14.06.2014 von Maximilian Becker

«Heute tragen alle die gleichen Sneakers.» — DJ Fetisch von Terranova im Interview

Terranova besteht seit Mitte der Neunziger in unterschiedlichen Formationen. Einziger Fixpunkt des Projektes ist der Berliner DJ Fetisch. Dieser gilt trotz langen Aufenthalten in London und New York als wichtiger Repräsentant des West-Berlins der Siebziger Jahre. Heute lebt der 52-Jährige zwischen Berlin und Paris, wo auch sein aktueller Output entsteht. Nebenher jettet Fetisch um die Welt und legt in Klubs von Los Angeles bis Tokyo Musik auf.

Maximilian Becker traft Fetisch in Hamburg und Zürich zum Interview. Während der beiden Unterhaltungen erzählt der Berliner von der Gründung Terranovas, von aktuellen Projekten, sowie von seiner Zeit in New York.

Maximilian Becker Was war der Anstoss für dein letztes Album Hotel Amour?

DJ Fetisch Als ich in Paris war, rief mich Michael Meyer von Kompakt an, da er ein Bootleg von mir im Internet gehört hatte. Wir wollten dann den Namen Terranova und das Konzept wieder aufleben lassen. Ich hatte damals auch Lust, wieder etwas mit wechselnden Gästen zu machen, da die anderen Bands, bei denen ich dabei war, aus festen Formationen bestanden. Bis auf &Me gibt es bei Terranova auch keine fixen Mitglieder. Das ist wiederum der Grund, warum wir auf dem aktuellen Album mit vielen Gästen wie etwa Nicolette Krebitz, Kahn, Tomas Høffding [von WhoMadeWho] oder Udo Kier arbeiten konnten.

MB Ich habe den Eindruck, dass einige Terranova-Stücke musikalisch, wie auch lyrisch recht düster sind. Ist das ein Teil der Band-DNA?

DF Ich glaube schon, dass es eine Art Terranova-DNA gibt. Dies können aber Aussenstehende besser beurteilen. Ich denke aber, es liegt in der Natur der Dinge, dass sich Sachen ähneln oder wiederholen, wenn ein bestimmter Kopf oder eine bestimmte Band dahinter steht. Was das Düstere anbelangt, bin ich mir nicht so sicher. Ich würde vielleicht eher melancholisch sagen. Oder leicht depressiv? Kann auch sein.

MB Wie ist der Name Terranova zu verstehen – wolltest du mit dem Projekt, wie es der Name suggeriert, musikalisches Neuland betreten?

DF Ich habe erst die Musik gemacht und dann den Namen gewählt. Das Projekt hiess damals Turntable Terranova und begann mit zwei EPs auf Compost Records aus München. Mitte der Neunziger war in Deutschland alles noch recht uniform. Auf der einen Seite war da Techno und auf der anderen Seite Hip Hop. Wir haben uns damals weder zum einen noch zum anderen zugehörig gefühlt und einfach immer das gespielt, was uns gefallen hat. Dies ist auch sehr gut auf der DJ-Kicks Platte zu hören, die aus der gleichen Zeit stammt.

MB Wenn man sich das Debütalbum Close The Door von 1999 anhört, wo klar Hip Hop zitiert wird, und das mit dem klubtauglichen Hotel Amour von 2012 vergleicht, sind stilistisch recht grosse Unterschiede festzustellen…

DF Finde ich nicht. Es kommen immer Leute, die mir sagen, sie hörten, dass ein Kopf dahinter steht. Ich habe schliesslich zwischen den Hip Hop-lastigen Tracks auch immer wieder House-Platten gemacht. Meine erste Platte war übrigens eine Houseplatte. Die veröffentlichte ich 1989 in England zusammen mit den Stereo MCs. Ich habe mir damals einfach die Freiheit genommen, das zu machen, wonach mir gerade war; Sachen gesampelt, die wieder über andere Dinge gelegt und neu gemixt. So entstand damals der Sound von Close The Door. Ich war in dieser Zeit auch sehr viel in New York und habe den dortigen House gehört, den es in Europa gar nicht in diesem Ausmass gab – wir hatten hier ja nur Acid House und Techno. Aus Deutschland kannte ich auch nur den Sound vom Tresor, der sehr rabiat war und mir damals weniger zusagte. Ich wollte dementsprechend etwas machen, das mehr Arrangements, Gesang, Strukturen und Samples hat, was wiederum zum Teil aus der Hip Hop-Kultur stammt und im Techno nicht stattfand. Ein Einfluss aus jener Zeit war auch der Chicago House, den ich neben Blues, Reggae und Electronica sehr viel gehört habe. Das waren aber auch alles Sachen, die in Berlin und Europa gar nicht liefen.

