«Taste For Darkness» – Raime und Black Rain im Interview

Um die auf Blackest Ever Black erschienene LP mit dem schönen Namen Quarter Turns Over A Living Line gab es schon vor Veröffentlichung Begeisterungstürme. Und der Hype sollte gerechtfertigt sein, wie das Publikum am 9. November 2012 im Südpol Klub Luzern in eher intimer, dafür um so intensiverer Atmosphäre erleben durfte. Produziert wurde das Werk von Joe Andrews und Tom Halstead, besser bekannt als Raime. Neben dem britischen Duo war mit Stuart Argabright aka Black Rain an besagtem Abend ein weiterer Artist des B.E.B. Roosters vertreten. Argabright ist bereits seit Anfang der Achtziger umtriebig in der Industrial-, später auch Techno-Szene unterwegs und veröffentlichte unter anderem auf dem legendären Label Factory Records mit seiner Band Ike Yard ein Album. Zudem wurde der New Yorker von Science-Fiction-Autor William Gibson persönlich auserkoren, den Soundtrack für die nie erschienene Verfilmung seines Buches Neuromancer zu produzieren.

Das klingt nach sehr viel Gesprächsstoff und so setzten sich Marc Schwegler, Samuel Savenberg und Remo Bitzi von zweikommasieben mit den drei Künstlern zusammen. Um die Diskussion weiter zu entfachen (und lenken) wurden in der Runde zudem verschiedene Tracks – wie aus Musikzeitschriften à la Wire, Spex oder Groove bekannt – vorgespielt. Die vorgespielten Stücke wurden dann wiederum in zwei Mixen zusammengestellt. Diese sind hier abrufbar.

 

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1) Raime – «Letting It Run» (EDGR #zweikommasieben, 2012)

zweikommasieben Der erste Song, den wir euch abspielen, ist «Letting it Run», Raimes Beitrag zur heute Abend veröffentlichten Split-10“. Inwiefern beeinflusst das Geschehen rund um das Label euch als Künstler?

Stuart Blackest Ever Black strebt nach einer eigenen und speziellen Ästhetik, die du als Teil des Roosters hoffentlich auch teilst. So kann es denn gewissermassen auch zu stilistischen Überschneidungen oder zu Kollaborationen kommen. Jedoch glaube ich nicht, dass dies für die einzelnen Artists auf B.E.B. eine allzu grosse Rolle spielt. Am Ende des Tages macht jeder einfach sein Ding. Wir haben ja vor dem Interview schon darüber gesprochen, dass gewisse Menschen und nicht zuletzt auch gewisse Zeitepochen miteinander besser funktionieren als andere. «You can never underestimate the public’s taste for darkness», diesen Satz habe ich letztens in einem Magazin gelesen. B.E.B. ist diesbezüglich ein sehr aktuelles Label. Um auf die Frage zurückzukommen: Wenn ich in Europa bin, freue ich mich natürlich, die anderen B.E.B.-Artists zu sehen. Mit den Jungs hier [zeigt auf Joe und Tom] bin ich nun auch schon länger in Kontakt.

Joe Ich interessiere mich sehr für die anderen Releases. Es ist toll, auf diesem Wege neue Musik und nicht zuletzt auch neue Menschen kennenzulernen. B.E.B. hat eine sehr spezifische Ästhetik, die dich als Macher jedoch nicht einengt. Insofern ist es für mich völlig logisch, dass alle Artists irgendwie irgendwas mit dir gemeinsam haben.

Tom Es geht um eine bestimmte Haltung.

 

 

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2) Roly Porter – «Tleilax» (Subtext, 2011)

zweikommasieben Die Musik von Roly Porter hat ja auch gewisse Ähnlichkeiten mit euren Werken, gerade was die transportierte Stimmung betrifft. Wie steht ihr zu seinem Werk? Und würdet ihr behaupten, dass – auch ausserhalb von B.E.B. – sich diesbezüglich eine neue «Szene» am bilden ist?

Joe Auf jeden Fall. Roly, Demdike Stare oder auch The Haxan Cloak sind Künstler, die wir sehr schätzen, mit denen wir teilweise auch schon zusammen aufgetreten sind und deren Konzerte wir besuchen (und vice versa). Es ist schon so, da passiert einiges im Moment. Wie auch immer, jeder macht sein eigenes Ding, es gibt keine Szene oder einen Oberbegriff, wie es vergleichsweise bei Jungle der Fall war.

