01.03.2013 von Simon Gast

Music Box #2 – «Let there be house!»

«In the beginning, there was Jack, and Jack had a groove. And from this groove came the groove of all grooves. And while one day viciously throwing down on his box, Jack boldy declared, ‘Let there be HOUSE!’ and house music was born.»

– Chuck Roberts

Während Proto-House die Phase bezeichnet, als in den Siebziger-Jahren mit der Discowelle der Grundstein von dem gelegt wird, was wir heute stark vereinfacht als House Music bezeichnen, widmet sich diese Weiterführung der Kolumne Music Box den Jahren 1985 bis 1995. Was in Chicago beginnt, findet in anderen Grossstädten wie Detroit, New York City, San Francisco, Boston bis hin zu Manchester, London und Paris seine Weiterführung.

Chicago in den frühen Achtzigern. Club- und Radio-DJs spielen diverse Dance-Music-Stile, die alte Disco-Records, neueren Italo-Disco, Hip Hop und Electro Funk-Tracks, wie auch elektronische Popmusik von Bands wie Kraftwerk, Telex oder Yellow Magic Orchestra beinhalten. Eigene Edits von Discostücken erblicken auf reel-to-reel-Tapes das Licht der Welt, die mit Effekten, Drum Machines und anderen rhythmisch elektronischen Instrumenten versehen werden. 1984 veröffentlicht DJ Jesse Saunders in Zusammenarbeit mit Vince Lawrence aus Chicago den Song On and On, der viele Elemente beinhaltet, die später den typischen House-Sound bezeichnen. Spezifische Merkmale sind die Verwendung des Roland TB-303 Bass Synthesizers, die minimalistischen Vocals, sowie die Roland TR-808 Drum Machine und der Korg Poly-61 Synthesizer. Inspiriert und angetrieben vom Erfolg der Platte und der verhältnismässig einfachen Produktion, eifern viele lokale DJs Saunders nach und produzieren House, der den Fokus eher auf die Struktur des repetitiven Rhythmus, als auf den eigentlichen Song legt. Aus diesen Produktionen entstehen bereits erste Sub-Genres wie Acid House, mit dem typischen TB-303-Klang oder Deep House, wobei Larry Heard aka Mr. Fingers jazzige und soulgeschwängerte «Aufnahmen Mystery of Love» (1985) und« Can You Feel It?» (1986) als Ursprung genannt werden können. Acid verzeichnet durch die Phuture-Group, ein Kollektiv bestehend aus Nathan «DJ Pierre» Jones, Earl «Spanky» Smith Jr. und Herbert «Herb J.» Jackson erste grosse Erfolge. Spätestens als Ron Hardy im Club Muzik Box den zwölfminütigen Acid Tracks der Gruppe an einem Abend viermal spielen muss, ehe die Crowd die gewünschte Reaktion auf diesen neuartigen Sound liefert, entsteht ein etabliertes Genre mit vielen weiteren prominenten Ablegern.

Derweil entsteht in Detroit eine weitere musikalische Stilrichtung, namentlich der Detroit Techno. Derrick May, Juan Atkins und Kevin Saunderson zählen zu den Godfathern dieses Genres. May erklärte in zweikommasieben #5, dass sich die Jungs bereits in jungen Jahren ein komplett eigenes Gedankengut, das von nichts beeinflusst wurde, angeeignet hatten. Folglich ging es ihrer Generation nicht darum, einen bestehenden Sound weiterzuentwickeln, sondern ihr eigenes Ding zu machen und ihrer Kreativität durch die Musik Ausdruck zu verleihen. Nichtsdestotrotz können Einflüsse von DJ The Electrifying Mojo und dessen Radio-Show, House Music aus Chicago, sowie europäische Electronica (Kraftwerk, Art of Noise), japanischer Technopop (Yellow Magic Orchestra), früher B Boy-Hip Hop (Man Parrish) und Italo Disco (Doctor’s Cat, Ris) als Einflüsse des Detroit Technos gedeutet werden.

Lokale Record Shops wie Importes, State Street Records, Gramaphone so wie die populäre Hot Mix 5-Show des Radiosenders WBMX-FM, steigern den Bekanntheitsgrad von House-Music in Chicago weiter. Ein wichtiger Meilenstein bezeichnet indes die Veröffentlichung von Marshall Jeffersons Platte Move Your Body, die House nun auch über die Stadtgrenzen hinaus zu einem bekannten Begriff macht. Durch frisch geformte Labels, Journalisten und Musikmagazine schwappt die euphorisierende Welle des House nach Grossbritannien über. Farley «Jackmaster» Funks «Love Can’t Turn Around» schafft es bereits auf Platz zehn der UK Singles Charts im Jahr 1986, dessen Erfolg durch den Chicagoer DJ Steve «Silk» Hurley mit seinem Number-One-Hit «Jack Your Body» sogar noch übertroffen wird. Während dem amerikanischen Original die Ernsthaftigkeit und tiefschürfende Bedeutung ihrer Musik stark anzumerken ist, zeichnen sich die ersten englischen Produktionen durch eine differenziertere Herangehensweise aus, die aus Sample-Montagen, Rap-Vocals und humorvollen Elementen besteht. Die Szene in England wird neben den internationalen Bookings der grossen Clubs besonders durch Underground-Radiosender vorangetrieben, die im Zusammenspiel mit den Erlebnissen englischer Touristen auf Ibiza und dem stetig zunehmenden Ecstasy-Konsum die Rave-Bewegung einläutet

Während in Europa die Popularität der Dance-Music stetig zunimmt, schafft sie es in Amerika kaum über einige Clubs in Chicago, Detroit und New York heraus. In den späten 80ern wird das Label Nu Groove Records gegründet, das für seinen rohen, dreckigen Sound bekannt werden soll und zudem die Karriere von Rheji und Rhano Burrell, better known as Kollektiv Burrell, lanciert, die zu den unbestrittenen Champs des NY-Underground-Sounds avancieren. Während in Europa elektronische, von House beeinflusste Songs die Charts stürmen, bleibt der breit gestreute Erfolg in Amerika bisweilen aus. Erst Madonnas internationaler Hitsingle Vogue gelingt es 1990 die US-Charts zu stürmen und den Spagat zwischen House und kommerziellerer Musik erfolgreich zu meistern.

Dieser Single und folglich auch Madonna ist es mitunter zu verdanken, dass House-Music auch in massentauglicheren Gefilden Fuss fassen kann, wobei die Bedeutung des «echten» House und besonders der Sub- wie auch der eigenständigen Genres im elektronischen Bereich, in den kommenden Jahren nicht weniger zunehmen wird.