MB Lass uns über aktuelle Strömungen sprechen!

DF Ich weiss gar nicht, ob es eine aktuelle Strömung gibt. Ich bekomme momentan nichts Neues mit, das für mich aufregend wäre – Techno und House sind ja schliesslich nicht mehr neu. Trotz allem gibt es innerhalb dieser Genres immer wieder grossartige Tracks, die ich regelmässig spiele. Ich würde sogar behaupten, dass ich zu 90 Prozent neue Sachen auflege. Wenn das nicht gegeben wäre und ich nicht immer wieder diese Neuentdeckungen machen würde, hätte ich auch keine Freude mehr am Auflegen. Das ist aber nicht der Fall. Im Gegenteil; die aktuelle Musik hat grossartige Sachen zu bieten und ist aufregend. Trotz allem ist der Zeitgeist für mich auch verwirrend, weswegen ich in einer Art Parallelwelt lebe. Ehrlich gesagt kann ich mir auch kein anderes Leben mehr vorstellen, als in den Klubs und dem Studio.

Terranova

MB Worin liegt denn genau der Unterschied zwischen der Zeit, die du eben beschrieben hast, und heute?

DF Was mir im Unterschied zu früher auffällt, ist, dass die Jahre etwas beliebiger werden. In meinen Augen ist das Jahr 2007 nicht so anders als 2012. Ich brauche zwar im Flugzeug jetzt keine Bordkarte mehr oder kann mehr mit dem Computer machen, was in meinen Augen aber keine Revolution ist. Ich finde, es gab Zeiten, wo die Jahre sowohl an der Musik, als auch in der Mode und der ganzen zugehörigen Ästhetik, ganz klar festzumachen waren, weil einfach sehr viel passierte. Viele Leute werden jetzt sagen, dass es etwas mit der eigenen Jugend zu tun hat, was aber nicht stimmt, da von jener Zeit die heutige noch sehr stark zehrt und davon beeinflusst wird. New York hat sich beispielsweise nicht so stark verändert: Es gibt noch immer Schlangen vor den Klos, in denen dann Drogen genommen werden, pumpende Anlagen, aufgeregte junge Leute – Paradise Garage und Sound Factory oder jetzt die Panorama Bar in Berlin, das liegt alles auf vielen Ebenen nicht so weit auseinander. Ich meine das jetzt nicht unbedingt negativ. Im Gegenteil: Ich finde es toll, weil ich mein Ding weitermachen kann, bis ich umkippe. Ich stehe ja nicht vor einem Scherbenhaufen, weil plötzlich alle Menschen nur noch Zwölftonmusik hören.

MB Erzähl doch noch ein bisschen von deiner Zeit in den Achtzigern in New York!

DF Das ging mit Disco los, dem Studio 54 und dem schwulen Untergrund New Yorks und San Franciscos. Das waren Klubs wie das Fun House, das Mad, das Danceteria, das Roxy und später dann der Tunnel und das Palladium. Ich habe dann zum Glück in London auch noch den Beginn von Acid House und der ganzen Raves miterlebt – den Summer Of Love. Die Mischung aus diesen Bewegungen in New York und später in England ist eigentlich das, was jetzt hier passiert und zu einer Industrie gemacht wurde.

MB Wie war der Vibe damals in den Klubs und wie bist du in die Szene gekommen?