Stuart Ich kenne Roly nicht persönlich, auch seine Musik ist mir nicht allzu bekannt. Aber ich schätze ganz allgemein die Entwicklung der elektronischen Musik zwischen dem Zeitpunkt, als ich mich selber damit angefangen habe zu beschäftigen und heute. Vieles bewegt sich in Zyklen: Dies führt dazu, dass in der heutigen Zeit auf eine riesige Sammlung an Literatur, Filmen und natürlich Musik zurückgegriffen werden kann. Das Zitieren ist zu einer eigenen Kunstform geworden und lässt Neues entstehen. Nicht zuletzt aktuelle Musik, wie eben die von Roly Porter oder Releases auf B.E.B., zeugt davon. Ich habe das Gefühl, dass das allgemeine Interesse an komplexen Kunstformen in den letzten Jahren gewachsen ist und dies sich eben auch an der Resonanz auf solche Künstler zeigen lässt.

zweikommasieben Auf der kommerziellen Ebene feiert elektronische Musik ja vor allem unter dem Begriff EDM riesige Erfolge.

Stuart EBM? Du meinst dieses tanzbare Industrial Zeugs? Erfolgreich?

Joe Nein, EDM – «Electronic Dance Music». Ein Überbegriff für diesen ganzen Mehrzweckhallentechno. Quasi alles von fuckin’ Tiesto bis zu Skrillex und diesen Typen Deadmau5. Naja, da gibt es ja teilweise auch «düstere» Elemente, aber ich würde nicht so weit gehen und das im erweiterten Kontext des vorhin Gesagten sehen.

Stuart [Lachend] Nein, das meinte ich wirklich nicht!

 

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3) Art Fleury – «Micrononsense» (No-Sense Records, 1981)

zweikommasieben [An Joe und Tom gerichtet] Wir sind über euer Boiler Room Set auf diesen Track aufmerksam geworden und haben ihn seitdem einige Male gehört. Was uns anfangs noch nicht aufgefallen ist: Die Vocal Samples sind in schweizerdeutschem Dialekt gesprochen. Ihr benutzt für eure Tracks keine Vocalsamples oder Gesang. Zweifelsohne funktioniert eure Musik trotzdem. Wie wichtig sind in euren Augen Vocals überhaupt für Musik?

Joe Für mich spielt dies keine grosse Rolle. Die Stimmung, der Flow entscheiden ob ich einen Track mag oder nicht. Auch ob es sich dabei um einen englischen Text handelt oder um gutturales Kauderwelsch, wie es Ike Yard damals gemacht haben, ist für mich nicht von Belang. [Zu Stuart] Aber ihr habt das schon krass hingekriegt…

Stuart Mit Ike Yard haben wir zeitweise viel mit Stimmen und Sprachen experimentiert. Beim «Song Loss» zum Beispiel war unser Ziel, einen Song mit Gesang zu machen, der das Gefühl von Verlust herüber bringt, aber ohne ein einziges «richtiges» Wort dabei zu verwenden. Auch sollte sich nichts reimen. Mittlerweile – in meinem weisen, fortgeschrittenen Alter – habe ich auch Freude daran gefunden, gar keine Vocals mehr zu benutzen.

[Gelächter]

 

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4) Shed – «RQ-170» (50Weapons, 2012)

zweikommasieben Dieser Track von Shed – ein Technoproduzent – hat einige Berührungspunkte mit Metal Musik…

Stuart Das sehe ich auch so. Ich würde hier aber explizit auf die ganze Punk- und Hardcore-Subkultur hinweisen, die ihrerseits eine eigene Metalszene hervorgebracht hat, welche mit Drachentöter- und Herr-der-Ringe-Firlefanz jedoch nicht viel zu tun hat, sondern das Destruktive in erster Linie aus dem Alltag aufnimmt. Bands wie sunn0))) oder Boris gehören da sicherlich dazu. Die Art und Weise wie sunn0))) ihre Aufmerksamkeit auf das Langsame gebracht haben, ist nach wie vor der Wahnsinn.

Joe Diese ganze Doom und Ambient Metal Geschichte hatte definitiv auch einen grossen Einfluss auf unser Schaffen.

