, greift die elektronische Klubmusik immer häufiger auf Musik aus anderen Kulturkreisen zurück. Besonders beliebt sind Samples und Adaptionen afrikanischer Musik. Sie haben in den letzten Jahren einiges bewegt. Drei Beispiele möchte ich nennen und dann etwas über die Kehrseite des neuen Interesses am sogenannten «Outernational»-Sound sagen.

Im Frühjahr 2013 veröffentlichte Four Tet einen Track, der schon vor seinem Erscheinen ein Hit war. Deshalb auch sein ellenlanger Titel: «The Track I’ve Been Playing That People Keep Asking About And That Joy Used In His RA Mix And Daphni Played On Boiler Room». Mit ihm waren Edits von afrikanischer Musik endgültig im Herz der Klubkultur angekommen. Dass die komplexe Rhythmik und die hypnotisierenden Vocals dieses Sounds eine Bereicherung für jedes Set sind, zeigten nicht nur eine ganze Heerschar an UK-Bass-Artists, die den Track rauf- und runterspielten. Auch die Zahl an Imitationen und Weiterentwicklungen davon reisst bis heute nicht ab.

Ein Jahr zuvor hatte Mark Ernestus mit seinen Ndagga-Releases begonnen. Das Projekt war durch einen Zufall entstanden. Mark hatte bei einem Besuch im Senegal lokale Musiker kennengelernt. Die Serialität des dort populären Mbalax-Sounds begeisterte ihn. Es entstand eine ganze Reihe an Releases, die mit der LP 800% Ndagga abgeschlossen wurde. Nach den legendären Dub-Scheiben auf Burial Mix produzierte nun also auch Mister Vordenker himself afrikanischen Sound, und das hatte einmal mehr Signalwirkung.

Das wahrscheinlich beachtlichste Projekt im Umgang mit afrikanischer Musik ist aber Autonomous Africa. Das britische Label releast im Jahresrhythmus EPs mit Edits, deren Ertrag samt den Erträgen aus Fundraising-Events in London und Glasgow gespendet werden. Bindeglied ist hier Midland. Der umtriebige Produzent wuchs in Tansania auf, seine Eltern leiten dort die «Mtandika Mission», eine Charity-Organisation.

Es mag abwegig erscheinen, diesen Einsatz für afrikanische Musik etwas kritisch zu sehen; sie hat dem Klubsound ohne Zweifel gut getan. Anders sieht es jedoch mit ihrem Einfluss auf die Klubkultur selbst aus. Er geht gleich Null. So ist es kein Zufall, dass Mark Ernestus und Jeri-Jeri bei ihren phänomenalen Konzerten im mittlerweile geschlossenen Kreuzberger Klub Horst vor einem nahezu ausschliesslich weissen Publikum spielten. Besonders in Mitteleuropa sind Klubs für elektronische Musik nach wie vor vor allem Orte einer distinkten, zahlungsfähigen und inländischen Mittelschicht, mit einer häufig rigorosen Türpolitik. Die Einflüsse anderer Kulturkreise sind und bleiben meist musikalischer Natur. Man kann mit Recht von einem kaum reflektierten Exotismus sprechen.

Hier ist bis heute eine grosse Chance verpasst worden. Die Klubkultur gibt sich als Hort der Andersartigkeit, der Liebe und des grossen Miteinanders. In ihrer Begeisterung für Outernational-Sound versteht sie sich als weltoffen. Dabei ignoriert sie, dass – um beim Beispiel zu bleiben – Kulturen aus afrikanischen Ländern längst kein Ausserhalb mehr sind. Afrikanisch-stämmige Musi­ker und ihr Publikum leben bei uns allerorten. Sie sind Teil unserer Gesellschaft; nur in den Klubs bleiben sie aussen vor.

Aber wenn es schon ein so grosses Interesse an der Musik aus anderen Kulturkreisen gibt: Warum agiert die Klublandschaft dann so konservativ, wie viele Politikerinnen und Politiker, von denen sie sich abgrenzt? Was war los, als vor sechs Jahren die grosse Balkanwelle durch die elektronische Musik ging, «Trompeta» der Hit des Sommers war, aber die vielen Zuwanderer aus dem Balkan nicht einen Hauch präsenter waren in den Klubs, wo die Musik gespielt wurde? Warum läuft die Musik, die wir adaptieren, immer nur in Imbissbuden und Taxis? Ich verstehe das nicht.

Statt Outernational-Sound einfach nur zu samplen und sich mit dem Hauch des Exotischen zu geben, wäre es doch viel interessanter, mit den Musikern anderer Kulturkreise zusammenzuarbeiten, die zwei Strassen weiter wohnen. Das wäre nicht nur eine authentischere Begegnung der Musikarten, sondern könnte massgeblich dazu beitragen, die starren Grenzen der Klubkultur aufzuweichen. Die verschiedenen Kulturen würden sich auch im Publikum endlich mal begegnen und es würde nicht immer nur von Integration geschwafelt, wo Assimilation gemeint ist. Erst dann hätten wir die Offenheit in der Klubkultur, von der immer geredet wird.