DF Für Leute, die diese Musik hörten oder selber auflegten, waren damals die eben aufgezählten Klubs die wichtigsten in New York. Wenn man einmal mit den Ausrichtern in Kontakt gekommen war oder selbst aufgelegt hatte, wusste man automatisch Bescheid, wo gerade etwas lief. Bezüglich der Stimmung war damals alles sehr frei, was mich natürlich sehr faszinierte. Die Leute haben ohne Tabus und Genre-Konventionen mit Musik, Klängen und Stilrichtungen experimentiert. Das gab dem Ganzen in den Klubs eine extrem grosse Spannbreite. Da waren auch Musiker dabei, die eigentlich nicht so viel Ahnung hatten, aber einen extrem spannenden Sound hinbekamen. Mich hat damals, im Vergleich zur Szene in Deutschland, fasziniert, dass in New York die Trennung von Hip Hop und Techno nicht existierte. Diese Stimmung hat sich natürlich auch sehr auf das Publikum übertragen, oder besser gesagt haben sich die Musik und das Publikum gegenseitig befruchtet. Damals begann ja auch das exzessive Feiern, mit den wilden Disco-Outfits, den Partydrogen, dem schwulen Untergrund und so weiter – Dinge, die wir auch heute noch kennen.

MB In London und New York hast du dann auch Künstler wie die Stereo MCs, Tricky oder Madonna kennengelernt…

DF Das waren ja alles Künstler, die damals noch sehr jung und unbekannt waren. Die hingen in den gleichen Klubs ab und haben auch teilweise vor oder nach mir aufgelegt oder gespielt. Das war nichts Besonderes. Man hing einfach zusammen ab, redete über Musik, die Szene und gemeinsame Freude. Wenn es passte, ging man unter Umständen später auch noch ins Studio. Es gibt sogar noch einen Flyer, da stehe ich drauf mit Madonna als Supporting Act – sie war die Vorgruppe und ich der Mainact. Jean-Michel Basquiat und Andy Warhol waren zu dieser Zeit auch immer unterwegs und gelegentlich in den Klubs anzutreffen. So war das damals in New York.

MB Wie bewertest du diese Bewegungen im Hinblick auf die heutige Zeit?

DF Ich habe manchmal den Eindruck, dass man die Musik im Supermarkt und jene im Klub kaum mehr unterscheiden kann. Es wird alles auf seine kommerzielle Qualität überprüft, ausgereizt und dann verarbeitet. Da sitzen auf der einen Seite Leute mit Herz und Seele, die auf einen hohen Lebensstandard verzichten und denen es um die Sache geht. Auf der anderen Seite sind dann jene Produzenten, die Popmusik herstellen und die Ideen der anderen einfach für ihre Produkte übernehmen. Man kann es teilweise richtig hören, so offensichtlich ist das. Diese Veränderungen finde ich erschütternd. Früher lief zwar auch irgendwelche Fahrstuhlmusik in der Hotelhalle, heute aber wird eine Kompilation von einem DJ aufgelegt oder sogar live abgemischt.

MB Welche Folgen erkennst du aus dieser Veränderung?

DF Man könnte meinen, dass wirklich jeder House-Musik hört. Wenn ich in der Panorama Bar auflege, dann sehe ich tolle Touristen, tolle Einheimische und die feiern einen Abend zusammen und haben eine super Zeit. Genau das Selbe kann ein paar Tage später in England passieren. Ich schaue mich dann jedoch um und sehe wirklich ganz konservative Leute, mit denen man früher nichts zu tun gehabt hätte, die aber zur Musik komplett ausflippen. Was ich sagen will: Ich denke, dass alles gerade sehr gekoppelt ist und die Unterschiede der Codes sehr minimal sind. Die klaren Signale einer Zugehörigkeit fehlen einfach immer mehr. Diese machten einen grossen Teil der Popkultur aus und sind jetzt nicht mehr vorhanden. Damals hatten wir Elvis Presley im goldenen Jackett, die Rolling Stones in Paisley und später den ganzen Disco-Stil. Das ist vorbei. Heute tragen vom Bankangestellten bis zum Skater alle die gleichen Sneaker und hören die gleiche Musik.