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5) Black Rain – «Now i’m just a number distort 2» (EDGR #zweikommasieben, 2012)

zweikommasieben Der nächste Song, den wir hören, ist von dir, Stuart. Den Song hast du zu unserer 10“ beigesteuert. Entstanden ist er vor knapp zehn Jahren. Wie stehst du dazu, wenn du den Track heute hörst? Ist es ein komisches Gefühl, wenn du mit deinem alten Black Rain– oder auch Ike Yard-Material erst heute eine gewisse Bestätigung bekommst?

Stuart Nun, ich sehe es im Gesamtkonzept. Als Künstler suchst du immer auch ein wenig Bestätigung, zum Beispiel gehst du in einen Plattenladen und schaust, ob deine Sachen da zu finden sind [lacht]. Auch älteres Zeugs das du mal gemacht hast. Mit Black Rain war und ist es aber ziemlich extrem, wie die Nachfrage nach so langer Zeit plötzlich grösser und grösser wird. Ich habe nie aufgehört Musik zu machen und habe so auch die Möglichkeit, weiter Musik zu machen. Ich weiss, dass das Interesse da ist. Das ist schon ein schönes Gefühl.

zweikommasieben Hattest du jemals das Gefühl, deiner Zeit voraus zu sein?

Stuart Vom heutigen Standpunkt aus könnte man das vielleicht über einzelne Projekte sagen. Ike Yard war wohl schon weiter als andere, was auch dazu führte, dass man damals in Vergessenheit geraten ist. Aber ich habe mir darüber nie allzu viele Gedanken gemacht.

zweikommasieben Wenn du heute Musik machst, ist der Anspruch derselbe wie damals?

Stuart Ein Stück weit ja, bestimmt. Ein grosser Unterschied ist, dass ich bewusster Musik mache. Oder eben auch mal gar nicht. Mein Umgang mit meinen Ideen und Ressourcen ist bedachter. Die Motivation ist aber nach wie vor da. Es gab nie einen Punkt in meinem Leben, an dem ich dachte, ich hänge das jetzt einfach so an den Nagel.

zweikommasieben Du hast ja auch den Soundtrack für die nie fertiggestellte Verfilmung von William Gibson’s Neuromancer gemacht. Wie denkst du heute über das Buch? Hat ein solches Endzeitszenario heute überhaupt noch eine Wirkung auf die Leserschaft?

Stuart Das Buch war für die damalige Zeit sehr wichtig und gilt sicher mit Recht als moderner Klassiker. Wie Gibson die Tatsache, dass Computer und Internet für unsere Zivilisation unentbehrlich geworden sind, vorausgesagt hat, ist faszinierend. Der Umgang mit digitalen Daten beispielsweise… Klar laufen wir nicht alle wie Cyberpunks rum, aber davon abgesehen hatte er doch in vielerlei Hinsicht eine interessante Vorahnung.

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6) Burial – «Broken Home» (Hyperdub, 2006)

zweikommasieben [Zu Joe und Tom] In einem Review der Musikseite The Quietus wurde euer neues Album in den höchsten Tönen gelobt. Zitat: «It’s dark music, sure, but you can dance to it (albeit very slowly), making Raime the most interesting and successful fusion of industrial ethos and club culture since Burial first appeared on the dubstep scene.» Wie reagiert ihr auf solch euphorische Stimmen?

Joe [Lachend] No Comment… Natürlich freut es mich, wenn jemand so etwas Tolles über uns schreibt. Burial war in vielerlei Hinsicht revolutionär. Seine Musik klingt sehr urban, aber niemals so als ob er dir irgendwas aufbrummen möchte. Keine Kampfansagen und trotzdem kompromisslos. Deswegen waren und sind die Reaktionen auf sein Schaffen wohl auch, wie sie sind. Ich habe extrem Respekt vor der Tatsache, wie er seine Musik als Ganzes präsentiert. Kontinuität auf hohem Level. Du erkennst Burial sofort. Er hat seine eigenen Trademarks, das schaffen nicht viele Künstler.

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7) Rhythm Is Rhythm – «Strings Of Life» (Transmat, 1987)

Joe Detroit! Für mich spielte dieser Detroit-Style eine grosse Rolle als ich angefangen habe, mich mit Musik auseinanderzusetzen. Es ist die Essenz von Dance-Music. Es gab eine Ästhetik und eine Idee dahinter.

zweikommasieben Und es hatte einen Impact, eine Meinung… eine Aura. Das ist es, was in vielen anderen Spielarten von Musik gemeinhin fehlt…

Joe Nun denn, wenn die Leute an eine Party gehen, dann wollen sie in erster Linie Spass haben.